Mausetot auf hoher See. Inge Hirschmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Inge Hirschmann
Издательство: Bookwire
Серия: Die Abenteuer des Karl Holzinger
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750215962
Скачать книгу
Zellen entlang eines Korridors sieben Meter unter der Wasserlinie, alle in einer Reihe und mit wenig mehr möbliert als einem am Boden festgeschweißten Bettgestell mit Matratze, einem Klapptisch und einer Toilette samt Waschbecken. Davor eine Gittertür, also Stahlstäbe von oben bis unten ohne auch nur einen Hauch von totem Winkel. Nicht einmal austreten konnte ein Häftling gehen, ohne dass ihm gegebenenfalls ein Sicherheitsmann dabei zusah. Die Lüftung war aber ausgezeichnet. Zustände wie in einem amerikanischen Knast waren das, einen solchen hatte Adam vor etlichen Jahren, noch in seiner guten Zeit als Polizist, einmal besucht. Studienreise für besonders fähige Polizeibeamte, Schwerpunkt Arizona, wo seit Jahrzehnten der scheinbar alterslose Sheriff Joe Arpaio ein hartes und gerechtes Regiment führte. Mit einem Hauch von Wehmut erinnerte er sich an diese hochinteressante Reise zurück - und ohne den Hauch einer Ahnung, wie oft er später noch im Schichtdienst hier unten herumsitzen und irgendwelches Gelichter bewachen helfen würde.

      Wahrscheinlich war die »Symphony« wirklich ein Sonderfall. Und doch: Bis weit nach Feuerland würden sich die bösen Kräfte an Bord noch Zeit nehmen, sich zu sammeln...

      »Du, Jochen?«, fragte er eines Abends seinen Zimmergenossen.

      »Ja?«

      »Ich glaube, der Chef hat mich da ganz kolossal hochgenommen bei meiner Einstellung. Um nicht zu sagen, verarscht.«

      »Sandtner oder der Käpten?«

      »Du bist lustig! Den Käpten hab ich bisher noch überhaupt gar nicht gesehen.«

      »Ja, klar eigentlich. Der hat eine andere Kantinenschicht, und abends isst er oft mit unseren Gästen. Also Sandtner?« Einen Meter unter Adam wälzte Jochen sich geräuschvoll auf den Bauch. Er war eher schlank gebaut, aber mit breiten Schultern, und so groß, dass es im Bettgestell doch erheblich quietschte, wenn er sich bewegte. Außerdem schnarchte er. Na ja, Adam wahrscheinlich auch. Er wusste es nicht, da er seit Jahren als Single gelebt und somit diesbezüglich kein Feedback erhalten hatte. Dass Jochen sich bisher nicht beschwert hatte, konnte einfach an seinem friedliebenden Charakter liegen. Adam hatte sich ja im Gegenzug auch noch nie beschwert wegen gleichfalls grundsätzlich pazifistischer Gesinnung. Beide wollten Harmonie in der engen Bude haben.

      »Ja, Sandtner.«

      »Aber geh, Sandtner - der hat doch nicht den Hauch von Humor. Wenn der was sagt, meint er's immer total ernst. Kurze Ansage, wenn Kacke am Dampfen - wenn du verstehst, was ich meine.«

      Jochen Kornreder stammte aus dem Chiemgau, soviel hatte Adam schon herausgefunden. Recht viel redete der Lange darüber aber nicht, das schien kein angenehmes Thema für ihn zu sein. Nur soviel, dass er eigentlich als Animateur auf die »Symphony« gekommen war und sich dann schnell für einen anderen Job beworben hatte, wo das Kasperletheater sich in Grenzen hielt.

      Adam erwiderte nichts. Das musste er erst einmal sacken lassen. Außerdem erforderte die pure Vernunft, dass sie beide sich bald mal ein Mützchen Schlaf holten. Es war schon gleich Mitternacht (Bordzeit), und früh um acht begann die nächste Tagschicht. Eine Doppelschicht von acht bis zweiundzwanzig Uhr. Die Nachtschicht dauerte hingegen nur zehn Stunden, aber das war im Dunkeln auch ganz schön viel. Der Tagdienst also: vierzehn Stunden mit einer klitzekleinen Mittagspause, die auch wieder schichtweise genommen werden musste. Also halb sieben aufstehen, Morgentoilette mit obergründlicher Rasur, Frühstück fassen und zur Überbrückung der langen Hungerphase bis zwei Uhr nachmittags, wo sie beide zum Mittagessen eingeteilt waren, noch eine Käsesemmel einstecken. Solche Tricks hatte Jochen ihm schon gleich am Anfang beigebracht. Obwohl Adam spätestens am zweiten Tag mit nagenden Hungerqualen im leeren Magen vermutlich von selbst drauf gekommen wäre. Jochen war von Anbeginn ein wirklich guter Freund.

