ɛ) Substitutionsketten
Eng verwandt mit dem Problem der Marktabgrenzung bei differenzierten Gütern ist das der Substitutionsketten. Auch in vieler Hinsicht sehr unterschiedliche Produkte könnten dem gleichen sachlichen oder räumlichen relevanten Markt zuzuordnen sein, wenn diese Produkte durch eine Substitutionskette miteinander verknüpft sind. So könnten zwei Güter, A und E, die keine direkten Substitute darstellen, im gleichen Markt sein, wenn z.B. A durch B, B durch C, C durch D, und D durch E substituiert würden. Allerdings bedeutet die Existenz einer solchen Substitutionskette nicht notwendig, dass alle Produkte in dieser Kette dem gleichen relevanten Markt zugeordnet werden müssen, denn entscheidend ist das Ausmaß der Substitution, die bei einer Preiserhöhung eines hypothetischen Monopolisten erfolgt. Wenn ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist, der die Produkte B und D anbietet, die Preise der beiden Güter um mindestens 5 % anheben würde, dann könnte dies zu einer starken Substitution von B und D durch das Gut C führen, aber nur zu einer geringen Substitution durch die Güter A und E, sodass die Preiserhöhung nicht profitabel wäre. Würde das Gut C dem Kandidatenmarkt hinzugefügt werden, dann könnte sich eine Preiserhöhung der Güter B, C und D als profitabel erweisen, sodass diese einen relevanten Markt darstellen. Die Güter A und E, trotz der Tatsache, dass sie zu dieser Substitutionskette gehören, wären nicht in diesem relevanten Markt.
ζ) Marktabgrenzung bei Preisdiskriminierung
Einige Märkte zeichnen sich dadurch aus, dass es zwischen verschiedenen Konsumentengruppen erhebliche Unterschiede gibt, die eine Preisdiskriminierung zwischen diesen Gruppen ermöglichen, da die Substitutionsmöglichkeiten verschieden sein können. Wenn ein gewinnmaximierender hypothetischer Monopolist in der Lage wäre, den Preis seines Produktes für eine spezifische Konsumentengruppe für längere Zeit um 5–10 % anzuheben, dann umfasst ein relevanter Markt neben den Produkten und den Gebieten auch die entsprechende Konsumentengruppe.113 Damit eine Preisdiskriminierung zwischen verschiedenen Konsumentengruppen durchgeführt werden kann, muss jedoch eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. So darf es keine Möglichkeit der Arbitrage zwischen den verschiedenen Konsumentengruppen geben, da dies eine Preisdiskriminierung verhindern würde. Weiterhin muss der hypothetische Monopolist in der Lage sein, die verschiedenen Konsumentengruppen zu identifizieren. Allerdings sind diese Bedingungen, insbesondere die Identifikationsmöglichkeiten eines hypothetischen Monopolisten, häufig nur schwer zu überprüfen. Ist jedoch Preisdiskriminierung für das betrachtete Produkt eine gebräuchliche Praxis, dann ist dies ein starkes Indiz dafür, dass auch ein hypothetischer Monopolist eine Preisdifferenzierung vornehmen würde. In diesem Fall wäre der relevante Markt auch unter Berücksichtigung verschiedener Konsumentengruppen, die einer Preisdifferenzierung unterliegen, abzugrenzen.114
η) Folgemärkte
Spezifische Probleme bei der Marktabgrenzung können bei Produkten auftreten, die nur zusammen mit einem anderen Produkt verwendet werden, wie es z.B. bei Kaffeemaschinen und den dazu passenden Kaffeepads oder Drucker und Druckerpatronen der Fall ist. Allgemein liegt eine solche Situation dann vor, wenn ein primäres Produkt, wie z.B. eine Kaffeemaschine oder ein Drucker, erworben wird und später weitere, sekundäre Produkte hinzugekauft werden, die zusammen mit dem primären Produkt verwendet werden und ohne die die Funktionsfähigkeit des primären Produktes nicht gegeben oder zumindest stark eingeschränkt ist. Primäres und sekundäres Produkt bilden also ein System, das nur dann zufriedenstellend funktioniert, wenn beide Produkte vorhanden sind.115 Ähnliche Folgemarktsituationen treten auch im Rahmen von Franchise-Vereinbarungen auf, in denen die Konzession bzw. die entsprechende Marke das primäre Produkt ist und die abzunehmenden Güter das sekundäre Produkt darstellen.116 Häufig sind die technischen Spezifikationen der Produkte derart, dass nach dem Kauf des primären Produktes