Handover. Alexander Nadler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Nadler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848018
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neben der mit zwei Damen besetzten Garderobe zwei Sitzgruppen mit Beistelltischen und der Kassenschalter sichtbar werden, an dem Claude eine Karte für die Mitternachtsshow ersteht, woraufhin er von einer der im Foyer miteinander plauschenden Platzanweiserinnen durch eine schwere, dunkel getönte Eichentür in den Zuschauerraum geleitet wird, in dem, so eine erste grobe Schätzung Claudes, gut hundert Vierer- und Sechsertische terrassenförmig angeordnet stehen, von denen gegenwärtig reichlich zwei Drittel besetzt sind. Da die vorderen beiden Reihen bereits ausverkauft waren, musste er sich mit einem Tisch in der dritten begnügen, dafür liegt dieser genau in der Mitte und beinahe auf gleicher Ebene mit der Bühne, auf die er somit nahezu optimale Sicht gewährt. ‚Besser hätte ich es nicht treffen können', freut er sich insgeheim über seine unverhofft glücklich ausgefallene Platzwahl. Ihm eine Getränkekarte reichend, zieht sich die Platzanweiserin mit den Worten zurück: „Wenn Sie gewählt haben, können Sie bei meinen Kolleginnen bestellen. Sie brauchen nur hier auf den Knopf zu drücken.“ Sie zeigt ihm die in die Tischlampe integrierte Ruftaste und verabschiedet sich mit einer sachten Kopfneigung.

      Ehe er sich dem Studium der Karte hingibt, lässt er seine Blicke zunächst einmal durch den gleichfalls mit viel Holz und schwerem Teppichboden ausgestatteten Raum wandern, der, dies erkennt Claude trotz des gedämpften Lichtes, in jedem Detail Klasse widerspiegelt, so gar nicht mit den billigen Schuppen zu vergleichen ist, die das Gros der im Milieu anzutreffenden Etablissements darstellen, in denen es um mitunter geradezu primitive Lusterregung beziehungsweise -befriedigung geht. Ein kurzer Blick auf seine Uhr verrät ihm, dass es nur noch zehn Minuten bis zum Beginn der Show sind, so dass er sich flugs in die Getränkekarte vertieft, in der er, da die Rubrik der nicht-alkoholischen Getränke im Vergleich zu derjenigen der alkoholischen wie in nahezu allen Restaurants und Etablissements dieser Art recht bescheiden ausfällt, rasch fündig wird, woraufhin er seine Wahl bei der herbeigerufenen Kellnerin in Bestellung gibt, die ihm das Gewünschte keine zwei Minuten später kredenzt. Als überaus angenehm empfindet er die hervorragende Klimatisierung des Raumes, dank derer er so gut wie nichts von dem von zahlreichen Tischen aufsteigenden Glimmstängelqualm abbekommt und riecht. Behaglich in seinem bequemen, gut gepolsterten Sessel zurückgelehnt, schreckt ihn die unvermittelt einsetzende Musik auf, wobei der Zuschauerraum gleichzeitig nahezu völlig abgedunkelt wird, lediglich die stark gedimmten Tischlampen werfen noch matte, schmale Lichtkegel auf die einzelnen Tische. Und während der Bühnenvorhang sich geräuschlos teilt und zur Seite gleitet, richten sich fünf punktgenau gesetzte Spots auf ebenso viele aus der Tiefe der aufwendig dekorierten Bühne hervortretende Tänzerinnen, deren pompöse Kostüme Claude in seiner Annahme bestätigen, dass das bevorstehende Spektakel keine simple, geschmacklose Präsentation möglichst vieler entblößter Frauenkörper zu werden verspricht.

      Und in der Tat, was in der folgenden Stunde geboten wird, hält durchaus den Vergleich mit den besten und bekanntesten Revuen von Paris stand, denn selbst die drei Einlagen, in denen die auftretenden Damen sich auch des letzten Stückes Textil entledigen, lassen jegliche Obszönität vermissen, vielmehr gelingt es den Akteurinnen, die ureigenen Reize und die Schönheit des nackten weiblichen Körpers auf eine derart positive Art und Weise zu präsentieren, wie sie Claude selbst auf den allerwenigsten künstlerischen Aktphotographien je gesehen hat. Der am Ende der Vorstellung aufbrandende Beifall ist seiner Meinung nach daher vollkommen gerechtfertigt. Die drei auf der Werbetafel wiedererkannten Frauen konnte er bei der Vorführung allerdings nicht ausmachen, so dass er sich nun eine neue Taktik überlegen muss, um an die gewünschten Informationen heranzukommen.

