Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inge Hirschmann
Издательство: Bookwire
Серия: Die Abenteuer des Karl Holzinger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750215962
Скачать книгу
hatte. Heute erkundigten sie sich alle nach dem Befinden seiner Leiche - oder besser gesagt eher danach, warum sie sich nicht mehr befand. In der Welt der Lebenden nämlich. Noch auf dem Weg von seinem Kantinenplatz bis zum Ausgang machte er unter anderem die Bekanntschaft des Kreuzfahrtdirektors Josh Reno (zuständig für Bordtheater, Kino und sämtliche Landausflüge), des Barpianisten Ruggiero di Mauro und des Chefs der Bordfeuerwehr Lasse Nerlich. Sogar den Quartiermeister Ferdinand Moss lernte er kennen, und der war wirklich ein hohes Tier an Bord. In der altmodischen Sprache der Nautik bedeutete sein Titel »Hoteldirektor« oder gar »Hotelmanager«.

      Wer von denen allen welchen Rang bekleidete, hätte Adam sonst nicht auf Anhieb parat gehabt, aber es stand auf den dezenten Namensschildchen über ihren Brusttaschen. Die Leute vom Sicherheitsdienst hatten so etwas nicht, da war nur die Funktion (Bordsecurity) in die Schulterstücke eingestickt. Sollte ja auch nicht gleich jedem, der Übles im Schilde führte, von weitem auffallen, wenn ihn einer von der Schiffspolizei auf dem Kieker hatte.

      Insbesondere der Quartiermeister blieb ihm in Erinnerung: Moss war ein sympathischer, fast schon väterlicher Typ um die Fünfzig. Nun, wahrscheinlich musste man diese Art Führungsqualitäten besitzen, um einen Personalstab von geschätzt fünfhundert Mann an der kurzen Leine zu führen, ohne dass sich alle gegängelt fühlten. Die übrigen vierhundert Crewmitglieder waren damit beschäftigt, das Schiff sicher von Hafen zu Hafen zu transportieren und die Versorgungssysteme an Bord wie Müllverbrennung, Kanalisation und Entsalzungsanlage am Laufen zu halten. Und natürlich den Maschinenraum mit all seinen überlebenswichtigen Anhängseln wie Bugstrahlruder, Propellerschrauben, Stromgeneratoren, Abgasanlage, Echolot, Radar... und, und, und.

      Jedem von seinen neuen Bekannten sagte Adam dasselbe: dass Dr. Mertens einen Dosierungsfehler vermute und es sich demnach im weitesten Sinne um einen natürlichen Todesfall handle.

      Die kleine Maus erwähnte er nicht. Von der wusste außer dem Doc bisher nur Jochen. Sie waren übereingekommen, über das Tierchen besser kein Wort zu verlieren.

      Wenn sich so etwas herumsprach, dann kam es garantiert immer zuerst an die Falschen. Und Hygienemängel solchen Ausmaßes auf einem Schiff knapp an der Grenze zur Luxusklasse - nicht auszudenken! Adam dachte an das Heer von Anwälten und an die Schweigeklausel, die er unterzeichnet hatte. Um nichts auf der Welt wollte er hier rausfliegen - runter von diesem Schiff, das mit all seinen ungewohnten Anforderungen und der Enge seiner Dienstbotenquartiere doch auf eine schwer definierbare Weise das reinste Paradies für ihn war. Weil es ihm erlaubte, trotz schwerer Fehler in der Vergangenheit weiterhin die Arbeit zu tun, die er liebte, für die er geschaffen war - für die er brannte. Auch wenn dieses Feuer momentan mangels verbrechensmäßiger Auslastung nur schwach vor sich hin glühte.

      Die Tage eines Security Stewards waren lang - wie die aller dienstbaren Geister, die dieses Riesenschiff am Laufen hielten. Aber für jeden von guter Konstitution war der Dienst an Bord die Opfer wert: Dieses Leben bereicherte den Erfahrungsschatz ungemein, ab und zu bekam man sogar ein wenig von den Ländern mit, die die »Symphony« - nein, nicht besuchte, eher anstupste. Und der Verdienst war leicht doppelt so hoch wie bei einer vergleichbaren Arbeit an Land. Was auch nötig war, insbesondere für Adam Asbeck, denn der hatte jeden Anspruch auf Pension aus seinem früheren Leben verwirkt.

      An diesem Abend, wie an den meisten, seit er auf der »Symphony« arbeitete, verbrachte er seine Freizeit in der kleinen, abgelegenen Jazzbar auf Deck acht - was ihm als Mitglied der Decksbesatzung auch gestattet war, im Gegensatz zu den Leuten, die sozusagen unter Tage schufteten und sich mit der Personalbar begnügen mussten. Heute wurde er besonders ungeduldig erwartet von seinem Onkel Max Leitner, dem der Fahrtwind schon allerhand zugetragen hatte.

