Handover. Alexander Nadler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Alexander Nadler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848018
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klar, als der Kriminalbeamte plötzlich bei der Betrachtung eines der Fotos stockt und auf eine der darauf zu sehenden Gestalten zeigend feststellt: „Wenn mich nicht alles täuscht, so ist dies hier Klaus-Peter Hilgens.“ Den Zeigefinger noch immer auf das Bild gelegt, sucht Krüger Blickkontakt mit Claude herzustellen, der, kaum hat jener seine vermeintliche Identifikation ausgesprochen, an die Seite des Bild-Begutachters herangetreten ist und auf das Foto starrt, das sie unter Umständen einen ersten Schritt weiterbringt. Der genannte Name indes sagt Claude nichts: „Hilgens, sagten Sie ... nie gehört. Wer ist das?“

      „Sie kennen Hilgens nichts?“ So erstaunt sich der Beamten im ersten Augenblick zeigt, so rasch holt ihn die Erkenntnis ein: „Ach klar, Sie waren ja längere Zeit im Ausland. Hilgens ist einer der großen politischen Aufsteiger der letzten Jahre, womöglich sogar der größte, zumindest in Hessen. Er sitzt seit zwei Jahren im hiesigen Landtag. Kam praktisch als Nobody hinein, nur weil sein Vater ein recht wohlhabender Bauunternehmer ist und langjähriger Landtagsabgeordneter war, und bei seinem Rückzug aus der aktiven Politik rechtzeitig innerhalb seiner Partei dafür sorgte, dass sein Sohnemann das Erbe des Vaters antreten konnte. Und da sich Hilgens ... ich meine den Vater“, bemüht sich Krüger eventuelle Missverständnisse auszuräumen, „…da sich Hilgens gegenüber der Partei stets recht spendabel gezeigt hatte, setzte diese seinen Sohn, wie nicht anders zu erwarten, auf einen der oberen Listenplätze, zwar nicht unbedingt zur Freude aller Parteimitglieder, doch Sie wissen schon: Wer aufmuckt, landet ganz hinten auf der Liste. Und so kam Hilgens Junior in den Landtag, mehr oder weniger ohne jegliche politische Erfahrung. Doch da ist er ja nicht der einzige, Typen wie er tummeln sich genügend in der Politik herum.“ Krügers zynischer Sarkasmus ist nicht zu überhören. „Und seither ging es dank der Protektion seines Vaters steil bergauf, man munkelt bereits davon, dass er der nächste Innenminister im Lande werden soll.“

      Noch ehe Claude sich Gedanken darüber machen kann, was der Politiker in jenen Kreisen zu suchen habe, in deren Umfeld die Aufnahmen allem Anschein entstanden sind, macht der Kommissar auf mehreren der Fotos noch ein paar andere ihm bekannte Gesichter aus: „Da schau an, der schöne Lukas, und da haben wir ja auch noch seinen Spezi, den Manni. Hier, schauen Sie“, klärt er Claude auf, „das hier ist Lukas Singer, auch ‚Hau-den-Lukas’ genannt, und das ist Manfred Arnold, kurz Manni. Zwei üble Typen, arbeiten beide in und um Frankfurt als Zuhälter, dürften aber auch sonst noch in allerlei krumme Dinge verwickelt sein.“

      Trotz der nicht besonders guten Ausleuchtung sind auf den Aufnahmen zwei muskelbepackte Protze zu erkennen, die in Claude nur einen Gedanken aufsteigen lassen: ‚Denen möchte ich nachts allein nicht begegnen.’ Und woher der Erstgenannte seinen Spitznamen hat, verrät das grobschlächtige Gesicht, in dem eine plattgeschlagene Boxernase prangt, nur allzu deutlich.

