Handover. Alexander Nadler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Nadler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848018
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schönen Abend anstoßen.“ Ihre Gläser stoßen mit einem leisen Klirren zusammen, dessen kristallklare Vernehmbarkeit Claude erst realisieren lässt, dass die Musik zwischenzeitlich verklungen ist. Einen weiteren Beleg für die Klasse dieses Klubs liefert der Orangensaft, der tatsächlich frisch gepresst ist. Während er sein Glas hinstellt, informiert ihn ein rascher Blick ins Halbrund, dass sich in den letzten Minuten weitere Gäste eingefunden haben, knapp zwei Drittel der Tische nunmehr besetzt sind. Gerade als er die Unterhaltung wieder aufnehmen will, erleuchtet ein Scheinwerferspot den vordersten Teil der Bühne, woraufhin Sekunden später ein langbeiniges weibliches Wesen in den Lichtkegel tritt, das ihn stark an eine jener graziösen Damen erinnert, wie er sie vor Jahren einmal im Moulin Rouge in Paris gesehen hat, ganz besonders, was die Bekleidung betrifft, die sich textilmäßig auf das Nötigste beschränkt.

      „Meine sehr verehrten Damen und Herren“, begrüßt die im grellen Scheinwerferlicht Stehende mit weitausholenden Armbewegungen die Anwesenden, „im Namen unseres Klubs heiße ich Sie heute Abend recht herzlich zu unserer Show willkommen.“ Mit einigen euphemistischen Worten werden die nachfolgend Auftretenden angekündigt. ‚Eine Show ohne Eintrittspreis, das kann nur bedeuten, dass die Getränkepreise noch gesalzener ausfallen als sie dies in derlei Etablissements ohnehin normalerweise tun’, schlussfolgert Claude im Stillen. Der Spot erlischt, die Ansagerin verschwindet hinter dem Bühnenvorhang, wenige Sekunden später die ersten Musiktakte: Klassische Musik.

      „Die Show ist wirklich gut“, bestätigt Claudes Tischpartnerin die Worte der Leichtbekleideten, von deren Erscheinungsbild unschwer auf das anstehende Programm zu schließen ist.

      Um nicht nur dazusitzen und um seine bislang anonym gebliebene Gesprächspartnerin näher kennenzulernen, erkundigt sich Claude nach ihrem Namen: „Wie darf ich Sie ansprechen?“

      „Elaine.“

      „Ein schöner Name.“ Er meint es so, wie er es sagt. Ein paar Belanglosigkeiten austauschend, ist er mit seinen Augen fortan mehr bei der Show, die mit einer von fünf Revuegirls vorgetragenen Tanzeinlage beginnt, der sodann zwei recht gekonnte Stripeinlagen folgen, ehe er bei einem weiteren, diesmal von einem Dutzend beineschwingender, barbusiger Girls vorgetragenen Tanz seine Aufmerksamkeit wieder Elaine zuwendet. die mittlerweile ihr Glas geleert hat: „Darf ich Ihnen noch ein Glas bestellen?“

      „Oh, vielen Dank, gerne.“ Zwar von Berufs wegen darauf geschult, mit säuselnder Stimme die Kunden zu umgarnen, entgeht Claude ihr geänderter Tonfall keineswegs, in dem fast schon ein bisschen Sympathie mitschwingt. „Und, gefällt Ihnen die Vorführung?“ „Doch, recht ordentlich gemacht.“ Noch immer ist er sich nicht darüber im Klaren, wie er das heiße Eisen anpacken soll, ohne gleich Verdacht zu erregen. Zwischenzeitlich beginnt eine Solotänzerin damit, Stück für Stück ihre Hüllen fallen zu lassen. Um Elaines Vertrauen zu gewinnen, stellt er sich ihr vor: „Übrigens, ich heiße Daniel.“ Seinen richtigen Namen getraut er sich ihr nicht zu nennen - aus Gründen der Vorsicht.

      Ihre rechte Hand, deren Fingernägel dunkelrot lackiert sind, tastet sich über den Tisch hinweg zu seinem linken Handknöchel. „Erzähl' mir ein bisschen was von dir, Daniel. Was treibst du so?“

      Hätte ihn ihre Frage, da er nicht wusste, was er ihr antworten soll, wenige Augenblicke vorher noch in Verlegenheit gebracht, so kommt sie ihm jetzt dank eines Gedankenblitzes sehr gelegen: „Ich bin in der Werbebranche tätig. Deswegen bin ich auch hier in Frankfurt.“

      „Interessant. Hört sich toll an.“

      „Oh ja, ein recht abwechslungsreicher Job, bei dem man viel herumkommt. Kann zwar mitunter auch recht stressig werden, alles in allem aber liebe ich ihn.“

