Erfahrung Neu Delhi-Neustrelitz.., Pakistan.., Iran..,Himalaja. Andreas Goeschel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Goeschel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Книги о Путешествиях
Год издания: 0
isbn: 9783748571544
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      Ihre Schätze, leere Plastiktüten, unter dem Arm. Doch wie leuchteten die glänzenden Augen aus den verstaubten Kindergesichtern, wenn sie ein paar Rupis bekamen und sich sofort Früchte oder billige Leckereien kaufen konnten. Diese Augen waren so klar und dankbar, daß Lutz oft die nimmersatten, unzufriedenen deutschen Fettlebegören als widerlichen Kontrast zu diesen Drahtbeinen hier erwähnte.

      Stets hatten sie uns gewinkt und gegrüßt und sich immer echt gefreut, auch wenn es mal nichts gab.

      Lutz hatte vor ein paar Tagen einen größeren Karton guter Kekse gekauft.

      Damit ist er dann in so ein Straßenrandlager hineingeklettert. Dort lebten Menschen wie man sich das kaum vorstellen kann. Es waren Menschen, die so gut wie nichts besaßen. Eigentlich unvorstellbar. Menschen des Abgrunds. Und ihre Kinder.

      Lutz hatte den Kindern die Keksschachtel hingehalten und innerhalb von drei oder vier Sekunden war der Karton leer gewesen. Sie hatten sich hineingekrallt, die Hände voll, die Münder voll. Schnell war es gegangen. Ein paar waren heruntergefallen, andere haben sich draufgestürzt.

      Abends hat er dann im Hotel an der Erde gesessen und geheult.

      Ich war befremdet.

      Wir können nichts ändern!

      Er meinte, doch, immer da, wo man ist, da soll man auch was machen.

      Doch nun würden wir Delhi verlassen.

      Endlich Abfahrt!

      Um 13.50 Uhr starten wir von Delhi aus in Richtung Norden.

      Der Kilometer-Stand Auf meiner Armatur war vierundvierzig.

      Die Straßen sind trotz des regen Verkehrs teilweise recht gut befahrbar und wir haben schnell die ersten 100 Kilometer geschafft.

      Es pocht ein anderer Puls. Lutz sagt sich um sich Mut zu machen, wenn er seine 200 Stunden auf diesem Motorhocker absitzt, dann ist er Zuhause. Und er sagt auch, daß er es allein auf keinen Fall geschafft hätte. Als wenn nun schon was geschafft wäre, außer daß wir losgefahren sind.

      Doch es ist schön und befreiend, durch die Alleen zu brummen.

      Die Luft wird gut.

      Das Auge bekommt genug grün zu sehen. Es passiert endlich was Konkretes. Wir rücken tatsächlich der Heimat näher. Wir sind auf Reise. Das Wetter ist wunderbar. Die Menschenmassen lassen wir hinter uns und der Straßenverkehr ist erträglich und auch belustigend. Es gibt viel Neues zu sehen und eine gewisse Normalität kehrt ein. Wir fahren langsam, zwischen vierzig und fünfzig Stundenkilometer.

      Abends fahren wir in die Dämmerung. Allerdings hatten wir uns fest vorgenommen, auf keinen Fall nachts zu fahren. Schon am Tage ist es mitunter sehr abenteuerlich, wenn plötzlich sechs Meter hoch beladene Lastkraftwagen schwankend über die Straße pendeln, die Autos weichen aus und ziehen ihre Slalombahn zwischen Ochsenkarren, Kühen, Rikschas, Hunden und Menschen mit oftmals halsbrecherischer Geschwindigkeit.

      Wir fahren sowieso langsam, denn die Motore müssen ja vorsichtig eingefahren werden.

      Im Dunkelwerden haben wir uns dann plötzlich verloren.

      Ich fahre bis dorthin zurück, wo ich Lutz das letzte Mal gesehen hatte.

      Es ist ein ganzes Ende.

      Ich finde ihn nicht und denke über die Konsequenzen nach, sollten wir uns tatsächlich nicht wiedertreffen.

      Da wird mir ziemlich mulmig zumute.

      Dann wieder dorthin zurück, wo ich vorhin gewendet hatte.

      Da steht er und wartet. Denn dort hatte er mich zuletzt gesehen.

      Kurz vorher hatte er mich unbemerkt überholt, war aber der Annahme gewesen, gesehen worden zu sein.