      Im Gegensatz zu Adam logierte Max in einer hübschen Außenkabine, wenn auch nur auf Deck vier. Er war pensionierter Kriminalbeamter und lag mit seinen siebenundsechzig Jahren knapp unter dem Altersdurchschnitt der Passagiere. Das einzige bisher an Bord gesichtete Kind war ein halbwüchsiges Mädchen, das in Begleitung seiner intellektuell aussehenden Mutter reiste. Wahrscheinlich eine Lehrerin, die es durchgesetzt hatte, ihre Tochter selbst zu unterrichten, denn niemand in diesem Alter hatte in Deutschland ein halbes Jahr Ferien. Zu amüsieren schienen sie sich übrigens beide nicht.

      Das andere Extrem: ein Ehepaar mittleren Alters mit seiner mumienartigen Großmutter, oder wohl eher Urgroßmutter. So

      alt sahen die beiden noch nicht aus, die dieses verhutzelte, in Dutzende Schals und Decken gewickelte Wesen in seinem Rollstuhl vor sich her schoben. Sofern man sie überhaupt einmal außerhalb ihrer Dreierkabine sah. Meistens nur, wenn der Zimmerservice zum Bettenmachen kam. Es wurde gemunkelt, die Alte sei wohl eine Erbtante, die sich noch einmal die Welt anschauen wollte, und zukünftige Erben sollten ihr das gefälligst ermöglichen.

      Dass Adam von seinem Onkel an diesem Abend besonders sehnsüchtig erwartet wurde, lag allerdings nicht an der - zweifellos vorhandenen - Zuneigung. Beide hatten nie geheiratet und nannten auch keine anderen nahen Verwandten ihr Eigen. Nein, die Sache war die, dass Max vor Neugier schier umkam.

      »Es gehen seltsame Gerüchte um heute«, platzte er gleich heraus, ehe sein Neffe noch richtig saß.

      »Hallo auch, Onkel Max!«, sagte Adam, statt mit der Geschichte herauszurücken.

      »Grüß dich, Karl.«

      »Adam.«

      »Ja, entschuldige, dann eben Adam. Heiliger Strohsack, daran werd ich mich nie gewöhnen!«

      »Andere lernen in deinem Alter noch Spanisch oder Chinesisch, da kannst du wenigstens meinen neuen Namen lernen. Zu unser beider Sicherheit, Max!«

      »Bist heute ein bisschen grantig, was? - Was ist denn da überhaupt passiert? Du bist mit einem Weißkittel gesichtet worden, und der hatte eine OP-Maske auf.«

      »Ich hab ihm noch gesagt, dass er sie außerhalb der Kabine nicht tragen soll, aber sowas von stur wie der! Ein Todesfall.«

      »Mord?« Die Augen des ehemaligen Kriminalers zeigten ein begehrliches Funkeln. Er hatte seinen Beruf wirklich geliebt.

      »So, wie's aussieht, eher nicht. Marcumar-Patient mit inneren Blutungen. Der Doc sagt, wenn er regelmäßig bei ihm den Quick-Wert hätte nachschauen lassen, wär das nicht passiert. Das ist ein Maß für die Gerinnungsfähigkeit des Blutes, nach dem sich die Dosierung von Medikamenten wie Marcumar richtet.«

      »Junge, ich weiß das.«

      »Ach so - gehörst du auch zu denen, die im Bett Arztromane lesen?«

      Max überhörte die Frage einfach. »Dein erster Todesfall an Bord, oder?« Es fehlte noch, dass er hinzufügte: Ein historischer Moment!

      »Wieso ›mein‹ Todesfall? Aber ja, tatsächlich.«

      »Wundert mich eigentlich. Die ganze ›Symphony‹ ist ein schwimmendes Altenheim.«

      »Ich hätt auch lieber auf einem Vergnügungsdampfer angeheuert, aber das hier war auf die Schnelle die einzige Gelegenheit. Und überhaupt: Das Schiff an sich ist doch vom Feinsten!«

      »Hm, schon...«

      »Du langweilst dich, oder?« Max zuckte die Schultern. »Heimweh?«

      »Ach was, nach wem denn? Alles, woran ich hänge, ist mit an Bord. Aber es ist halt so: Alles geht hier im Schneckentempo - Landausflüge, Abfüttern im Speisesaal... sogar der Sport. Ich hab's satt, die anderen auf dem Jogging-Parcours bei jeder Runde dreimal zu überholen, das sieht aus wie Angeberei, aber ich kann nun mal nicht langsamer. Und immer nur allein an der Kletterwand rumzuhängen.«

      Max war ein Bergfex. Seine Fitness konnte mit der der meisten Vierzigjährigen mithalten. Er hatte lange Jahre als Personenschützer gearbeitet, ein Job, für den man nur die Besten gebrauchen konnte. Leute, die imstande waren, stundenlang neben Autos herzulaufen und nebenbei noch das Umfeld richtig einzuschätzen. Kein Wunder, dass ihm auf der »Symphony« einfach der Auslauf fehlte!

      »Weißt, Max, da ist dringend mal ein erzieherischer Rat fällig: Sei, verdammt nochmal, nicht so fitness-arrogant! Sei lieber froh, dass es dir noch so gut geht in deinem Alter und du diese perfekten Gene hast. Und sei