Handover. Alexander Nadler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Nadler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848018
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elf Uhr und Mitternacht. Davor findest du ihn in der Regel im Calypso. Das gehört ihm auch. Manchmal kommt er am Nachmittag auch zu den Proben. Ansonsten kannst du ja mit seinem Geschäftsführer reden. Wenn du willst, kann ich ihm Bescheid sagen.“

      Claude fühlt sich förmlich überfahren, das Ganze geht ihm zu schnell, zu glatt, daher tritt er auf die Bremse: „Dafür wäre ich dir dankbar. Aber nicht heute, beim nächsten Mal. Heute bin ich zu abgeschlafft. Du kannst ja aber schon einmal in den nächsten Tagen mit ihm darüber sprechen, oder besser noch mit dem Chef.“

      „Springt dabei eventuell auch etwas für mich heraus?“, wird Elaine direkt.

      „Du sollst nicht leer ausgehen“, hält sich Claude alle Möglichkeiten offen. Der geschlossen bleibende Bühnenvorhang, das Erlöschen der Scheinwerfer und die einsetzende Hintergrundmusik künden vom Ende der Bühnenshow, für Claude das Signal, allmählich den Rückzug anzutreten, will er in dieser Nacht bei seinen Recherchen noch weiterkommen. Mit einem leichten Fingerzeig ruft er die Bedienung herbei, die ihm die vermutet stolze Rechnung präsentiert, die er - in der Hoffnung, bei Elaine den entsprechenden Eindruck zu hinterlassen - mit gespielter Nonchalance begleicht und um ein nicht gerade geringes Trinkgeld aufrundet. „Ich schau Anfang kommender Woche wieder vorbei. Bist du dann hier?“

      „Ich arbeite praktisch jeden Abend. Notfalls fragst du Helen nach mir, das ist meine Kollegin an der Tür, die dir den Tisch zugewiesen hat.“

      „Okay. Versuche inzwischen mit deinem Chef oder dem Geschäftsführer zu sprechen, ja.“

      „Mach ich. Und wie heißt du mit Nachnamen?“

      „Trotter.“ Claude wählt bewusst den Namen eines in der Werbebranche beschäftigten einstigen Freundes, den er in San Francisco kennengelernt hat und der Ende letzten Jahres bei einer Himalaya-Expedition ums Leben gekommen ist. Für den Fall, dass irgendjemand Nachforschungen bezüglich seiner Person anstellen sollte, gilt es nur noch Daniel Trotters ehemaligen Chef zu instruieren, zu dem Claude gleichfalls freundschaftliche Beziehungen unterhält und von dem er sich in diesem Augenblick ziemlich sicher ist, dass er das Versteckspiel ihm zuliebe mitspielen wird. Elaines Hand ist feucht, als er sie zum Abschied schüttelt. Mit ihm verlassen drei andere Herren den Klub, andere drängen hinein. Erst als er im Freien anlangt, die - obwohl sie von den Abgaswolken der vorbeifahrenden Autos mit Blei und Kohlenmonoxid geschwängert ist - im Vergleich zu der stickigen Nachtklubluft insgesamt angenehm frische Nachtluft einatmet, fällt ihm auf, in welch verräucherter Umgebung er zuvor gesessen hat. Überhaupt nicht an derlei ungesundes Raumklima gewöhnt, verspürt er beim tiefen Durchatmen jenen leichten Druck auf den Schläfen, der ihn jedes Mal heimsucht, wenn er sich längere Zeit in verrauchten Räumen aufhält beziehungsweise aufgehalten hat.

      Wildes Hupen zweier vorbeifahrender Cabrios, lautes Grölen einiger angetrunkener Punker, zuckersüßer-bitterherber Geruchsmischmasch zahlloser an ihm vorbeigetragener Parfümkreationen, dies sind nur einige der Bestandteile jenes ihn umbrandenden Szenarios, in dem sich Claude über seinen nächsten Schritt klar werden muss.

      Im Gefolge dreier junger Männer gerät er in eine von dröhnender Rockmusik beschallte Kneipe, deren Luft, falls man diese überhaupt noch als solche bezeichnen kann, mit dicken, stechenden Rauchschwaden erfüllt ist, und deren Publikum ausnahmslos männlich ist, wobei das Outfit vieler der Anwesenden unmissverständlich auf deren sexuelle Neigungen schließen lässt. Im hinteren Teil des lärmdurchtränkten Raumes macht Claude zwei Billardtische aus, an denen sich jeweils kleine Grüppchen dem Spiel mit den Kugeln hingeben, allerdings reichlich anfängerhaft, wie er schon nach wenigen Stößen konstatiert. Da er keine Lust verspürt, in dieser stickigen Atmosphäre länger als nötig zu verweilen, andererseits nicht einfach den Rückzug antreten möchte ohne wenigstens den Versuch unternommen zu haben, etwas über seinen Bruder beziehungsweise den Inhalt seiner Aufnahmen herauszufinden, steuert er den einzig freien Barhocker an und bestellt sich ein Mineralwasser, das ihm von dem jüngeren der beiden Barkeeper sogleich vorgesetzt wird. Akribisch vergleicht er die Gesichter derjenigen, die er von seinem leicht erhöhten Platz aus im Blickfeld hat, mit den in seinen Gehirnsträngen in allen Details abgespeicherten Bildern seines Bruders, vermag jedoch keines davon mit seinen momentanen optischen Eindrücken zur Deckung zu bringen. Meist paarweise oder in Dreier- oder Vierergruppen zusammenstehend oder -sitzend, ihm dabei vielfach den Rücken zuwendend, sieht er sich, sein Getränk bezahlend, aus Gründen der besseren Inspektion gezwungen, seinen Platz zu räumen, woraufhin er sich bedächtig seinen Weg in Richtung der Pool-Spieler bahnt, dabei jeden einzelnen der Umstehenden zwar möglichst unauffällig, dennoch aber sehr genau in Augenschein nehmend, jedoch gleichfalls ohne positives Resultat. Sich an den Pfeiler zwischen den beiden Billardtischen lehnend, ist er nunmehr imstande, die Gesichter all jener zu erkennen, die ihm zuvor den Rücken zugekehrt haben. Vom negativen Ergebnis seiner Analyse nicht unbedingt überrascht, beschließt er sein Glück bei den beiden Männern hinter dem Tresen zu versuchen.

