Eine Schale Getreide verändert die Welt. Magnus MacFarlane-Barrow. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Magnus MacFarlane-Barrow
Издательство: Bookwire
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Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783702236076
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außerdem harte körperliche Arbeit, aber das hatte ich eigentlich auch vermisst, seit ich nicht mehr bei der Fischfarm arbeitete, wo ich sechs Jahre lang täglich körperlich anspruchsvolle Arbeit geleistet hatte. Am wenigsten lag mir, vor Menschen Vorträge zu halten und Präsentationen durchzuführen, die verständlicherweise an Berichten und Feedback interessiert waren. Oder sagen wir genauer: Ich dachte, das läge mir am wenigsten. Eine ganze Zeitlang schaffte ich es nämlich, solchen Einladungen aus dem Weg zu gehen, indem ich Mum oder Julie bat, diese Gespräche und Vorträge in Kirchen, Schulen oder vor anderen Unterstützergruppen zu übernehmen, während ich es im Vorfeld so organisierte, dass ich in irgendeiner entfernten Ecke des Landes eine Sachspende abholen musste.

      In Glasgow, der größten Stadt Schottlands, halfen uns John und Anne Boyle, ein wunderbares älteres Ehepaar. Sie organisierten in der Stadt eine freiwillige Helfergruppe und bekamen außerdem vom Gemeinderat eine kostenlose Lagerhalle sowie einen Lastwagen zur Verfügung gestellt, mit dem die Sammlungen transportiert werden konnten. Es dauerte nicht lang, bis hier der Großteil unserer Aktivitäten ablief. Das kostenlose Lager war eine hochwillkommene Gabe, allerdings war es aufgrund seiner Lage nicht so ganz ideal. Die Halle war im vierten Stock, und sämtliche Sachen mussten mit einem sehr alten Lift dorthin und von dort wieder wegtransportiert werden. An den Tagen, wenn wir den Lastwagen für den Transport ins Ausland beluden, füllte ein Team im vierten Stock den Lift immer wieder auf und schickte ihn an das Team im Erdgeschoss, das die Ladung dann in den Lastwagen trug. Mehr als einmal machte der Lift schlapp. Wir begriffen schnell, dass die städtischen Behörden nur dann sofort einen Techniker schickten, um den Lift zu reparieren, wenn sich in dem steckengebliebenen Lift eine Person befand, andernfalls konnte es Stunden oder sogar Tage dauern, bis wir mit dem Beladen weitermachen konnten. Irgendwann entdeckten wir, dass wir in den steckengebliebenen Lift durchs Dach hineinklettern konnten, und manchmal machten wir das auch tatsächlich, bevor wir bei der Stadt anriefen. Dann konnten wir die ehrliche Antwort geben: „Ja, es ist jemand drin.“ Ich glaube, ihnen war schon klar, was dahintersteckte, wenn sie ankamen und einen von uns in der Liftkabine vorfanden, mit hochrotem Gesicht und neben einen Stapel Kisten gequetscht, aber wir hatten den Eindruck, dass sie wie alle anderen in der Stadt einfach Teil unserer Bemühungen sein und dafür sorgen wollten, dass die Aktion erfolgreich weiterlief.

      Anfangs kam in Glasgow ein Großteil der Unterstützung von den Kirchen, doch als die große muslimische Gemeinde von unserer Arbeit hörte, brachte sie sich ebenfalls sehr engagiert ein. Die Muslime organisierten regelmäßige Nahrungsmittelsammlungen in den Moscheen und transportierten unglaubliche Mengen in unsere Lager. Viele Leute in dieser asiatischen Gemeinde, vor allem Menschen aus Pakistan, hatten mit Lebensmittel-Großhandelsunternehmen zu tun, und häufig spendeten sie uns ihre überschüssigen Lagerbestände.

      Trocken- und Konservennahrung konnten wir nie genug bekommen. Derartiges stand immer ganz oben auf den Listen mit dringend gewünschten Dingen, die wir aus Bosnien-Herzegowina erhielten. Wir wendeten uns an Supermärkte und baten um die Erlaubnis, Lebensmittelsammlungen durchzuführen. Man erlaubte uns, uns mit einem leeren Einkaufswagen an den Eingang zu stellen und Flugblätter an die Kunden zu verteilen, die den Supermarkt betraten. Darin baten wir sie, etwas von unserer Liste zu kaufen und es, wenn sie den Markt wieder verließen, in unseren Einkaufswagen zu legen. Ein kleines Team begab sich jedes Wochenende zu einem anderen Supermarkt, und die Bereitwilligkeit, mit der die Leute jeweils spendeten, war umwerfend. Es war außerdem ein sehr effizientes Verfahren, denn ein Team auf der Ladefläche unseres Lastwagens konnte gleich jedes Produkt kategorisieren und entsprechend verpacken, wenn es hereingegeben wurde. Normalerweise kamen wir dann am späten Abend mit vollen Kisten in unser Lager, die schon fertig beschriftet waren mit Aufschriften wie Dosengemüse, Pasta, Zucker und so weiter und nur noch ausgeliefert werden mussten.

      Fast sämtliche Kisten, die wir zum Verpacken benutzten, wurden von Whiskyfirmen zur Verfügung gestellt. Es waren robuste Kisten, ideal für unsere Zwecke geeignet, allerdings konnten sie gewaltige Aufregung und Empörung bei Grenzkontrollen auslösen. Zollbeamten und Polizisten blieb die Luft weg, wenn wir auf ihre Aufforderung reagierten, die Ladefläche unseres Lastwagens zwecks Inspektion zu öffnen. Sie vermuteten natürlich als Erstes, dass diese „Wohltätigkeitsheinis“ in Wahrheit Whiskyschmuggler waren. Und sie machten immer einen etwas enttäuschten Eindruck, wenn wir die Kisten öffneten und der banale Inhalt zum Vorschein kam.

