TIONCALAI. Esther-Maria Herenz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Esther-Maria Herenz
Издательство: Автор
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783939043614
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dauert nicht lange, keine Sorge.“

      Neolyt folgte ihr in ein kleines, leerstehendes Klassen­zimmer. Für einen Moment herrschte Stille.

      „Deor hat mir von deiner besonderen Gabe erzählt“, begann Valria schließlich. „Ist es wahr? Kannst du Magie spüren?“

      Neolyt fühlte sich unter dem neugierig drängenden Blick unwohl, doch für einen Moment unterdrückte sie ihre wölfische Natur, die ihr mit allen Sinnen den Gegenangriff befahl.

      „Elnar und Deor sagen das“, entgegnete sie ruhig. „Manchmal fühle ich etwas, aber selten stark.“

      „Aber du bist dir sicher, dass es Magie ist, die du spürst. Nicht etwas anderes?“

      „Ja, ich erkenne, dass es Magie ist.“

      „Gut, gut.“ Valria fuhr sich mit erleichtertem Gesichts­ausdruck durchs Haar. „Wenn du wüsstest, was für einen Stein uns vom Herzen fällt“, murmelte sie.

      „Wem?“, hakte Neolyt nach.

      Etwas an Valrias Lächeln wirkte unecht. „Der kleinen Gruppe von Magieforschern, der ich angehöre“, erklärte sie eine Spur zu hastig, aber das fiel Neolyt nicht auf. „Wir hatten so etwas in einer Berechnung festgestellt und dachten schon, wir müssten alles hinterfragen, was wir bis dato herausgefunden hatten. Aber das langweilt dich sicher nur.“

      „Warum darf ich es niemandem erzählen?“, fragte Neolyt. Deor hatte es ihr noch immer nicht verraten wollen.

      „Es gibt Leute, die dich deswegen töten würden“, erklärte Valria unverblümt.

      Neolyt zuckte erschrocken zurück und ein Knoten der Angst schnürte sich in ihrer Brust. „Töten?“

      „Ja. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Behalt es für dich, dann kann dir nichts passieren.“ Valria lächelte ihr aufmunternd zu.

      Am nächsten Morgen war Neolyts Angst so groß geworden, dass sie nicht mehr an sich halten konnte, als sie zu Deor ins Klassenzimmer trat.

      „Valria hat mir erzählt, warum niemand wissen darf, dass ich Magie spüre“, platzte sie heraus und Deor ließ vor Schreck ein Tintenfass fallen, das laut splitternd auf dem Boden zersprang und seinen Inhalt überall hin verspritzte.

      „Was hat sie dir erzählt?“, fragte er ungläubig.

      „Sie würden mich töten, wenn sie es erführen. Irgend­welche Leute“, stieß Neolyt hervor und kämpfte mit den Tränen.

      „Oh, Neolyt, es tut mir leid“, sagte er und nahm sie in den Arm. „Ich wollte es dir nicht erzählen. Ich dachte, es wäre zu viel für dich.“

      „Aber es ist die Wahrheit? Ich – ich habe solche Angst!“

      „Das brauchst du nicht, Neolyt. Wenn du es niemandem erzählst und in unserer Nähe bleibst, kann dir nichts passieren. Wir passen auf dich auf, keine Sorge.“

      „Deswegen sollte ich in den Ferien nicht zum Rudel, oder? Aber meine Familie kann doch genauso auf mich aufpassen.“

      „Nun, diese Menschen sind der Magie fähig, Neolyt. Du würdest das Rudel in Gefahr bringen, indem du dort hinreist.“

      „Nein! Dann will ich dort nicht hin. Ich bleibe hier, ihnen darf nichts passieren.“ Neolyt schluchzte laut.

      „Beruhige dich. Die Leute wissen nicht, was du kannst. Sie kennen dich nicht und sie wissen nicht, wo du bist. Du musst wirklich keine Angst haben, nur vorsichtig solltest du in Zukunft sein.“

      „Das werde ich bestimmt“, versprach sie.

      „Gut. Wollen wir dann mit dem Unterricht anfangen?“, fragte Deor.

      Neolyt nickte und wischte sich energisch die Tränen aus den Augen.

      Mit einer einzigen Handbewegung reparierte Deor das Tintenfass und ließ die Tinte zurückfließen.

      Mit der Zeit verblasste die Bedrohung durch die unbekannten Mörder mehr und mehr. Nur wenn sie schlafen ging, kamen in Neolyt manchmal die Ängste zurück, doch auch dies wurde immer seltener.