      Wir sind sehr froh. Es ist eine Praxis, die wir vorher abgemacht hatten und die auch stets funktionierte. Wenn man sich verliert, anhalten, warten. Und dann bis dahin zurück, wo man sich das letzte Mal gesehen hat. Zwischen diesen Punkten, wo das Verschwinden bemerkt wurde und dem letzten Sichtkontakt, da wird man sich immer wieder finden. Nur andere Sperenzchen sollte man dabei unterlassen.

      Da wir Unterkunft suchen und noch nichts gefunden haben, fahren wir weiter in die zunehmende Dunkelheit. Und das, was wir nur aus Warnungen kannten, merken wir nun sofort. Welch große Gefahr das Fahren in der Dunkelheit ist, zeigt sich auf erschreckende Weise.

      Laster ohne Licht rasen an uns vorbei. Sie fahren alle wie die Wahnsinnigen. Die Karren, Autos, Radfahrer, Tiere, Fußgänger, alles quirlt im Spuk von Licht und Dunkelheit durcheinander. Die Beleuchtung der Fahrzeuge ist das Gefährlichste, denn viele haben gar keine, manche nur vorne oder nur ein funzliges Lämpchen. Zuweilen wird aber auch alles von bestialischem Flutlicht überstrahlt, das dann eine um so schwärzere Dunkelheit hinterläßt.

      Es ist ziemlich aktiver Horror.

      Wir nehmen uns nun richtig ernsthaft vor, nur noch im Hellen zu fahren, nachdem wir gegen 19.00 Uhr im Hotel „Gold” in der Stadt Panipat das Etappenziel ausgemacht haben. Der Preis ist auch Gold, denn fast 800 Rupis sind immerhin das Dreifache vom Tagespreis für das „Roxi“.

      Dafür haben wir aber eine feine Dusche und ein schönes Zimmer, wo wir unser zuvor erstandenes leckeres Abendessen in aller Ruhe einpicken können. Der unvermeidliche Fernseher ist auch wieder dabei.

      Donnerstag, 8.Februar 23. Tag

      Unsere Tage in Indien sind gezählt, bald sind es die Stunden.

      Trotz des ständigen Gehupes und des LKW-Lärms von der Magistrale vor der Haustür, haben wir gut geschlafen. Bin zwar noch heiser, aber die Schluckbeschwerden sind weg. Unser gestriges Abendbrot, sowie das heutige Frühstück bestehen aus Bananen, Honiggebäck, gebackenem Toast und Tee, das Ganze für zwei Mark.

      Halb neun in der Frühe geht es weiter. Ungefähr 200 Kilometer vor Amritsar ist dann Pause und Mittagessen.

      Nach dem Mittag habe ich habe Angelika angerufen, das wir nun auf Rücktour sind.

      Wenn wir heute bis Amritsar kommen, haben wir fünf Prozent der Strecke geschafft.

      Wie immer wird es früher dunkel, als wir erwartet hatten und wir können in der kurzen Dämmerung kein Hotel finden. Wir verstoßen also wieder gegen unseren Vorsatz und fahren in die schnell kommende Nacht hinein.

      Allerdings mit größter Vorsicht und so gelingt es uns, ohne besonderes Mißgeschick, die Stadt zu erreichen.

      Einmal bleibe ich mit meinem querliegenden Rucksack auf dem Seitengepäckträger bei einer Kreuzungsanfahrt an einer Rikscha hängen.

      Bei lediglich zehn Stundenkilometern ist das, Gott sei Dank, kein Problem.

      Das Quartier kostet diesmal nur 200 Rupis und das Essen fünfzehn.

      Heute hängt ein Bild Mohammeds über unserer Schlafstatt und draußen nörgelt der Fernseher vor sich hin. Hoffentlich nicht die ganze Nacht!

      „Andreas beleidigte Mohammed, und ich kann das dann alles wieder gut machen”, schreibt Lutz ins Reisetagebuch! Was er allerdings so ab und zu vor sich hin betet, weiß ich nicht. Außerdem regt er sich ein bißchen darüber auf, daß ich aus Versehen Bier verschüttet habe.

      Ich denke, daß dies eine gottgefällige Tat war.., vor dieser Religionskulisse jedenfalls, ansonsten ist es natürlich allergrößte Sünde. Gegen Zehn gehen wir schlafen. Lutz wieder mal mit Ohrstöpseln.

      Freitag, 9.Februar, der 24.Tag

       Die Staatsgrenze

      Lutz schreibt am nächsten Tag weiter:

      Die Ohrstöpsel habe ich mir raus gemacht, da es tatsächlich nach Mitternacht ruhig war. Doch morgens ging Radio „Mullah” wieder raumübergreifend los.

      Immer so ziemlich der gleich Singsang.

      Andreas klagt immer noch über Brustschmerzen und Hustenreiz.