      „Arbeitest du auch mit vielen Models, oder nur am Schreibtisch.“

      Ob Elaine bei ihrer Frage eine Chance für sich selbst sieht oder ob sie sie aus reiner Neugier stellt, weiß Claude nicht, jedenfalls bietet sie ihm die Gelegenheit, sich sachte seinem eigentlichen Thema zu nähern. „Schreibtischarbeit ist zwar auch dabei, leider komme ich nicht ganz darum herum, überwiegend arbeite ich allerdings draußen, zum Beispiel mit der Auswahl der Orte, an denen wir dann unsere Sets machen, außerdem bin ich ständig auf der Suche nach neuen interessanten Gesichtern, die noch nicht so verbraucht sind wie die sogenannten Starmodels, die man ja schon bald nicht mehr sehen kann.“

      Elaine scheint auf den Zug aufgesprungen zu sein: „Aha, und an was für einem Projekt arbeitest du momentan? Oder ist das top secret?“ Ein Anflug von Koketterie ist aus ihrer turteltaubenhaften Stimme herauszufiltern.

      ‚Wie viele Firmengeheimnisse mögen an Orten wie diesem, in Situationen wie dieser leichtsinnig verraten worden sein’, geht es Claude durch den Kopf, der seine Gesprächspartnerin zwar weiter aus der Reserve zu locken versuchen muss, andererseits aber auch nicht durch zu offensichtliche Offenherzigkeit ihren Verdacht erregen darf, denn womöglich steckt hinter der gespielten bloßen Neugier eiskalte Berechnung. „Um was genau es geht, darf ich nicht sagen, das ist in der Tat streng vertraulich. Unsere Kunden legen größten Wert darauf, dass vor dem Start ihrer jeweiligen Werbekampagne nichts davon an die Öffentlichkeit durchsickert. Dafür zahlen sie auch gutes Geld. In eines unserer gegenwärtigen Projekte wollen wir auch so ein paar Sequenzen aus dem Nachtklubmilieu mit einbauen. Deswegen bin ich auch hier. Milieustudien nennt sich so etwas. Und möglicherweise finde ich dabei noch ein paar passende Gesichter für das Shooting.“ Claude hofft, dass seine Story einigermaßen glaubhaft klingt, was der Fall zu sein scheint, wie er Elaines Reaktion entnehmen zu können glaubt.

      „Das ist ja nun wirklich ein toller Job. Kannst dich auf Firmenkosten vergnügen.“ Ihr breites Grinsen verrät ihm ihre Hintergedanken.

      „Ich weiß, was du jetzt denkst, aber so weit gehen die Studien nicht.“

      So rasch jedoch kapituliert seine Tischpartnerin nicht: „Und außerdienstlich ... besteht da keine Chance?“

      Wie sie nicht vor den Kopf stoßen, wie ihr aber dennoch unmissverständlich klar machen, dass er an einer intimen Beziehung nicht interessiert ist? „Sei mir nicht böse, Elaine, heute bestimmt nicht“, vertröstet er sie wenig gekonnt, wie er selbst merkt, weswegen er umgehend nachschiebt: „Ich habe anstrengende Tage hinter mir. Vielleicht ein andermal. Das heißt aber nicht, dass du gleich gehen musst, bleib ruhig sitzen und trink noch ein Glas mit mir.“

      „Ich warte auf dich.“ Es klingt nicht nur so dahingesagt.

      Da er sie nicht vergrault zu haben scheint, wagt Claude den Frontalangriff: „Vielleicht könntest du mir einen Gefallen tun?“

      „Nämlich?“

      „Wenn möglich, würde ich gerne eure Showdamen kennenlernen, ihnen einmal bei den Proben zuschauen. Mir ist da nämlich so eine Idee gekommen...“

      „Da müsstest du mit dem Chef sprechen, der entscheidet solche Dinge. Meine Kolleginnen kannst du natürlich auch außerhalb des Klubs treffen, falls du sie jedoch in irgendeiner Weise engagieren möchtest, solltest du zuvor auf jeden Fall mit dem Chef reden, denn der sieht es gar nicht gern, wenn sich seine Damen ohne sein Wissen anderweitig betätigen.“

      „Kein Problem. Sag mir, wann und wo ich ihn treffen kann.“ ‚Nur keine Nervosität anmerken lassen’, beruhigt er sich selbst. „Und wie heißt er eigentlich, dein Chef?“

      „Krombacher, Felix Krombacher.“

      Claudes Erheiterung ist nicht zu übersehen und überhören: „Krombacher? So wie das Bier?“

      „Genau. Er hat allerdings nichts damit zu tun, mit der Bierfirma, meine ich.“

      Lauter Beifall durchschneidet den Raum, bezeugt das Gefallen der anderen Anwesenden an dem Dargebotenen, dem Claude daher unwillkürlich für einige Sekunden seine Aufmerksamkeit schenkt, jedoch nur um zu sehen, wie sich drei bis auf lange schwarze Strümpfe und knallrote, hochhackige Lacklederstiefeletten splitternackte Girls sich nach einer Verbeugung umdrehen und von dem wenig später sich schließenden Vorhang verschluckt