dd) Der Effektivitätsgrundsatz
Damit auf der Grundlage des ProdSG allerdings effektiv Gefahren vor Produktrisiken abgewehrt werden können, ist bei der Störerauswahl der Effektivitätsgrundsatz99 vorrangig zu beachten. Das bedeutet, dass die Gefahrenbeseitigungsmaßnahmen zu einem raschen und wirksamen Abwehrerfolg führen müssen.100 Entscheidend ist, schnell einen gefahren- und störungsfreien Zustand zu erreichen.101 Im Produktsicherheitsrecht bedeutet dies eine Ausrichtung des Ermessens am Ziel, den Zustand der Nichtkonformität in Bezug auf das in Rede stehende Produkt wirksam zu beenden.102 Somit muss im Rahmen des Ermessens festgestellt werden, welcher Wirtschaftsakteur den festgestellten Verstoß am effektivsten abstellen kann.103
Im Rahmen der Abwägung innerhalb des Effektivitätsgrundsatzes ist des Weiteren auch das Verursacherprinzip zu beachten: Danach sind Maßnahmen, die an der Quelle, das heißt bei der Herstellung des gefährlichen Produkts, ansetzen, wirksamer als Maßnahmen im Einzelhandel, sodass der Grundsatz der quellnahen Überwachung von hoher Bedeutung ist.104 Indem das Produktrisiko an der Quelle, also beim Hersteller, bekämpft wird, kann das Inverkehrbringen des unsicheren Produkts nur durch einen Verwaltungsakt effektiv unterbunden werden. Folglich muss die Marktüberwachungsbehörde nicht mehrere, möglicherweise regional weit verstreute einzelne Händler identifizieren und zum Unterlassen der Inverkehrgabe der Produkte verpflichten. Das Erlassen eines Verwaltungsakts ist erheblich effektiver und zeitsparender als der Erlass mehrere Verwaltungsakte gegenüber verschiedenen Wirtschaftsakteuren. Gleiches gilt, wenn Produkte aus dem Markt zurückgerufen105 oder zurückgenommen106 werden müssen. Indem das Produktrisiko an der Quelle bekämpft wird, kann durch einen Verwaltungsakt gegenüber dem Hersteller der Rückruf oder die Rücknahme angeordnet werden, anstatt mehrere Händler dazu zu verpflichten.
Obwohl die gesetzliche Vorrangregelung abgeschafft wurde, sieht der Länderausschuss für Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik (LASI) dennoch die quellnahe Bekämpfung mit ihrem Verursacherprinzip als Maxime in der effizienten Marktüberwachung, sodass Händler keinesfalls verstärkt in den Fokus der Marktüberwachungsbehörden gerückt werden sollen, sondern die Hersteller weiterhin die zentrale Person von Marktüberwachungsmaßnahmen darstellen sollen.107
ee) „andere Person“
Des Weiteren wird aufgrund der Konzeption des Ausnahmetatbestands für die Adressatenauswahl nach § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG deutlich, dass die Marktüberwachungsbehörden hinreichend bestimmte Kenntnis davon besitzen müssen, welcher Wirtschaftsteilnehmer Hersteller im Sinne des ProdSG ist. Nach § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG können im Ausnahmefall auch Wirtschaftsteilnehmer in Anspruch genommen werden, die keine Wirtschaftsakteure im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG sind. Die Ausnahmeregelung des § 27 Abs. 1 S. 2 ProdSG stellt folglich eine Ausformulierung der Figur des sogenannten Nichtstörers dar. Diese Person ist für eine vorhandene Störung nicht verantwortlich. Deshalb darf gegen eine solche Person nur ausnahmsweise vorgegangen werden, wenn ein Vorgehen gegen einen Störer, das heißt einen legaldefinierten Wirtschaftsakteur, nicht möglich ist oder es keinen Störer gibt.108 Voraussetzung für die rechtmäßige Inanspruchnahme des Nichtstörers ist die Unmöglichkeit, das im Raum stehende ernste Produktrisiko „auf andere Weise“ abzuwehren. Mit diesem Tatbestandsmerkmal regelt der Gesetzgeber deutlich den – verfassungsrechtlich gebotenen – Vorrang der Inanspruchnahme der Wirtschaftsakteure nach § 2 Nr. 29 ProdSG.109 Folglich kann eine „andere Person“ nur dann rechtmäßig in Anspruch genommen werden, wenn Maßnahmen gegen den betroffenen Wirtschaftsakteur, insbesondere den Hersteller, nicht Erfolg versprechend sind. Um dies zu beurteilen, muss der Hersteller allerdings durch die Marktüberwachungsbehörde zunächst rechtssicher identifiziert werden können.
