Um die engsten Substitute, die gegebenenfalls dem Kandidatenmarkt hinzuzufügen sind, zu ermitteln, können die Konzepte der Kreuzpreiselastizität der Nachfrage oder der Umlenkungskennziffer (diversion ratio) herangezogen werden. Die Kreuzpreiselastizität gibt an, um wie viel Prozent sich die Nachfrage nach einem Gut ändert, wenn der Preis eines anderen Gutes um 1 % erhöht wird. Eine hohe positive Kreuzpreiselastizität zwischen zwei Gütern deutet darauf hin, dass zwischen diesen Gütern eine enge Substitutionsbeziehung vorliegt, während eine Kreuzpreiselastizität von Null bedeutet, dass zwischen den betrachteten Gütern keine nähere Beziehung besteht.78 Eine negative Kreuzpreiselastizität macht deutlich, dass die beiden Güter in einer komplementären Beziehung stehen, d.h., wird das eine Gut teurer, wird auch vom anderen weniger nachgefragt. Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Kreuzpreiselastizität zwischen zwei Gütern A und B a priori wenig darüber aussagt, ob ein Gut eine wettbewerbliche Schranke für die Ausübung von Marktmacht darstellt. So kann selbst im Falle einer geringen Kreuzpreiselastizität keine Marktmacht vorliegen, wenn es viele Güter gibt, auf die die Nachfrager bei einer Preiserhöhung ausweichen können. Produkte mit niedriger Kreuzpreiselastizität können also im gleichen relevanten Markt liegen. Aber andererseits ist auch ein hoher Wert der Kreuzpreiselastizität mit dem Vorliegen erheblicher Marktmacht vereinbar, d.h. auch Produkte mit hoher Kreuzpreiselastizität stellen nicht immer wettbewerblichen Schranken dar.79 Dies gilt z.B. dann, wenn die Marktvolumina der Güter sich deutlich unterscheiden. So kann ein Gut, das nur in sehr geringer Menge konsumiert wird, also kein wichtiges Substitut darstellt, eine hohe Kreuzpreiselastizität aufweisen. Werden z.B. von einem Gut A 1.000.000 Einheiten im Jahr verkauft, von einem anderen Gut B jedoch nur 1.000, so würde bei einer Preiserhöhung des Gutes A um 5 % und einer Kreuzpreiselastizität von 25 die Nachfrage nach dem Gut B um 1.250 zunehmen. Dies bedeutet jedoch nur einen Rückgang der verkauften Menge des Gutes A um 0,125 %. Betrug der Preis pro Einheit des Gutes A vor der Preiserhöhung 1 Euro, so war der Gewinn 1.000.000 Euro. Nach der Preiserhöhung beträgt der Gewinn trotz verringerter Menge jedoch 1.048.687 Euro, liegt also um 48.687 Euro höher. Dies macht deutlich, dass weder hohe noch niedrige Kreuzpreiselastizitäten etwas über Marktmacht aussagen. Selbst die Kenntnis aller Kreuzpreiselastizitäten reicht nicht aus, um einen Rückschluss auf die Marktmacht zu ziehen, da es von zentraler Bedeutung ist, ob das Produkt einen großen oder geringen Anteil am Gesamtbudget hat.80 Die Preiselastizität der Nachfrage enthält all diese Informationen, denn sie setzt sich aus den Kreuzpreiselastizitäten mit allen anderen Gütern zusammen, wobei berücksichtigt ist, mit welchem Gewicht diese anderen Güter im Durchschnitt in das Budget der Nachfrager eingehen.81 Allerdings kann in vielen Fällen davon ausgegangen werden, dass zwischen zwei Produkten, die demselben relevanten Markt angehören, eine hohe Kreuzpreiselastizität besteht.
Alternativ zur Kreuzpreiselastizität kann die Umlenkungskennziffer (diversion ratio) verwendet werden, um zu ermitteln, welches die engsten Substitute eines gegebenen Produktes sind. Die Umlenkungskennziffer bezüglich der Produkte 1 und 2 gibt an, wie viel vom Nachfragerückgang bei Produkt 1, der durch eine Preiserhöhung dieses Produkts verursacht wird, auf Produkt 2 umgelenkt wird. Die Umlenkungskennziffer zwischen den Produkten 1 und 2 ist definiert als Quotient aus der Kreuzpreiselastizität von Produkt 1 bezogen auf eine Preisänderung von Produkt 2 (ε21) und der Preiselastizität der Nachfrage für Produkt 1 (ε1):
Dabei bezeichnen p1 bzw. p2 die Preise und Q1 bzw. Q2 die Mengen der Produkte 1 und 2. Die Umlenkungskennziffer gibt an, wie groß der Anteil der Nachfrage ist, den das Produkt 1 bei einer Preiserhöhung an das Produkt 2 verliert. Wenn die Umlenkungskennziffer der Produkte 1 und 2 z.B. 0,75 wäre, dann würden 75 % des Nachfragerückgangs bei einer Preiserhöhung des Produktes 1 zum Produkt 2 gehen. Die restlichen 25 % verschieben sich auf andere Produkte. In diesem Fall ist Produkt 2 das engste Substitut und sollte als nächstes in den Kandidatenmarkt aufgenommen werden.82
Manchmal ist es sinnvoll, die Umlenkungskennziffer mit dem Relativpreis der beiden Produkte zu gewichten. Dies ergibt die Umlenkungskennziffer in Bezug auf den Erlös:
Diese Umlenkungskennziffer gibt an, wie viel an Erlös durch eine Erhöhung des Preises von Produkt 1 auf das Produkt 2 umgelenkt wird. Die Höhe des umgelenkten Umsatzes hängt natürlich von den Preisen der beiden Produkte ab.
