Handover. Alexander Nadler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Nadler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848018
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Hinter ihrer wohlwollenden, beinahe kumpelhaften Art verspürt Claude mehr als die bloße Lust zu einem Schwätzchen. Doch trotz ihrer allem Anschein nach ehrlich gemeinten Sympathie ihm gegenüber, gemahnt er sich zur Vorsicht, zur Bewahrung eines kühlen Kopfes.

      Da es noch immer regnet, jedoch weit weniger stark als vor dem Betreten des Lokals, nimmt er sie mit unter seinen Schirm. Den überall stehenden Wasserpfützen mit zum Teil großen Sprüngen ausweichend, steuern sie unter ihrer Führung das Gambling Hero an, dessen Hauptraum mit Dutzenden von Billardtischen und Spielautomaten jeglicher Art gefüllt ist, an denen sich überwiegend männliches Publikum die Zeit vertreibt, dessen Nebenzimmer hingegen mit recht gemütlichem Kaffeehausambiente aufwartet. Sich an einen Tisch in der hinteren Ecke des mit vielen Grünpflanzen ausgestatteten Raumes setzend, ist Claude dank der guten Beleuchtung endlich imstande sein Gegenüber angemessen zu mustern, wobei ihm vor allem ihr relativ kleiner Mund auffällt, in dessen Winkeln etwas spitzbübisch Heiteres verborgen liegt, das ihn Vertrauen ihr gegenüber fassen lässt.

      Nachdem er zwei Espressos bestellt hat, greift er das unterbrochene Gespräch wieder auf: „Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Daniel, Daniel Trotter. Und Sie arbeiten als Journalistin? Gefällt Ihnen der Job?“

      „Im Großen und Ganzen schon. Wenn man in einem Milieu wie diesem hier arbeitet, geht einem das dumme Gequatsche und die pöbelhafte Anmacherei allerdings gelegentlich ganz schön auf die Nerven. Wie Freiwild kommt man sich da manchmal vor, zumindest als ich damit anfing. Mittlerweile kennen mich die Besitzer und Geschäftsführer der einzelnen Lokale, Discos et cetera alle und geben mir notfalls auch Rückendeckung. Aber trotzdem, ich kann Ihnen sagen...“

      „Kann ich mir gut vorstellen. Eine Frau, dazu noch eine so gut aussehende, allein hier im Revier.“

      Sie fühlt sich durch Claudes Worte geschmeichelt, wie ihm ihr verlegenes Lächeln, das sie vergebens zu unterdrücken versucht, verrät. „Noch habe ich mich immer zur Wehr setzen können. Sonst wäre ich wahrscheinlich auch nicht mehr hier. Alles in allem sind die Jungs hier auch ganz okay, ausrasten tun meist nur diejenigen, die zu viel getrunken haben, und die Süchtigen, die auf der Suche nach dem nächsten Schuss sind. Und ab und an einmal irgendein perverses Schwein, das unter jeden Rock grapscht.“

      „Ich hoffe, mein Freund hat sich nicht auch daneben benommen“, bringt Claude das Gespräch auf die ihn interessierende Thematik zurück.

      „Ganz im Gegenteil, Philipp hat Manieren. Der passt so gar nicht in dieses Milieu.“

      „Ja, der gute alte Philipp, stets Kavalier. Hab ihn zwar eine Weile nicht gesehen, hätte mir aber auch nicht vorstellen können, dass er sich derart geändert hätte. An was für einer Story genau hat er denn gearbeitet? Hat er mit Ihnen darüber gesprochen?“

      „Wie ich schon sagte, er war mit der Recherche über die Frankfurter Nachtszene beschäftigt. Als wir uns das erste Mal trafen und ich ihm mitteilte, dass ich seit Jahren die aktuelle Szene verfolge und darüber auch schreibe, hat er mich förmlich gemolken, wie eine Kuh. Tausend Fragen hat er mir gestellt, über alles Mögliche. Wem welcher Schuppen, welches Lokal, welcher Klub, welche Disco gehört, was für Leute dort jeweils verkehren, über die Hintermänner, die großen und kleinen Gauner, halt alles, was so dazugehört. Da er mir versprach, und ich vertraute ihm, mich als Koautorin anzuführen, den Artikel am Ende mit mir abzusprechen und mich auch finanziell mit daran zu beteiligen, hatte ich gegen seine Fragerei auch nichts einzuwenden. Im Gegenteil, um ehrlich zu sein... Wie ich schon sagte, ist 'n toller Typ. Ich würde ihn gerne wiedersehen, nicht nur des versprochenen Geldes wegen.“

      Offensichtlich hat sich Philipps Schicksal noch nicht bis zu Eva-Marie herumgesprochen. Und wieder beglückwünscht er sich insgeheim, dass er Krüger darum gebeten hat, kein Bild seines Bruders zu veröffentlichen, die Sache überhaupt nicht allzu sehr an die große Glocke zu hängen. Dies kommt ihm jetzt zugute, macht seine Nachforschungen etwas einfacher, erregt seine Fragerei weniger Aufsehen. „Und, konnten Sie ihm weiterhelfen?“