die Substitutionsmöglichkeiten bezüglich des sekundären stark eingeschränkt sind. Hat man einen bestimmten Drucker erworben, dann können nur Druckerpatronen verwendet werden, die mit diesem Gerät kompatibel sind. Die Konsumenten unterliegen also einem lock-in. Häufig sind dabei die Hersteller des primären Produktes auch die einzigen Hersteller des kompatiblen sekundären Produktes. Würde man den Markt für das sekundäre Produkt, den so genannten Folgemarkt (Aftermarket), als relevanten Markt abgrenzen, dann würde man häufig sehr hohe Marktanteile feststellen und damit auch Marktmacht konstatieren müssen.117 Es stellt sich jedoch die Frage, ob selbst ein Marktanteil von 100 % im Folgemarkt ein deutliches Indiz für Marktmacht ist. Dies wäre dann der Fall, wenn der Hersteller des sekundären Produktes in der Lage wäre, den lock-in der Konsumenten auszunutzen und den Preis für das sekundäre Produkt signifikant über den Wettbewerbspreis anzuheben. Allerdings werden Konsumenten, vor allem dann, wenn der Preis der sekundären Produkte einen großen Anteil am Gesamtpreis des Systems ausmacht oder das sekundäre Produkt häufig ersetzt werden muss, bereits beim Erwerb des primären Produktes die Kosten des sekundären berücksichtigen. Eine Anhebung des Preises des sekundären Produktes wird dann zu einer Verringerung der Nachfrage nach dem zugehörigen primären Produkt führen, wenn die Nachfrager über ausreichende Substitutionsmöglichkeiten verfügen. Dies macht deutlich, dass Folgemärkte nicht isoliert vom Markt für das primäre Produkt analysiert werden sollten. Der Anbieter eines primären und sekundären Produktes wird den Preis des sekundären nicht anheben, wenn die Konsumenten den höheren Preis für das sekundäre Produkt bei der Kaufentscheidung für das primäre Produkt berücksichtigen und aus diesem Grunde ein anderes primäres Produkt erwerben. In diesem Fall würde der Markt für das sekundäre Produkt keinen relevanten Markt darstellen, sondern es wäre der Markt für Systeme zu betrachten, d.h. für primäre und sekundäre Produkte zusammen. Sind jedoch die Substitutionsmöglichkeiten der Nachfrager hinsichtlich des primären Produktes beschränkt, dann besteht für den Anbieter eines Systems der Anreiz, den Preis des sekundären Produktes signifikant anzuheben. In diesem Fall wäre der Folgemarkt als relevanter Markt abzugrenzen.
θ) Sortimentsmärkte
Märkte, auf denen mehrere unterschiedliche Güter gemeinsam nachgefragt und angeboten werden, werden in der Literatur als Sortiments- oder Clustermärkte bezeichnet. Sortimentsmärkte sind dadurch gekennzeichnet, dass zwischen den einzelnen Komponenten eines Bündels an Produkten oder Dienstleistungen eine „Transaktionskomplementarität“ besteht.118 Eine solche Transaktionskomplementarität liegt immer dann vor, wenn ein Konsument beim Kauf mehrerer Produkte von einem Unternehmen geringere Transaktionskosten hat als beim Kauf dieser Produkte bei verschiedenen Unternehmen. Anders ausgedrückt: Die Zahlungsbereitschaft eines Kunden bei einem gemeinsamen Bezug der Produkte ist größer als die Summe der Zahlungsbereitschaften bei einem Einzelbezug. Transaktionskomplementarität kann daher interpretiert werden als Verbundvorteile auf der Nachfrageseite, wobei diese Vorteile dem Konsumenten und nicht dem Hersteller zugutekommen. Diese Transaktionskomplementarität führt dazu, dass Konsumenten Bündel an Gütern oder Dienstleistungen nachfragen. Dieser Effekt wird noch verstärkt, wenn auf der Angebotsseite Verbundvorteile vorliegen, sodass es für ein Unternehmen effizient ist, die entsprechenden Leistungen gemeinsam anzubieten statt getrennt.119 Als relevante Einheit für die Abgrenzung des relevanten Marktes könnte daher das von den Konsumenten nachgefragte und den Unternehmen angebotene Bündel an Dienstleistungen betrachtet werden, wobei zwischen den einzelnen Komponenten in einem Bündel sowohl substitutive als auch komplementäre Beziehungen bestehen.120
Das Konzept des Sortimentsmarktes ist in der amerikanischen, der europäischen und auch der deutschen Anwendungspraxis auf eine Reihe von Märkten angewendet worden, wie z.B. bei Krankenhäusern, dem