Wie eng die Substitutionsbeziehung zwischen zwei Produkten 1 und 2 und wie intensiv infolgedessen der Wettbewerb zwischen diesen beiden Produkten ist, kann mithilfe der Umlenkungskennziffer beschrieben werden.103 Da die Anteile in einem Markt mit differenzierten Gütern die erste Präferenz der Konsumenten bezüglich der Güter in diesem Markt widerspiegeln, gibt der Marktanteil von Produkt 1 den Anteil der Verbraucher an, die das Produkt 1 gegenüber allen anderen Produkten auf dem relevanten Markt bevorzugen. Die Umlenkungskennziffer in Bezug auf das Produkt 2 gibt an, wie viele Verbraucher bei einer Erhöhung des Preises von Produkt 1 zu Produkt 2 wechseln würden. Dies sind die Verbraucher, die das Produkt 2 als zweite Präferenz haben. Eine Umlenkungskennziffer von 33 % in Bezug auf Produkt 2 bedeutet zum Beispiel, dass ein Drittel des durch die Preiserhöhung eingebüßten Umsatzes von Produkt 1 auf das Produkt B umgelenkt wird. Je höher das Umlenkungskennziffer, desto intensiver ist der Wettbewerb zwischen den beiden Produkten. Marktanteile in einem Markt mit differenzierten Produkten sind daher nur insoweit ein Indikator für die Enge der Substitutionsbeziehung bzw. die Wettbewerbsintensität, als sie proportional zur Umlenkungskennziffer sind. Dies gilt jedoch nur dann, wenn alle Produkte auf dem relevanten Markt „gleichmäßig differenziert“ sind, d.h., dass der „Abstand“ der Produkte voneinander der gleiche ist.104 Dies dürfte jedoch in den meisten Märkten nicht gegeben sein, sondern ein relevanter Markt wird engere und weitere Substitute umfassen, d.h. Produkte, die mit unterschiedlicher Intensität miteinander im Wettbewerb stehen und die nicht mit den Marktanteilen korreliert sind. Infolgedessen werden die Auswirkungen einer Fusion vor allem von der Enge der Substitutionsbeziehung zwischen den Produkten der fusionierenden Unternehmen und weniger von ihren jeweiligen Marktanteilen abhängen.
Wichtig bei Analysen von Märkten mit differenzierten Gütern sind daher Informationen über die Stärke des Wettbewerbs zwischen diesen differenzierten Gütern. Eine Marktabgrenzung bei differenzierten Gütern ist daher höchst problematisch und kann leicht einen willkürlichen Charakter annehmen. Die Marktanteile der Unternehmen müssen daher in solchen Fällen mit größter Vorsicht interpretiert werden.105
In der Vergangenheit wurde dem Problem der Marktabgrenzung bei differenzierten Gütern häufig dadurch begegnet, dass in solchen Märkten neben einem zumeist nach dem Bedarfsmarktkonzept und den Kriterien der funktionellen Austauschbarkeit, der vergleichbaren Preislage, der intendierten Verwendung und den physischen Eigenschaften abgegrenzten relevanten Markt noch weitere Teilmärkte innerhalb dieses Marktes spezifiziert wurden. Ein solches Vorgehen wird jedoch bei Anwendung des hypothetischen Monopolistentests als Methode zur Marktabgrenzung abgelehnt.106 Andererseits haben Unternehmen, je nachdem, ob sie enge oder entfernte Substitute herstellen, einen unterschiedlichen Einfluss auf den Wettbewerb, der aber durch die Marktanteile nicht erfasst wird. In einer solchen Situation könnte man, um nur die Anbieter enger Substitute zu erfassen, einen Teilmarkt innerhalb des relevanten Marktes abgrenzen. Einerseits könnte man zwar hierdurch das Problem eines „lokalen Wettbewerbs“ zwischen Unternehmen zu erfassen versuchen, aber andererseits würden wichtige wettbewerbliche Schranken durch die Nachfragesubstitution unberücksichtigt gelassen.107 Die Auswirkungen des Verlustes an „lokalem Wettbewerb“ sollten daher nicht durch die Bildung von Teilmärkten erfasst werden, sondern durch eine Einschätzung der Wettbewerbssituation im gesamten relevanten Markt. So könnte man versuchen, die Marktanteile entsprechend anzupassen oder zu gewichten,108 was aber aufgrund einer gewissen Beliebigkeit ebenfalls keine befriedigende Lösung ist. Daher sollte bei der Analyse von Märkten mit differenzierten Gütern der Marktabgrenzung und den Marktanteilen insgesamt eine geringere Bedeutung beigemessen werden, und die direkte Untersuchung der wettbewerbsmindernden Wirkungen z.B. eines Zusammenschlusses sollte in den Vordergrund treten.109