      Während die ersten Takte sanfter Hintergrundmusik ertönen, Teile der Deckenbeleuchtung wieder angehen und sich einige der Gäste zum Aufbruch bereit machen, ruft Claude eine der Bedienungen an seinen Tisch. „Zunächst mein Kompliment, eine wirklich hervorragende Show!“ Zum einen meint er es ernst, zum anderen hofft er, die in zartes Blau Gewandete mit diesem Lob für sich zu gewinnen. „Doch hätte ich noch eine Frage, und zwar, ob es wohl möglich wäre, mit den Damen einmal persönlich zu sprechen. Wissen Sie, ich arbeite in der Werbebranche, und gegenwärtig suchen wir für eine neue Kampagne ein paar neue, unverbrauchte Gesichter. Als ich mir vorhin am Eingang die Werbetafel angeschaut habe, sind mir ein paar für unsere Zwecke möglicherweise passende Gesichter aufgefallen, von denen ich allerdings nur zwei oder drei bei der Show gesehen habe.“ Sicherheitshalber beschließt er im Stillen, Interesse für mehr als nur die drei von ihm speziell ins Auge gefassten Tänzerinnen vorzugeben. „Ich weiß natürlich nicht, ob es den Damen überhaupt erlaubt ist, sich auch anderweitig, zum Beispiel als Model zu betätigen. Wenn nötig, spreche ich diesbezüglich auch gerne mit Ihrem Chef oder Ihrer Chefin.“ Claude ist sich sicher und merkt dies auch an der anfänglichen Gesichtsmimik der Angesprochenen, dass er nicht der erste ist, der sich nach den zuvor gesehenen Akteurinnen erkundigt, wobei es allerdings, dessen ist er sich ebenso sicher und glaubt dies auch aus dem sich nach und nach entspannenden Gesichtsausdruck herauslesen zu können, in der Regel um ein Anliegen ganz anderer Art gehen dürfte.

      Dass er die Bedenken der Befragten nicht völlig hat ausräumen können, belegen ihm der in ihrer Antwort leise mitschwingende skeptische Unterton und der vorsichtig unternommene Versuch, ihn von seinem Anliegen abzubringen: „Verstehen Sie es bitte nicht falsch, aber... Nun ja, es wird sehr oft nach den Mädchen gefragt, und... Um ehrlich zu sein, unsere Chefs sehen es nicht so gerne, wenn sie mit Nicht-Mitgliedern Kontakt haben.“

      Etwas irritiert antwortet ihr Claude: „Oh, ich weiß, was Sie meinen, aber davon kann keine Rede sein. Ich wusste auch nicht, dass dies ein Privatklub ist.“

      „Nicht das Ganze. Dieser Teil steht jedermann offen, ansonsten hätte man Sie auch gar nicht hereingelassen.“

      „Und der Klub selbst...“

      „Der befindet sich im hinteren Teil des Gebäudes und in den oberen Etagen. Doch da haben Sie nur Zutritt, wenn Sie Mitglied sind oder von einem der Mitglieder eingeladen werden.“

      Claude ist neugierig geworden: „Was bietet er denn, und wie wird man Mitglied?“

      Ein leicht süffisantes Lächeln umspielt ihre Mundwinkel: „Wie bei allen Klubs, entweder Sie verfügen über das nötige Kleingeld oder eines der Mitglieder bürgt für Sie“, beantwortet sie ihm den letzten Teil seiner Frage.

      Da sie auf den ersten Teil seiner Frage nicht eingeht, ist Claudes Neugier nun erst recht geweckt, doch bemüht er sich abzuwiegeln: „Aha. Ich kann Sie gut verstehen und glaube Ihnen, dass viele nach Ihren Damen fragen, trotzdem möchte ich meine Frage wiederholen, ob irgendeine Möglichkeit besteht, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Wissen Sie“, wird er ironisch und zieht die Angelegenheit ins Lächerliche, „wäre ich wirklich nur an dem interessiert, was Sie vermuten, so könnte ich mich ja auch am Ausgang auf die Lauer legen und die Mädchen abfangen, doch erscheint mir dies für zivilisierte Menschen arg lächerlich, meinen Sie nicht auch.“ Sein Schmunzeln und die humoreske Art, mit der er dem Gespräch die Steifheit und Ernsthaftigkeit nimmt, verfehlen ihre Wirkung nicht, auch wenn seine Gesprächspartnerin die Fasson zu wahren noch imstande ist: „Natürlich, Sie haben recht. Ich persönlich kann Ihnen allerdings nicht weiterhelfen, aber vielleicht sprechen Sie einmal mit dem Geschäftsführer. Wenn Sie warten, so kann ich versuchen ihn ausfindig zu machen.“

      „Das wäre sehr nett.“ ‚Wenn du wüsstest, wie gerne ich warte’, frohlockt er innerlich, während sie zwischen den Tischen verschwindet, mit dem Erreichten insgesamt recht zufrieden.

      Die Minutenanzeige seiner Uhr mag noch keine fünf Minuten vorgerückt sein, als er einen knapp einen Meter neunzig großen, mit einem dunkelblauen Anzug, hellblauem Hemd und gelblich gemusterter Krawatte gekleideten Herrn sich seinem Tisch nähern sieht. Die schlanke Gestalt, deren glattrasiertes Gesicht etwas Puppenhaftes an sich hat, begrüßt ihn mit ausgewählter Höflichkeit, stellt sich als: „Michael Uhl, Geschäftsführer“ vor und kommt, nachdem sich Claude seinerseits mit seinem zuvor schon benutzten Synonym vorgestellt und ihn gebeten hat an seinem Tisch Platz zu nehmen, ohne Umschweife zum Kern der Sache: „Sie haben sich nach unseren Tänzerinnen erkundigt. Wenn ich das richtig verstanden habe, möchten Sie die eine oder andere von ihnen eventuell für eine Werbekampagne anheuern.“ Claudes Kopfnicken signalisiert ihm die Richtigkeit seiner Aussage. „Dazu