      Dasselbe anlässlich der Mittagspause machen, zur Not mit ein paar Scheiben nackigem Brot, das keine Flecken in der Hosentasche hinterließ, weil es danach wieder siebeneinhalb Stunden durchging. Jeder Sicherheitsmann hatte seine feste Runde, auf der ihm tunlichst nichts Verdächtiges entgehen sollte. Oder Edmund Sandtner würde dem fahrlässigen Sünder höchstpersönlich die Ohren wegrasieren. Jedenfalls rechneten alle neu eingestellten Sicherheitsleute permanent mit solchen Sanktionen. Der Mann hatte einen Ruf wie Donnerhall. Sagte zumindest Jochen. Weil nämlich: Einen anderen neu eingestellten Sicherheitsmann - außer sich selbst - konnte Adam beim besten Willen nicht auftreiben. Mittlerweile kannte er die meisten seiner Kollegen. Er hatte auch irgendwo aufgeschnappt, dass die Truppe derzeit aus zweiundzwanzig Mann bestand, obwohl eigentlich Planstellen für vierundzwanzig Leute vorhanden waren.

      Schon irgendwie seltsam, oder?

      »Ist das oft so?«, fragte Adam nach unten. Als Neuzugang hatte er selbstverständlich das obere Bett nehmen müssen. War ihm aber angesichts der größeren Masse seines Zimmergenossen im Grunde auch lieber, und mit Höhenangst oder Schlafwandeln - fatal im oberen Stockbett - hatte er keine Probleme.

      »Was?«, murmelte Jochen schläfrig. Adam hatte die Information zuvor offenbar ein wenig zu lange sacken lassen, sein Partner war am Einnicken.

      »Ja, dass die Kacke am Dampfen ist, das halt.«

      »Pffhhh... ja, eigentlich schon. Allerdings letztens schon länger nicht mehr. Dauert schon ganz schön lang, die ereignislose Zeit, wenn ich überleg. Vielleicht liegt's ja an dir.«

      »An mir?«, fragte Adam leicht fassungslos, setzte sich abrupt auf und fluchte irgendwas daher, weil er sich den Kopf an der stählernen Decke gestoßen hatte.

      »Schimpf nicht so laut, sei lieber froh, dass du zehn Zentimeter kleiner bist als ich!«, lachte Jochen. »Was meinst du, wie gut das tut, wenn man sich da oben genau die Augenbrauen anhaut?«

      Adam tastete seinen Scheitel ab, der zu seinem Glück recht dicht behaart war. Ja, in seinem ersten Leben, da hatte er eine wahre Löwenmähne sein eigen genannt und auch ausgiebig kultiviert, selbst als Polizist. Aber seit dem Schiff waren sie kurz, die überbordenden Locken, weil man als Sicherheitsmann doch eine gewisse Seriosität transportieren sollte an Bord.

      Wie auch immer: kein Blut, schon mal gut! Hirn wieder hochfahren, zuletzt gestellte Frage abrufen... »Also nochmal: Was liegt an mir?«

      »Hm, scheinbar ist mit dir eine ordnende Kraft an Bord gekommen, die unseren Klabautermann bezähmt. Glaub mir, ich hab früher auch darüber gelacht - aber das Schiff ist tatsächlich seltsam, weißt du.«

      »Seltsam?«, fragte Adam und versuchte, sich auf dem schmalen Bett bequem auszustrecken. Er war gut einsfünfundsiebzig groß und hatte selbst bei der Länge schon Probleme. »Ich finde bloß, dass es ein wenig kneift unter den Achseln...«

      »Hahaha!«, lachte Jochen. »Gut gebrüllt, Löwe! Unter den Achseln kneift's, und irgendwo zwischen Schornsteinkante und Kiel ist immer der Teufel los. So war's jedenfalls bisher. Es gibt Leute hier, wirklich, die behaupten steif und fest, unsere ›Symphony‹ wär von einer rothaarigen Frau in einem grünen Kleid getauft worden.«

      »Hah?«

      »Das sind exakt die zwei Farben, die der Klabautermann total überhaupt nicht mag, angeblich. Wenn du ein Schiff taufen möchtest, nimm bloß keine rothaarige Frau! Da wär womöglich sogar der Prinz Harry schon ein Problem, obwohl er ein Kerl ist. Einfach wegen der Haarfarbe.«

      »Wieso, hat der schon mal ein Schiff getauft? Oder womöglich gar die Fergie?«

      »Weiß ich ehrlich gesagt nicht. Aber das bringt uns auch schon zu weit vom Thema ab. Tatsache ist, dass mit unserer ›Symphony‹ was nicht stimmen kann. Die Verbrechensrate ist extrem hoch hier an Bord.«

      »Wie willst du das beurteilen - wenn doch die anderen Reedereien auch alle mauern, was das Zeug hält? Oder meinst du, bei denen muss man keine Schweigeklauseln unterschreiben?«

      »Ist vielleicht mehr ein Bauchgefühl. Aber was soll's, unsereiner muss ja froh sein, wenn er was zu tun hat, nicht wahr?«

      »Ja, klar. Geht mir auch so. Ist aber wirklich nicht viel los bisher.«

      »Kommt schon noch«, meinte Jochen. »Kommt garantiert noch. Warum meinst du, dass unser Sandtner schon die ganze Zeit so nervös ist? Weil nichts Nennenswertes passiert, deswegen ist er nervös. Der