      Inzwischen hatte sie sich damit abgefunden, an den Wochenenden nicht zu ihrer Familie fahren zu können, und stattdessen genoss sie den zusätzlichen Unterricht. Sie liebte die Magie und jedes neue Wissen war ihr willkommen. Selbst Geschichte ließ sie über sich ergehen und versuchte, wie Elly es ihr geraten hatte, die Kreisläufe zu erkennen, was ihr allerdings kaum gelang.

      Einige Wochen später kam Yewan mit breitem Grinsen auf sie zugelaufen.

      „Hey, Neolyt. Ich habe im Unterricht gerade mit Astro­nomie angefangen und Deor meinte, solange wir einen so klaren Sternenhimmel hätten, sollten wir das ausnutzen. Deshalb gehen wir heute Abend an den Spiegelsee und schauen uns die Sternbilder an. Er sagte, heute könne ich vielleicht endlich einen Sternenstein herstellen.“

      „Das freut mich für dich“, antwortete Neolyt, die nicht verstand, warum er ihr das erzählte.

      „Stimmt, das Beste hatte ich vergessen: Du darfst mitkommen.“ Er sah sie erwartungsvoll an.

      „Wenn es so gut ist, wie du es erzählst, kann’s wohl nicht schaden“, meinte sie. Es würde schön sein, einmal wieder an die frische Luft zu kommen, den letzten Ausgang hatte sie verpasst, weil Deor ihr Unmengen an Hausaufgaben aufgegeben hatte. Sie vermutete, dass das Absicht gewesen war, um sie nicht in Gefahr zu bringen.

      Am Abend trafen sie sich vor dem Eingangsraum der Lehrer.

      „Hätte ich auch so etwas mitnehmen sollen?“, fragte Neolyt mit einem Blick auf die schwarzen Rucksäcke, die Deor und Yewan trugen.

      „Nein, das ist Unterrichtsmaterial. Du bist nur als Zuschauerin dabei“, erklärte Yewan.

      Über ihre normalen Kleider zogen sie dunkle Jacken und Hosen, die zwar dünn waren, aber dennoch wärmten. Danach gingen sie einen langen, niedrigen Gang entlang, der zu einem der Holzkästen führte, der sie an die Oberfläche transportieren würde. Unruhig trommelte Neolyt mit den Fingern auf den Griff im Innern des Kastens. Ihr war nicht wohl bei dem Gedanken, nur von einer merkwürdigen Seilverknotung gehalten zu werden.

      „Haben Wölfe eigentlich eigene Sternbilder?“, fragte Deor und brach damit die Stille.

      „Ich weiß nicht“, antwortete Neolyt. „Wir haben Sternbindungen, aber das ist wahrscheinlich das Gleiche.“

      „Und was für Bilder sind das?“

      „Viele Tiere und Bäume. Und ein paar Menschen, die wegen besonderer Taten in die Heldenwälder gekommen sind“, erklärte sie.

      „Dann habt ihr also auch eine eigene Religion?“ Deor wirkte erstaunt.

      „Was ist eine Rehlegion?“

      „Eine Religion ist sozusagen das, woran man glaubt, was nach dem Tod geschieht, und wer das leitet, was wir tun“, versuchte Deor etwas umständlich, sich in Worte zu fassen.

      „Ach so. Na ja, einige glauben daran, aber eigentlich ist es uns egal, solange wir überleben.“

      „Und was ist mit den Sternbildern?“

      „Es sind Geschichten. Ich weiß nicht, ob sie stimmen.“

      Sie waren oben angekommen und Deor öffnete die knarzende Schiebetür. Draußen war es noch kühl, doch Schnee lag nicht mehr. Durch die kahlen, von der Nacht geschwärzten Äste der Bäume funkelten vereinzelt Sterne. Neolyt konnte sehen, dass sich Deor und Yewan durchaus Mühe gaben, sich leise zu bewegen, um die stille Schönheit der Nacht nicht zu stören. Doch umsonst, selbst eine taube Maus hätte sie gehört.

      Scheinbar endlos schritten sie durch den tiefdunklen Wald, bis er sich schließlich lichtete und sie hinaus auf einen Kiesstrand traten. Der Anblick verschlug Neolyt den Atem. Ihre Mutter hatte sie noch nie mit aufs Sterneneis genommen, aber sie hatte Geschichten von den Hochjährigen gehört. Niemals jedoch hätte sie sich so etwas vorstellen