      „Ich denke schon, jedenfalls hat er sich eine Menge Notizen gemacht.“

      ‚Notizen’, geht es Claude durch den Kopf, ‚was für Notizen? Wo sind diese abgeblieben.’ In Philipps Wohnung war ihm nichts Derartiges aufgefallen. Um mehr aus seiner Gesprächspartnerin herauszuholen, schlüpft er in eine neue Rolle: „Wissen Sie, das Ganze ist für mich nicht uninteressant, denn Philipp und ich sind mehr oder weniger Kollegen. Als er mich das letzte Mal anrief, hat er erwähnt, dass er an einer irren Story arbeite. Damals konnte ich mir nicht so recht vorstellen, um was es dabei genau geht, er hat nämlich nur einige vage Andeutungen gemacht, doch jetzt, jetzt wird mir langsam klar, was er damit gemeint haben könnte. Und mit Ihnen scheint er ja die Expertin für das Metier gefunden zu haben“, schmeichelt er ihr, um sie für sich zu gewinnen.

      „Na ja, ein bisschen kenne ich mich in der Szene schon aus“, stapelt sie tief.

      „Im Grunde genommen geht es mich ja nichts an, schließlich ist es Philipps Story, aber haben Sie eine Ahnung, was er mit seiner Andeutung gemeint haben könnte: Er sei einer großen Sache auf der Spur?“

      „Herr Trotter ... Daniel, nun mal ehrlich, das ganze interessiert Sie doch aus mehr als nur freundschaftlicher Beziehung heraus. Hab ich recht?“

      Claude muss sich eingestehen, dass er mit seiner fiktiven Geschichte bei Eva-Marie nicht allzu weit kommen dürfte, es sinnvoller ist, ihr reinen Wein einzuschenken, zumal sie ihm durchaus loyal zu sein scheint: „Ja, Sie haben recht. Ich ... äh...“ Noch zaudert er, sie in sein Geheimnis einzuweihen.

      „Sie können mir vertrauen. Verschwiegenheit ist schließlich eine der Grundvoraussetzungen seriöser journalistischer Tätigkeit. Also raus mit der Sprache!“ Der foppend kameradschaftliche Ton ihrer letzten Worte überzeugt ihn letztlich von ihrer Aufrichtigkeit, davon, dass er sich auf sie verlassen kann.

      „Es muss aber unter uns bleiben!“

      „Versprochen.“

      „Philipp ist mein Bruder, oder um genau zu sein, er war mein Bruder.“

      „Was soll das heißen: er war?“, hakt sie sofort ein, wobei erstmals ernste Züge ihre bislang so heitere Miene verfinstern.

      „Er ist tot... Er wurde ermordet.“ Erfüllt von der Hoffnung, nicht zu viel verraten zu haben, sich der falschen Person anvertraut zu haben, spürt er gleichzeitig doch auch eine gewisse seelische Erleichterung infolge dieser Offenbarung.

      „Was sagen Sie da?“ Eva-Maries Mund bleibt infolge des Gehörten, das ihr unfassbar scheint, einen Spalt weit offen stehen. Die zuvor so schlagfertige und kühl analysierende Frau ist völlig konsterniert, stiert fassungslos auf den Tisch, damit beschäftigt, das konfuse Gedankengewirr zu entflechten, das sich durch die so unerwartete Neuigkeit gebildet hat.

      „Ist schon zwei Wochen her“, informiert Claude sie weiter. „Es stand auch in der Zeitung, allerdings ohne Bild und nicht besonders groß. Ich wollte das nicht.“

      „Ich kann mich nicht daran erinnern, dabei schaue ich doch praktisch täglich alle großen Tageszeitungen durch“, wundert sich die allmählich aus ihrer Betroffenheit Erwachende.

      „Dazu muss ich Ihnen noch sagen, dass mein Name nicht Trotter ist, mein richtiger Name ist Claude Duchamp“, rückt er mit der Wahrheit heraus. „In den Artikeln stand immer ‚Philipp D.’ Erinnern Sie sich jetzt?“

      Sie grübelt ein wenig nach: „Wissen Sie, ich muss von Berufs wegen so viele Zeitungen und Zeitschriften lesen, da muss ich mich auf das Wesentliche konzentrieren, das heißt zunächst einmal auf das, was mein Resort betrifft, für alles andere bleibt da kaum Zeit. Möglich, dass ich davon gelesen habe, erinnern kann ich mich im Moment allerdings nicht daran. Aber warum wurde Ihr Bruder ermordet? Und hat man den Mörder schon?“

      Claude spürt, dass der jungen Frau etwas an seinem Bruder gelegen haben muss, ihr daher vermutlich auch an der Aufklärung des Falles liegt, er in ihr eine Verbündete gefunden haben