»Vielleicht hat er sich das Gerät mit jemand anderem geteilt? Das würde heißen, dass er mit einem Leidensgenossen auf Reisen war.«
»Ich weiß nicht, ob das überhaupt geht, sich so einen Messapparat zu teilen. Oder ein Arzt aus seinem Bekanntenkreis war auch mit an Bord. Ist dir da einmal was aufgefallen, Onkel Max?«
Der lachte auf. »Wenn ein Arzt auf Kreuzfahrt geht, wird er den Teufel tun, sich als solcher zu outen! Der hätte ja keine ruhige Sekunde mehr. Der Doktor Eckstein aus Hallerbach, von dem ist einmal aufgekommen, dass er sich auf Reisen immer als Konditor ausgegeben hat. Das war sein Hobby, da hat er ganz gut mitreden können. Aber zu deiner Frage: Ich weiß nicht, ob er mit jemand anderem da war, so stark hat mich der Mann auch wieder nicht interessiert.«
»Dann muss ich das unbedingt ermitteln.«
»Plag dich nicht zu sehr. Wenn's ein Freund war, wird er sowieso von selbst zu euch kommen, wenn Hurvinek nicht mehr auftaucht.« Auch wieder wahr.
»Morgen früh red ich erst mal mit dem Doc. Vielleicht hat der ihn ja behandelt. Aber erwähnt hat er heute nichts dergleichen.«
»Bisschen wortkarg, der gute Mann, wie?«
»Er ist halt Akademiker - und ich bin nicht mal mehr ein Bulle.«
»Junge, du warst der Beste unter uns - bis du diese Dummheit gemacht hast!«
»Hinterher ist man immer schlauer, Onkel Max. - Aber warte mal. Du bringst mich gerade auf was...«
»Schon wieder ich? Ich hab doch gar nichts gesagt.«
»Doch, wegen dem Freund, der sich vielleicht melden wird. Aber was passiert eigentlich, wenn ein Alleinreisender verschwindet, wenn er womöglich über Bord geht? Würden wir das erst bei der Rückkehr merken, wenn er nicht wieder auscheckt?«
»Die Tischgesellschaft würde es merken, denke ich.«
»Und wenn er nicht ins Hauptrestaurant gegangen ist, sondern, wie unser Litauer, ins Steak-House?«
Ungute Vorstellung! Wie leicht konnte hier an Bord - oder auf jedem anderen Kreuzfahrtschiff der Welt - jemand den perfekten Mord begehen...
Kapitel 6
Der Schiffsarzt konnte sich nicht erinnern, je mit dem neuen Todesfall zu tun gehabt zu haben. Obwohl er schon seit einem Vierteljahr auf der »Magic Symphony« mitfuhr, war es das erste Mal, dass Adam die Arztpraxis betrat. Wenn man einmal den weiter hinten gelegenen Kühlraum mit den Schubladen für die Leichen nicht dazu zählte, wo nunmehr die beiden ersten Verstorbenen dieser Kreuzfahrt auf Eis gelegt ihrer gefälligen Abholung durch ihre daheim gebliebene Verwandtschaft harrten.
Zweimal innerhalb von drei Tagen hatte er schon die unangenehme und prekäre Prozedur hinter sich gebracht, zusammen mit dem Doc und dessen blutjungem Assistenten einen Leichnam quer durch das Riesenschiff nach unten zu befördern, und das so unauffällig wie möglich. Eine altersmäßig eher fortgeschrittene Gesellschaft wird ungern mit dem Tode konfrontiert, und man wollte den Passagieren nicht so drastisch die Laune verderben, zumal nicht auf einer Vergnügungsreise.
Beste Zeit für eine derartige Undercover-Aktion: Das erste Dinner. Unerklärlicherweise neigte der Mensch dazu, sein Abendessen mit zunehmendem Alter immer weiter vorzuverlegen, weshalb die erste Essensschicht von halb sechs bis sieben am stärksten frequentiert war. Und was sich mehr oder minder freiwillig zur zweiten Sitzung hatte einteilen lassen, hing hungrig in den verschiedenen Bars herum und stopfte sich derweil mit den Snacks voll, die gratis zur Blue Hour gereicht wurden.
