Das Konzept des ökonomischen Marktes hatte sich in der Wirtschaftstheorie als geeignetes Instrument erwiesen, um die Marktformen der vollkommenen Konkurrenz, sowohl partialanalytisch als auch in Modellen des allgemeinen Gleichgewichtes, sowie des Monopols zu analysieren. Bis in die 1930er Jahre konzentrierte sich die Wirtschaftstheorie auf die Analyse dieser polaren Marktformen. Erst mit den Arbeiten von Sraffa, Robinson, Chamberlin und Triffin wurde begonnen, Märkte mit differenzierten Gütern zu analysieren, in denen sowohl Elemente des Wettbewerbs als auch des Monopols auftreten.46 Hierbei stellte sich das Problem, den Markt festzustellen, in dem ein solcher monopolistischer Wettbewerb stattfindet, und es wurden im Zuge dieser Überlegungen erstmalig Marktabgrenzungen vorgenommen. Die seinerzeit entwickelten Konzepte der Substitutionslücke (Robinson, Chamberlin), oder das im Rahmen eines Modells des allgemeinen Gleichgewichts von Triffin verwendete Konzept der externen Interdependenz waren als Instrumente und Hilfsmittel gedacht, eine bestimmte Marktform, die der monopolistischen Konkurrenz, näher zu analysieren und Gleichgewichte auf solchen Märkten zu beschreiben. Sie sind daher für die wettbewerbspolitisch relevanten Fragen nach der Marktmacht von Unternehmen und ihrer wettbewerblichen Schranken keine idealen Werkzeuge. Dies gilt auch für andere im Zusammenhang mit differenzierten Gütern vorgeschlagene Konzepte der Marktabgrenzung.
a) Bedarfsmarktkonzept
Im Rahmen einer Analyse der Qualitätsbestimmung auf Wettbewerbsmärkten hat Abbott das Konzept eines Bedarfsmarktes nahegelegt, indem er zwischen den psychologisch unscharfen Begriffen der Grundbedürfnisse und der abgeleiteten Bedürfnisse unterscheidet.47 Eine ähnliche Argumentation verwendet Arndt in einem Aufsatz zur Gleichgewichtsanalyse und zum Monopolkonzept und führt zur Analyse das Konzept des Bedarfsmarktes ein.48 Ein Bedarfsmarkt ist der Deckung eines bestimmten „gesellschaftlichen Bedarfes“ gewidmet. Auf ihm werden heterogene Güter mit unterschiedlichen Preisen gehandelt und er bildet nur einen Teilmarkt innerhalb der Volkswirtschaft.49 Allerdings sind auch diese Konzepte dafür entwickelt worden, Gleichgewichte auf Märkten mit monopolistischer Konkurrenz zu analysieren, nicht aber für die zentralen Fragen der Wettbewerbspolitik. Andere Methoden zur Marktabgrenzung gehen stattdessen eher vom Konzept einer Industrie aus, wie der auf Marshall zurückgehende Ansatz von Bain, der die Unternehmen in einem Sektor in Untergruppen gliedert, die er als Industrie definiert.50 Unternehmen in einer solchen Industrie stellen enge Substitute her, die die Nachfrage einer bestimmten Gruppe von Abnehmern bedienen. Dabei sind enge Substitute Varianten eines Gutes, die sich in Form und Funktion ähneln und ein spezifisches Bedürfnis der Konsumenten befriedigen.
