Doch dann, eines regnerischen Abends im November 1992, gingen Fergus und ich in unsere Stammkneipe auf ein Bier. Es war ungewöhnlich still. An diesem Tag hatte es kein Shinty-Match gegeben, weil das Spielfeld vom Regen völlig durchweicht war, und nur wenige von unseren Kumpeln waren aufgetaucht. Wir redeten über das, was wir am frühen Abend im Fernsehen gesehen hatten. Eine Reportage hatte das Leid der Menschen in Bosnien-Herzegowina gezeigt, die vor ethnischen Säuberungsaktionen geflohen waren und jetzt in Flüchtlingslagern lebten. Das Jugoslawien, das wir als Teenager besucht hatten, riss sich selbst in Stücke. Im Jahr 1991 hatten Slowenien und Kroatien ihre Unabhängigkeit erklärt; ein Schritt, der einen Krieg zwischen den Serben, der im jugoslawischen Staat dominierenden Volksgruppe, und denjenigen entfachte, die sich davon lösen wollten. Ein Jahr später brach in Bosnien-Herzegowina, Heimat von Kroaten, Muslimen und Serben, ein Bürgerkrieg aus – vor den Kameras der Welt nahm ein entsetzlicher Konflikt seinen Lauf. In Medjugorje erschien die Gottesmutter, die Königin des Friedens, den sechs jungen Leuten immer noch. Der Titel, mit dem sie sich selbst bezeichnet hatte, gewann nun eine neue Bedeutung. Über die Jahre hinweg handelten ihre Botschaften immer wieder vom Weg zum Frieden, darüber, wie Kriege vermeidbar wären, wenn wir nach der Botschaft des Evangeliums lebten. Auf den Tag genau zehn Jahre, nachdem sie diesen sechs Kindern in Medjugorje erschienen war, fielen die ersten Schüsse dieses Krieges. Während der Horror sich ausbreitete und ein Strom von Reportagen über blutige Massaker, ethnische Säuberungen und Massenvergewaltigungen das moderne Europa schockierte, wurden der Grund für einige Botschaften der Gottesmutter und die Dringlichkeit, mit der sie sie formuliert hatte, sehr viel klarer. Vielleicht hatten einfach zu wenige von uns, die wir das Privileg gehabt hatten, ihre Botschaften zu hören und zu glauben, diese in ihrem Leben praktisch umgesetzt.
Dieser eine Bericht hatte sich auf ein Lager in der Nähe von Medjugorje konzentriert. Das war wohl der Grund dafür, dass wir anfingen, darüber zu reden, wie gern wir den Menschen dort helfen wollten. Wir kannten eine Gruppe in London, die Hilfsgütertransporte nach Medjugorje organisierte, und wir begannen, darüber zu sprechen, eine Hilfsaktion in unserer Gegend zu organisieren und sie von einem dieser Konvois mitnehmen zu lassen. Als das Pub dann zugemacht hatte und wir den schwarzen Fluss entlang zurückgingen, der uns vor so vielen Jahren fast davon abgehalten hätte, Medjugorje zu besuchen, redeten wir immer enthusiastischer von einem neuerlichen Besuch.
Am nächsten Tag besprachen wir unsere Idee mit den anderen Familienmitgliedern, und bevor wir noch länger darüber nachdenken konnten, wurde unser kleiner Aufruf gestartet. Mum und Dad riefen diverse Freunde und regelmäßige Besucher des Exerzitienhauses an und fragten nach, ob sie helfen könnten, und es dauerte nicht lang, bis Pakete mit Lebensmitteln, Kleidung und Medikamenten bei uns daheim eintrudelten. Zu unserer Überraschung trafen mit der Post auch Geldspenden ein. Schnell nahmen Fergus und ich eine Woche Urlaub von den Fischfarmen, in denen wir arbeiteten. Wir verwendeten die Geldspenden, um einen gebrauchten Landrover zu kaufen. Von denen, die die Konvois in London organisierten, hatten wir gehört, dass dringend Autos für die Verteilung der Hilfsgüter in den Bergen von Bosnien-Herzegowina gebraucht wurden. Wir hatten daher vor, mit dem Konvoi von London aus aufzubrechen, sowohl die Spenden als auch den Landrover in Medjugorje zu lassen und dann mit dem Flugzeug wieder heimzukehren.
Nicht einmal drei Wochen nach unserem Gespräch im Pub fuhren wir dann tatsächlich in einem gefährlich überladenen Landrover von London Richtung Dover und dann weiter nach Bosnien-Herzegowina. Unsere Arbeitgeber konnten uns so kurzfristig nicht mehr als eine Woche Urlaub geben. Damit wir also in der Zeit, die uns zur Verfügung stand, dorthin und wieder zurück kämen, hatten wir ein paar Freunde gebeten, den ersten Abschnitt der Reise von Dalmally nach London zu fahren, und wir flogen runter, um einen Tag zu gewinnen.