Aufgrund der Tatsache, dass es zum einen problematisch ist, im Falle differenzierter Güter einen relevanten Markt sinnvoll abzugrenzen und zum anderen, dass zwischen den Marktanteilen der Produkte und der Enge der Substitutionsbeziehungen bzw. der Intensität des Wettbewerbs zwischen den Produkten kein unmittelbarer Zusammenhang besteht, wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Vorschlägen gemacht, wie man die Auswirkungen eines Zusammenschlusses auf das Marktergebnis erfassen kann, ohne erst eine Abgrenzung des relevanten Marktes vornehmen zu müssen. Dabei handelt sich sich um so genannte Indikatoren des Preissteigerungsdrucks (pricing pressure indices), wie den „Upward Pricing Pressure“ (UPP) oder den „Gross Upward Pricing Pressure Index“ (GUPPI). Diese Indikatoren haben jedoch nicht das Zweck, den relevanten Markt abzugrenzen, sondern sollen Aussagen über die möglichen Auswirkungen einer Fusion auf das Marktergebnis ermöglichen, sodass bereits in einer frühen Phase der Untersuchung eine Wettbewerbsbehörde entscheiden kann, ob sie die Fusion einer näheren Prüfung unterziehen sollte, ohne dass vorher eine komplexe und zeitaufwendige Marktabgrenzung erforderlich wäre. Diese Konzepte werden im Kontext der Analyse der Auswirkungen eines Zusammenschlusses im Dritten Teil, C.IV.2 im Detail besprochen.
In digitalen Märkten ist darüber hinaus eine Produktdifferenzierung hinsichtlich des Online- bzw. Offline-Angebots zu beachten. Manche Produkte werden, wie z.B. eBooks, online angeboten, sind aber auch, als gebundene Bücher oder Taschenbücher, offline verfügbar. Hier stellt sich entsprechend die Frage, ob Online- und Offline-Produkte als Substitute zu betrachten sind, die dem gleichen relevanten Markt zugehören. Bei einigen Produkten betrifft die Unterscheidung vor allem den Vertriebskanal, wenn bestimmte Produkte, z.B. Kleidung, über die Website des Herstellers erhältlich sind, aber auch in Ladengeschäften.110 Dabei können, wie z.B. bei Sportschuhen, bestimmte Beratungs- und Serviceleistungen nur in Ladengeschäften angeboten werden. Bei bestimmten Dienstleistungen, wie z.B. Beratungsdienstleistungen, die entweder online über entsprechende Websites angeboten werden oder in Form einer direkten und persönlichen Beratung durch einen Experten, wie z.B. einen Steuerberater, könnten die Differenzen so erheblich sein, dass von unterschiedlichen relevanten Märkten ausgegangen werden muss.
Bei der Abgrenzung des relevanten Marktes sollte jedoch nicht entscheidend sein, welche Vertriebswege für ein Produkt Verwendung finden, um unterschiedliche relevante Märkte abzugrenzen. Konzeptionell ist auch bei der Frage, ob Online- und Offline-Angebote dem gleichen relevanten Markt zugeordnet werden sollten, der Ansatz des hypothetischen Monopolistentests aus ökonomischer Sicht die sinnvollste Vorgehensweise: Würde ein gewinnmaximierender Monopolist die Preise für die Produkte, z.B. im Online-Markt, erhöhen und dies ein Substitutionsverhalten der Abnehmer auslösen, so würde dies eine solche Preiserhöhung unprofitabel machen.
Insbesondere im Zusammenhang mit Werbung gibt es eine intensive Diskussion, ob Online- und Offline-Werbung dem gleichen relevanten Markt zuzurechnen ist.111 Der Unterschied zwischen beiden Formen der Werbung basiert vor allem darauf, dass es sich bei Online-Werbung in vielen Fällen um personalisierte Werbung handelt, die aufgrund des Such- oder des Kaufverhaltens eines Konsumenten auf seine persönlichen Präferenzen abgestimmt ist (search-based advertising). Die Ergebnisse einer Suchanfrage enthalten dann Werbung, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der jeweiligen Suchanfrage steht und die entsprechenden Produkte und Dienstleistungen bewirbt. Daneben gibt es online aber auch nicht-personalisierte Werbung, die jedem Konsumenten in der gleichen Form beim Aufruf einer bestimmten Website gezeigt wird (display advertising). Hier kaufen Unternehmen Werbefläche auf bestimmten Webseiten, die mit ihren Angeboten in engem Zusammenhang stehen. Neben der Online-Werbung stehen den Unternehmen natürlich noch die herkömmlichen Medien zur Verfügung, wie zum Beispiel Fernsehwerbung,