      „Entschuldigen Sie“, müht er sich, an den älteren der beiden Barkeeper gewandt, die Geräuschkulisse aus zahllosen wirren Sprachfetzen, wilden Schlagzeug-Passagen, jaulenden Gitarren und sie dumpf begleitenden Bässen zu durchdringen, „ich warte auf ein paar Kumpels. Die sollten schon längst da sein. Haben sie vielleicht nach mir gefragt? Mein Name ist Daniel Trotter.“

      „Nein, bei mir hat sich niemand erkundigt.“ Und sich an seinen Kollegen wendend: „Hey Peter, hat bei dir jemand nach einem Daniel Trotter gefragt?“

      „Daniel Trotter? Nein“, kommt die Antwort des Gefragten, der mit dem Mixen zweier Cocktails beschäftigt ist.

      „Wirklich nicht?“ bohrt Claude nach. „Das gibt es doch gar nicht. Warten Sie mal, ich glaube, ich habe ein paar Fotos dabei, möglicherweise erkennen Sie einen meiner Kumpels ja wieder.“ So als wisse er nicht genau, in welcher seiner Jackentaschen er die Bilder zu suchen habe, nestelt Claude an seiner Jacke herum. „Ah, Glück gehabt", täuscht er freudige Erleichterung vor, „hier, vielleicht können Sie einmal einen Blick darauf werfen. Die Kerle haben mir fest versprochen, dass wir uns heute Abend hier treffen.“ Eine Porträtaufnahme seines Bruders sowie die von ihm angefertigten Vergrößerungen der sechs bislang unbekannten Hauptpersonen auf die Theke legend, behält Claude die beiden Befragten genau im Auge.

      „Ne, die Typen kenne ich nicht ... oder warten Sie mal, doch der da“, tippt der zuvor Peter Genannte mit seinem Zeigefinger auf das als vorletztes aufgedeckte Foto, „der war schon zwei- oder dreimal hier, allerdings mit keinem von den anderen Typen. Ist auch schon eine Weile her, mindestens drei Wochen schätze ich. Den hab ich mir gemerkt, weil er 'ne Menge Kohle zu haben schien. Das müsste er sein.“ Mit einem Blick sucht er bei seinem Kollegen nach Bestätigung seiner Aussage, die dieser durch ein Kopfnicken auch gibt. „Wenn mich nicht alles täuscht, heißt der Typ Roland, hab ich recht?“, forscht er bei Claude nach.

      „Richtig. Sie haben ein verdammt gutes Gedächtnis“, schmiert ihm Claude ein wenig Honig um dem Mund, um ihn bei Redelaune zu halten. „Und heute waren er und die anderen nicht hier?“

      Noch einmal die Fotos überfliegend, wiederholt Barkeeper Peter seine negative Aussage und fährt fort: „Wie gesagt, der hier“, der Finger zeigt auf den zuvor als Roland Bezeichneten, „war vor etwa drei Wochen das letzte Mal hier. Mit einem anderen Spezi, etwas kleiner als er, aber genauso dünn.“

      Um nicht unnötigen Verdacht zu erwecken, begnügt sich Claude mit dem Herausgefundenen, da offensichtlich nicht mehr herauszuholen ist. Zudem ist die Bilanz nicht schlecht: Erst das zweite Lokal, und schon eine erste Spur, zwar noch vage, aber sicherlich ausbaufähig. So als könne er sich das Verhalten seiner angeblichen Kameraden nicht erklären und spekuliere über deren Verbleib, tritt er den Rückzug an: „Tz, lassen mich einfach hängen, die Gauner.“ Eine künstliche Pause, die Unentschlossenheit vortäuschen soll, dann rafft er seine Aufnahmen zusammen: „Okay, äh ... ich muss noch woanders hin. Falls meine Freunde noch kommen sollten, vielleicht könnten Sie ihnen Bescheid sagen, dass ich hier war und dass sie mich im Malibu finden.“ Der Name dieses Lokals ist ihm vom Nachmittag her in seinem Gedächtnis hängen geblieben, wobei er nicht den leisesten