      Im Lauf der Zeit stellten wir ein interessantes Muster bei den Supermarktsammlungen fest: Wir erhielten in den ärmeren Vierteln Glasgows – häufig in Siedlungen mit den schlimmsten Arbeitslosigkeits- und Armutsquoten in ganz Großbritannien – deutlich mehr Spenden als in den wohlhabenderen Vororten. Nicht dass ich behaupten könnte, die Gründe dafür zu kennen – aber es war jedenfalls ein reales und sehr deutlich ausgeprägtes Phänomen.

      Etwas schwerer fiel es mir, „Spendermuster“ vorherzusagen, wenn ich auf der Straße eine Geldsammlung durchführte. Diese Tätigkeit fand ich wesentlich unangenehmer als die Supermarkt-Sammlungen. Mir kam es irgendwie schwieriger vor, einen Fremden um Geld zu bitten statt um Essen. Obwohl ich ganz offenkundig nicht für mich selbst sammelte, fiel es mir aus irgendeinem Grund sehr schwer, mit einer Sammelbüchse zu rasseln und zu sagen „Bitte helfen Sie den Menschen von Bosnien-Herzegowina“. Es war immer ein Moment von Erniedrigung damit verbunden; möglicherweise eine winzige Ahnung davon, was es bedeutet, für die eigenen Bedürfnisse betteln zu müssen.

      Um mir die langen Stunden auf der Straße zu vertreiben, machte ich mir manchmal ein Spiel daraus, zu raten, wie die Fußgänger reagieren würden, wenn sie auf mich mit meiner Sammelbüchse zukamen: der muskulöse Typ mit den Tattoos; die Frau mit dem Kinderwagen; die Schulkinder in der Mittagspause; der Straßenmusikant, der genervt war von meiner Anwesenheit in „seinem Revier“. Immer wieder wurde ich überrascht. Ich konnte überhaupt keine Muster erkennen, keine Kategorien von Leuten aufstellen und sie in Beziehung setzen zu der Wahrscheinlichkeit, mit der sie ein paar Münzen in meine Büchse warfen. Und ich konnte auch keine unterschiedlichen Muster bei Männern oder Frauen erkennen, bei Jungen oder Alten, bei eher bescheiden oder eher selbstbewusst Auftretenden, bei Sängern alter deprimierender schottischer Lieder oder peppig, aber falsch spielenden Dudelsackspielern. Ich bin sicher, andere haben auf diesem Gebiet wissenschaftliche Experimente durchgeführt und könnten mich widerlegen; ich stellte jedenfalls fest, dass Menschen jeglicher Art extrem großzügig und extrem geizig sein können.

      Einen noch sehr viel krasseren und interessanteren Kontrast erlebten wir, als wir die Erlaubnis erhielten, im Vorfeld eines nationalen Pokalendspiels eine Straßensammlung vor dem Fußballstadion zu veranstalten; das Spiel wurde ausgetragen zwischen den beiden Giganten des schottischen Fußballs, den Glasgow Rangers und Celtic Glasgow. Das Konkurrenzverhältnis zwischen diesen beiden Teams steht in dem Ruf, womöglich die leidenschaftlichste Rivalität im gesamten Weltfußball zu sein, repräsentieren sie doch die Gruppierungen der Protestanten und der Katholiken Westschottlands und den reichlich abstoßenden historischen Ballast, der damit verbunden ist. Wir waren also nicht ganz frei von gewissen Befürchtungen, als wir uns mit unseren Sammelbüchsen unter die Fans mischten, die zu Zehntausenden ins Stadion strömten. Ich fragte mich, ob sie uns überhaupt wahrnehmen oder auf unsere Bitten reagieren würden. Meine Sorgen waren unberechtigt – sie spendeten in ganz unglaublichem Ausmaß. Es war die ergiebigste Spendenaktion, die wir bis dahin erlebt hatten. Ich vermute, dass ein bestimmtes Wettbewerbselement mit hineinspielte. Vielleicht nahmen sie ja an, dass wir die Erträge getrennt ermitteln würden, einerseits die von den Fans in Blau, andererseits die von den Fans in Grün, und das Ergebnis würden wir dann an die große Glocke hängen, sodass jeder es mitbekam. Oder vielleicht begünstigten auch die vor dem Spiel konsumierten Biere das Öffnen von Herzen und Geldbeuteln. Was auch immer die Gründe sein mögen (und ich bin sicher, in Wahrheit waren sie sehr viel ehrenwerter als meine Vermutungen), jedenfalls sammelten wir in der kurzen Zeit, während die Fans ins Stadion eingelassen wurden, eine absolute Rekordsumme. Die Verbindung mit diesen Fußballvereinen in Glasgow hatte übrigens auf unterschiedliche Weise noch weiter Bestand.

      Ein paar Jahre nach dieser Episode wurde ich zwei berühmten ehemaligen Fußballern vorgestellt, Frank McGarvey und Gordon Smith, die für Celtic bzw. die Rangers gespielt hatten. Sie beschlossen, ein Benefizspiel zwischen ehemaligen Spielern beider Clubs zu organisieren, um Spenden für uns einzutreiben. Als Celticfan und begeistertem