So kam es also, dass wir wieder in Medjugorje eintrafen, mit einem Landrover vollgefüllt mit Geschenken für Leute, die wir gar nicht kannten; viele von ihnen lebten in aufgegebenen Eisenbahnwaggons in einem Flüchtlingslager in der Nähe. Wir waren alle zum ersten Mal seit unserem Besuch in den frühen 1980er-Jahren wieder hier – zum ersten Mal als erwachsene Männer –, und wir waren zunächst irritiert von all den Gästehäusern und Hotels an Orten, wo früher nur Weinberge gewesen waren. Aber als wir auf den Krizevac gingen und dabei die Kreuzwegstationen beteten und zusammen am Fuß des riesigen weißen Kreuzes am Gipfel saßen, wussten wir, dass all der Segen und die Gnaden, die wir hier als Teenager erfahren hatten, erneut über uns ausgegossen wurden.
Mit dankbarem Herzen kehrten wir nach Hause zurück. Daheim machte ich dann eine erstaunliche Entdeckung: Die Spenden von Hilfsgütern und Geld, die auf unseren ersten kleinen Aufruf hin in Craig Lodge eingelangt waren, hatten nicht nachgelassen – aus dem kleinen Bach war mittlerweile geradezu eine Sintflut geworden. Die Schuppen neben Craig Lodge, die ich von meinem Vater ausgeborgt hatte, waren jetzt bis unter die Decke voll mit medizinischen Hilfsmitteln, Nahrungsmitteln, Decken und Kleidung. Mum und ihre Freundinnen hatten alle Hände voll zu tun, alles zu ordnen und einzupacken.
Mir wurde klar, dass ich jetzt eine Entscheidung zu treffen hatte. Nach mehreren Tagen des Gebets und Nachdenkens reichte ich meine Kündigung bei der Fischfarm ein und bot mein Haus zum Verkauf an. Es war keine schwere Entscheidung. Ich hatte schon eine Weile nach etwas anderem in meinem Leben gesucht. Nun bot sich hier, ganz unerwartet, eine Gelegenheit. Mum hatte vor Kurzem von einer entfernten Verwandten ein ziemlich wertvolles Gemälde geerbt, das sie verkaufte, damit wir Geld hatten, einen kleinen Lastwagen zu kaufen. Wenn ich nicht unterwegs war, könnte ich zu Hause in Craig Lodge schlafen, sagte sie mir. Und so war ich plötzlich, ohne genaueren Zeitrahmen oder „Masterplan“ im Kopf und ohne irgendwelche diesbezüglichen Erfahrungen in der Position, Hilfsgüter für die Menschen in Bosnien-Herzegowina zu sammeln und zu verteilen.
III.
Kleine Akte der Liebe
Gib demjenigen etwas, der in Not ist, und sei es noch so wenig. Denn es ist nicht wenig für den, der nichts hat. Und es ist nicht wenig für Gott, wenn wir gegeben haben, was wir konnten.
(Gregor von Nazianz)
Währenddessen waren Mum und Dad zu Hause damit beschäftigt, jeden anzurufen, den sie kannten. Im Lauf der Jahre waren Tausende Leute bei ihnen im Einkehrzentrum gewesen, und viele waren gute Freunde geworden. Über die Anrufe, mit denen sie von unserer Initiative für die Menschen in Bosnien-Herzegowina erfuhren, wurde schnell ein ganzes Heer von Mitarbeitern mobilisiert. Mum war noch nicht zufrieden – sie schrieb außerdem jede katholische Gemeinde in Schottland an und bat um Hilfe. Die Reaktion war unglaublich. Den ganzen Tag über riefen Leute an, die ihre Hilfe anboten. Jeden Morgen brachte der Briefträger stapelweise Briefe mit Schecks über persönliche Spenden, Kirchenkollekten oder die Erträge von Wohltätigkeitsveranstaltungen. Julie saß stundenlang an ihrer Schreibmaschine und schrieb Dankesbriefe, und ich fuhr die meiste Zeit durch die Gegend, um Materialspenden einzuladen und in die Schuppen bei der Craig Lodge zu bringen, wo wir die Sachen dann sortierten und zum Transport verpackten. Es war harte Arbeit, die wir ohne die zahlreichen Freunde, die uns regelmäßig halfen, nie bewältigt hätten.
Eine meiner Lieblingstätigkeiten war das Beladen der Lastwagen, die nach Bosnien-Herzegowina fahren sollten. Ich sah es als große Verantwortung an, sicherzustellen, dass auch noch der letzte Quadratzentimeter vollständig ausgenutzt war, sodass mit jeder teuren, zeitaufwendigen Reise so viel wie möglich zu den notleidenden Menschen gebracht werden konnte. All die diversen Hilfsgüter