b) Zwischenergebnis
Aus staatlicher Sicht ist es für den Erlass einer rechtmäßigen Maßnahme gegen einen Wirtschaftsakteur im Sinne des § 2 Nr. 29 ProdSG unerlässlich, dass die Marktüberwachungsbehörden im Rahmen der Störerauswahl die Tatbestandsvoraussetzungen der Wirtschaftsakteure und insbesondere des Herstellers korrekt anwenden. Wird der Wirtschaftsüberwachungsverwaltungsakt an einen Wirtschaftsteilnehmer als Hersteller gerichtet, der nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt, ist der Verwaltungsakt gegenüber diesem Wirtschaftsteilnehmer rechtswidrig. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der Wirtschaftsteilnehmer, der die Tatbestandsvoraussetzungen des Herstellers nicht erfüllt, indes nicht automatisch als Händler, Bevollmächtigter oder Einführer angesehen werden kann. Durch die falsche Anwendung des Herstellerbegriffs seitens der Marktüberwachungsbehörden können in diesem Fall Schutzlücken entstehen, indem rechtswidrige Verwaltungsakte erlassen werden, die den betreffenden Wirtschaftsteilnehmer nicht rechtmäßig verpflichten und die er daher anfechten kann. Dadurch können gefährliche Produkte im Feld verbleiben oder weiterhin auf dem Markt bereitgestellt werden. Die Inanspruchnahme einer „anderen Person“ ist nämlich nur dann möglich, wenn Maßnahmen gegen die Wirtschaftakteure nicht einleitbar sind. Jedoch ist Voraussetzung, dass die Wirtschaftsakteure, das heißt insbesondere der Hersteller, zuvor zutreffend identifiziert wurden.
Die rechtmäßige Auswahl des Wirtschaftsakteurs kann nur dann erfolgen, wenn die Begriffe der verschiedenen Wirtschaftsakteure durch die erlassende Wirtschaftsüberwachungsbehörde rechtmäßig ausgelegt und angewendet werden. Der zentrale Wirtschaftsakteur als Adressat von Wirtschaftsverwaltungsakten ist der Hersteller, der im Rahmen des Auswahlermessens von entscheidender Bedeutung ist. Dies ergibt sich zum einen aus dem Grundsatz der effektiven Gefahrenabwehr, nach dem die Gefahrenabwehr grundsätzlich an der Gefahrenquelle, das heißt beim Hersteller, ansetzen sollte. Zum anderen ist zu beachten, dass sich Marktüberwachungsmaßnahmen wie ein Rückruf nach § 26 Abs. 2 Nr. 7 ProdSG oder ein Vertriebsstopp nach § 26 Abs. 2 Nr. 4 ProdSG am effektivsten beim Hersteller durchsetzen lassen. Der Hersteller ist in der Lage, relevante Informationen für einen Produktrückruf zu sammeln und zur Verfügung zu stellen. Sobald der Hersteller mehr als einen Händler beliefert, wäre ein Rückrufverwaltungsakt gegen zwei Händler weniger effektiv als ein Rückrufverwaltungsakt gegen den Hersteller, der über seine Händler die Informationen erhält, an welche Endkunden die Produkte vertrieben wurden.
40 Siehe dazu Teil B. III. 1. b) ff. 41 Siehe dazu Teil B. III. 1. e). 42 Siehe dazu Teil B. III. 1. a). 43 Bei einem Konstruktionsfehler bleibt nicht nur ein einzelnes Produkt, sondern auch die ganze Serie hinter dem zu erwartenden Sicherheitsstandard zurück, vgl. dazu Lach/Polly, Produktsicherheitsgesetz, S. 57. 44 Im Rahmen der Produktion hat der Hersteller negative Abweichungen eines einzelnen Produkts oder einzelner Produkte von dem Design beziehungsweise dem Bauplan zu verantworten. Diese Art Fehler haben ihren Ursprung zumeist in der Fertigung, vgl. dazu Lach/Polly, Produktsicherheitsgesetz, S. 56. 45 Ein Instruktionsfehler liegt