Diese Formen der Marktabgrenzung wurden von den Wirtschaftswissenschaften für andere Zwecke als für Analysen von Marktmacht oder Marktbeherrschung entwickelt und sind daher als Instrument zur Untersuchung dieser Fragen nur bedingt geeignet. Allerdings muss sich die Wirtschaftswissenschaft den Vorwurf gefallen lassen, sich lange Zeit nicht um das Problem der Marktabgrenzung für Fragen der Wettbewerbspolitik gekümmert zu haben. So klagt Stigler noch 1982: „My lament is that this battle on market definitions, which is fought thousands of times what with all the private antitrust suits, has received virtually no attention from us economists. Except for a casual flirtation with cross elasticities of demand and supply, the determination of markets has remained an undeveloped area of economic research at either the theoretical or empirical level.“51
Da sich aber in der Praxis das Problem der Marktabgrenzung beständig stellte, war man gezwungen, sich anfänglich mit den zur Verfügung stehenden Instrumenten wie dem Bedarfsmarktkonzept zu behelfen. Hierzu wurde eine Reihe von Kriterien zur praktischen Marktabgrenzung entwickelt. So ordnete man Produkte dem gleichen Markt zu, wenn sie hinsichtlich ihrer Funktion, ihren Eigenschaften, ihrer Preislage und ihrem wirtschaftlichen Verwendungszweck als austauschbar oder substituierbar angesehen werden. Diese Kriterien stammen eher aus dem Bedarfsmarktkonzept oder der Bainschen Form der Marktabgrenzung und sind für eine Marktabgrenzung, die eine möglichst präzise Antwort auf die Frage nach Marktmacht bzw. Marktbeherrschung ermöglichen soll, aus mehreren Gründen eher skeptisch zu beurteilen.52
So wird bei der Frage nach der funktionellen Austauschbarkeit nicht das zentrale Problem der Marktmacht thematisiert, die davon abhängt, wie preiselastisch die Nachfrage reagiert. Um Marktmacht zu verhindern, reicht es häufig aus, wenn nur ein relativ geringer Teil der Konsumenten bei einer Preiserhöhung auf andere Produkte ausweicht. Eine vollständige oder überwiegende funktionelle Austauschbarkeit der Produkte ist im Allgemeinen nicht erforderlich, um Marktmacht zu beschränken und führt daher zu einer zu engen Marktabgrenzung.53 In engem Zusammenhang hiermit steht das Kriterium der physischen Charakteristika, nach dem zwei Produkte unterschiedlichen Märkten zugehören sollen, wenn sie in ihren Eigenschaften erhebliche Unterschiede aufweisen. Auch dieses Kriterium führt häufig zu einer ökonomisch nicht sinnvollen Marktabgrenzung, denn um als Substitute für die Konsumenten in Frage zu kommen, müssen sie nicht notwendig die gleichen physischen Eigenschaften aufweisen. So können Busse und Bahnen trotz erheblicher Unterschiede in ihren Eigenschaften für viele Konsumenten als Substitute in Frage kommen. Eine Abgrenzung des relevanten Marktes aufgrund der Ähnlichkeit in den physischen Eigenschaften kann daher zu sehr engen Märkten führen, weil dabei u.U. Eigenschaften der Güter betrachtet werden, die für die Kaufentscheidung einiger Konsumenten keine Bedeutung haben.54 Wenn man zwei Produkte aufgrund ihrer unterschiedlichen Eigenschaften verschiedenen Märkten zuordnet, sollte der Einfluss dieser Eigenschaften auf die Substituierbarkeit das entscheidende Kriterium sein. Auch eine unterschiedliche Preislage der Güter ist kein notwendiges Kriterium, sie verschiedenen Märkten zuzuordnen. Wenn sich Güter in qualitativen Eigenschaften, wie z.B. der Lebensdauer, unterscheiden, dann könnte ein qualitativ höherwertiges Gut, z.B. eines mit der doppelten Lebensdauer, ein sehr enges Substitut für ein qualitativ schlechteres sein, das nur die Hälfte kostet.55 Auch hier besteht die Gefahr einer zu engen Marktabgrenzung und dadurch zu einer Überschätzung der Marktmacht aufgrund der gemessenen Marktanteile. Zwar können alle die genannten Konzepte Hinweise darauf geben, welche Güter als Substitute in einem ökonomisch sinnvoll abgegrenzten relevanten Markt zusammengefasst werden sollten, aber die entscheidende Frage nach der Marktmacht und den Schranken, die ihr durch Substitute gesetzt werden, wird durch diese Kriterien nicht beantwortet.
b) Hypothetischer Monopolistentest
Seit Anfang der 1980er Jahre wurde von der Wirtschaftstheorie ein Konzept vorgeschlagen, das speziell zu dem Zweck entwickelt wurde, eine marktmachtbezogene Abgrenzung des relevanten Markts für die Fusionskontrolle vorzunehmen. Ein Markt sollte hiernach so abgegrenzt werden, dass die Marktanteile eine möglichst große Aussagekraft über die Fähigkeit eines oder mehrerer Unternehmen haben, Marktmacht auszuüben.56 Bei diesem Marktkonzept, das erstmals in den US-amerikanischen Leitlinien zur Beurteilung horizontaler Unternehmenszusammenschlüsse vorgestellt wurde, handelt es sich um das Konzept des Antitrustmarktes.57 Der Grundgedanke hinter diesem Konzept ist folgender: Marktanteile können nur dann ein brauchbares Indiz für Marktmacht sein, wenn zumindest ein Unternehmen mit einem Marktanteil von 100 % Marktmacht ausüben kann. Anders ausgedrückt: Wenn selbst ein Monopolist nicht über Marktmacht verfügt, den Preis also nicht über den Wettbewerbspreis anheben kann, dann haben Unternehmen mit einem geringeren Marktanteil als 100 % erst recht keine Marktmacht, d.h. keine Möglichkeit zur Preiserhöhung.58 In diesem Fall würden Marktanteile nichts über Marktmacht aussagen. Der