Beide Konzepte können herangezogen werden, um mögliche Substitute entsprechend ihrer Kreuzpreiselastizität bzw. ihrer Umlenkungskennziffer bezogen auf ein bestimmtes Gut zu ordnen, sodass im Zuge des hypothetischen Monopolistentests die nächstbesten Substitute dem Kandidatenmarkt hinzugefügt werden. Dabei kann der Fall eintreten, dass Kreuzpreiselastizitäten und Umlenkungskennziffern nicht zur gleichen Rangfolge der Produkte führen, da die Umlenkungskennziffer auch von den abgesetzten Mengen der beiden Produkte abhängt. Sind diese Mengen sehr verschieden, dann kann dies zu unterschiedlichen relevanten Märkten führen, je nachdem ob die nächstbesten Substitute mit der Kreuzpreiselastizität oder der Umlenkungskennziffer ermittelt wurden.
Für die Entscheidung des hypothetischen Monopolisten für oder gegen eine Preiserhöhung ist vor allem die Preiselastizität der Nachfrage von Bedeutung, die Kreuzpreiselastizitäten spielen dabei nur insoweit eine Rolle, als sie einen Einfluss auf die Preiselastizität haben. Aus diesen Gründen ist die häufige Verwendung der Kreuzpreiselastizitäten für Fragen der Marktabgrenzung verfehlt.83 Das Konzept ist nur insoweit von Interesse, als es dazu beitragen kann, im Zuge des hypothetischen Monopolistentests die jeweils engsten Substitute zu identifizieren.84
Wenn keine empirischen Belege für das Substitutionsverhalten der Verbraucher vorliegen, sodass Elastizitäten und Umlenkungskennziffern quantitativ nicht ermittelt werden können, muss das nächst beste Substitut, das dem Kandidatenmarkt hinzugefügt wird, anhand der besten zur Verfügung stehenden qualitativen Indikatoren ausgewählt werden. Dabei könnten Kriterien wie funktionelle Austauschbarkeit, physische Eigenschaften, Verwendungszweck und Preislage Anhaltspunkte dafür liefern, welche Produkte als enge Substitute in Frage kommen. Für das Problem der Marktabgrenzung selbst sind sie jedoch nicht geeignet.85
Um die Marktmacht eines gewinnmaximierenden hypothetischen Monopolisten durch Nachfragesubstitution zu beschränken, ist es im Allgemeinen nicht notwendig, dass ein großer Teil der Konsumenten oder zumindest mehr als die Hälfte der Nachfrager auf Substitute ausweichen muss. Es reicht aus, dass eine hinreichende Zahl von Konsumenten substituiert. Selbst wenn es größere Konsumentengruppen gibt, die nicht in der Lage sind, das Gut durch ein anderes zu substituieren, bedeutet dies nicht, dass ein Unternehmen Marktmacht ausüben kann. Entscheidend für die Frage der Marktmacht sind die marginalen Konsumenten, denn diese bestimmen die Preiselastizität der Nachfrage.
β) Angebotssubstitution
Neben den Ausweichreaktionen der Nachfrager kann der Marktmacht eines hypothetischen Monopolisten auch durch eine Angebotssubstitution Schranken gesetzt werden.86 Hebt der hypothetische Monopolist den Preis des Gutes an, dann könnte es für andere Anbieter attraktiv sein, ebenfalls dieses Produkt anzubieten, um aufgrund des gestiegenen Preises höhere Gewinne zu erwirtschaften. Eine solches Produkt kann im Prinzip durch Unternehmen angeboten werden, die bereits auf einem anderen sachlichen bzw. räumlichen Markt tätig sind, aber ihr Angebot sehr flexibel umstellen bzw. umleiten können. Bei differenzierten Gütern könnte eine Angebotssubstitution mittels einer Repositionierung existierender Güter durch Änderung einiger ihrer Eigenschaften erfolgen. Zusätzliches Angebot könnte aber auch von Unternehmen stammen, die erst nach entsprechenden Investitionen, z.B. in die Produktionsanlagen, in den Markt eintreten können. Im ersten Fall handelt es sich um Angebotssubstitution, während man beim zweiten Fall eher von Marktzutritt sprechen würde. Die Unterschiede betreffen zum einen die Zeit, die ein Unternehmen benötigt, um auf dem betrachteten