Der langen Rede kurzer Sinn: Kein Mensch auf den Gängen um diese Zeit. Ein ganzes Pandämonium à la Dante Alighieri hätte man da getrost durchschleusen können durch die hunderte Meter langen Korridore der »Symphony«. Den größten Schwachpunkt bildeten die Aufzüge, acht an der Zahl. Zwei davon groß genug, um liegende Personen zu befördern. Adam hatte sich ja vehement dafür eingesetzt, diesmal die Personaltreppe zu nehmen, aber der Doc und sein Helfer hingen an ihren Bandscheiben, also wurde er schlichtweg überstimmt. Dabei wären es in diesem neuen Fall nur vier Decks gewesen, nicht acht wie bei seinem unglücklichen Vorgänger, dem reichen Litauer, und der Verstorbene war wesentlich leichtgewichtiger.
»Sie können den Lift mit Ihrer Schlüsselkarte sperren, dann rauscht er einfach durch bis unten und hält zwischendrin nirgends«, klärte ihn der Doc auf.
»Oh - das wusste ich gar nicht«, gestand Adam. »Es gibt noch so viel, was ich nicht weiß.«
»Dann lernen Sie«, riet ihm Dr. Mertens. »Lernen Sie, mein Freund - zu Ihrem eigenen Besten. Dieses Schiff, müssen Sie wissen, ist wirklich etwas eigenartig.« Nun, da war er nicht der Erste, der das behauptete.
Dann also die Arztpraxis: blitzsauber, elegant, Vertrauen erweckend. An den Wänden festgeschraubt abstrakte Bilder in warmen, positiven Farben. Ein geräumiges Wartezimmer mit gepolsterten Sesseln, die höher waren, als sie aussahen. Gebaut für ältere Patienten eben.
Fern von der Arroganz, die Adam seinem Onkel gegenüber angedeutet hatte, führte Doktor Mertens ihn an diesem Morgen überall herum, zeigte ihm voller Stolz sogar das Glanzstück seiner Ordonnanz, den Operationssaal. Gut, ein Saal war das nicht gerade, eher ein großes Zimmer.
»Wird der tatsächlich öfter gebraucht?«, wollte Adam fasziniert wissen.
»Hin und wieder schon, im Rahmen meiner Möglichkeiten eben.« Schicksalsergeben hob der Arzt die feinen Brauen. Er war längst nicht so alt, wie seine nach hinten geweitete Stirn auf den ersten Blick vermuten ließ. Weit unter fünfzig, vielleicht noch nicht einmal vierzig, schätzte Adam. Ein kleiner, agiler Mann. Sein Assistent, den er stets mit dem Vornamen Karsten anredete, wirkte unglaublich jung inmitten dieses schiffbaren Rentnercamps.
Adam gestattete sich ein unschuldiges Lächeln. »Was denn - gibt's unter denen tatsächlich welche, die ihren Blinddarm noch haben?«
Der Doc zuckte die Schultern. »Das Problem ist in diesem Alter eher die Gallenblase. In unmittelbarem Zusammenhang mit Völlerei zum Pauschalpreis. Nicht dass jüngere Passagiere da besser wären, aber die älteren stecken die ungewohnt üppige Kost nun einmal nicht mehr so leicht weg.«
»Und Ihr Assistent? Ganz schön jung für einen Arzt...«
»Medizinstudent«, erklärte Mertens. »Kluges Köpfchen, darüber hinaus der Sohn von einem unserer Hauptaktionäre. Er darf hier mitfahren, das ist für ihn eine Art Auslandssemester. Aber ja, mittlerweile hat er das Gröbste hinter sich und ist mir eine echte Hilfe.«
»Und sonst haben Sie niemanden zu Ihrer Unterstützung?«
»Wo denken Sie hin, natürlich! Ohne Ellen wäre ich hier unten aufgeschmissen. Sie ist Sprechstundenhilfe, Laborantin, Krankenschwester... Sie kann einfach alles.«
»Ach so, ja, Ellen, klar...«
»Sie ist nur zu den Sprechstunden da oder wenn eine Operation ansteht. Außerdem haben wir auch noch einen Zahnarzt, aber der ist nicht fest angestellt, arbeitet sozusagen auf Provisionsbasis und fährt dafür gratis auf Deck drei mit. Kein schlechter Deal für den Mann, er muss eigentlich eh nur hin und wieder eine Prothese kleben.«
Adam ließ seinen Blick über den blankgeputzten OP wandern, einen Raum von vielleicht sechs mal acht Metern, der aber größer wirkte, weil absolut nichts Überflüssiges hier herumstand. »Das Bestrahlen, macht das auch