      „Ja, wen haben wir denn da“, frohlockt Krüger, ein weiteres Foto geradezu triumphierend hochhaltend, „damit wäre das Trio komplett.“ Claude die Aufnahme entgegenhaltend zeigt er auf eine im Vergleich zu den beiden zuvor identifizierten Gestalten recht unscheinbare Figur, an der auf den ersten Blick vor allem das äußerst gepflegt wirkende Äußere hervorsticht: „Lorenz Kowalzik, einer der großen Drahtzieher in der Frankfurter Unterwelt. Lassen Sie sich von seinem Äußeren nicht täuschen, das ist ein ganz ein fieser Typ, der die Drecksarbeit allerdings anderen überlässt, zum Beispiel Lukas und Manni.“ Die Aufnahmen noch einmal grob überfliegend, kommt Krüger Claude mit der entscheidenden Frage zuvor: „Tja, bleibt die Frage, was hat Hilgens mit all dem zu tun? Wenn ich mir die Aufnahmen so anschaue, so vermute ich, dass sie hier in Frankfurt gemacht wurden, und zwar auf unserer Amüsiermeile. Und die einzige mir auf den Bildern bekannte Person, die eigentlich nicht dorthin passt, ist Hilgens.“

      Thorwalds und Claudes Vermutungen bezüglich des Entstehungsortes der Aufnahmen finden durch die Aussage des Kommissars somit ihre Bestätigung, wobei Claude zusätzlich zu der Frage, was der Abgeordnete in diesen Kreisen zu suchen hatte, ebenso dringend wissen möchte, was sein Bruder mit diesen Fotos belegen wollte. Dass auch ein Politiker sich einmal in einem dieser Etablissements sehen ließ, war noch kein Verbrechen, zumal Hilgens auf keiner der Aufnahmen mit einer der drei anderen von Krüger identifizierten Personen zu sehen ist, woraus man unter Umständen irgendwelche Schlüsse hätte ziehen können. Und den Abgeordneten in den Schmutz zu ziehen, ihn bloßzustellen, nur weil er sich unter Umständen in diese Kreise begeben hatte, zu etwas Derartigem hätte sich Philipp nie hinreißen lassen. Sensationspublizistik war ihm seit jeher ein Gräuel, hatte sein Bruder - ebenso wie er selber - zu allen Zeiten rundweg abgelehnt. Die Querverbindungen stellen offensichtlich jene sechs Personen dar, die sich bereits am Wochenende für ihn und Thorwald als Schlüsselfiguren herauskristallisiert haben, denn zumindest eine von ihnen ist auch jeweils auf Fotos mit Hilgens und den drei Unterweltgrößen zu sehen.

      Zu ähnlicher Erkenntnis scheint auch Krüger gelangt zu sein, der die sechs Porträtvergrößerungen noch einmal zur Hand nimmt und sie einer genauen Begutachtung unterzieht, doch ohne Ergebnis: „Wir müssen herauskriegen, wer diese Personen sind, dann kommen wir möglicherweise ein Stück weiter. Sie kennen auch niemanden davon?“, rückversichert er sich noch einmal bei Claude.

      „Nein.“

      „Können Sie mir die Aufnahmen dalassen, damit wir sie durch unseren Computer jagen können. Vielleicht hilft uns das weiter. Doch sollten Sie sich keine allzu großen Hoffnungen machen, dass all dies überhaupt etwas mit dem Tod Ihres Bruders zu tun hat“, bemüht sich der Kriminalbeamte, Claudes Erwartungshaltung nicht zu sehr in den Himmel schießen zu lassen.

      „Selbstverständlich.“ Da Claude mit dem Begehren des Kommissars gerechnet hat, ist er in diesem Augenblick froh darüber, dass er den in der letzten Nacht angefertigten zweiten Satz an Abzügen wenigstens nicht umsonst gemacht hat. „Ich wäre Ihnen allerdings dankbar, könnten Sie mir Bescheid geben, falls Sie etwas Brauchbares herausfinden.“

      „Machen wir.“ Krüger schiebt die kreuz und quer über seinen Schreibtisch ausgebreiteten Abzüge zusammen, wobei er diejenigen, auf denen sich die von ihm erkannten Personen befinden, auf dem Stapel ganz nach oben legt. „Ehe ich es vergesse, Herr Duchamp, das Gerichtsmedizinische Institut hat mich heute Morgen informiert, dass Ihr Bruder nunmehr für die Bestattung freigegeben ist.“

      ‚Gut, dass ich bereits mit Julius darüber gesprochen habe’, geht es Claude bei dieser Mitteilung durch den Kopf. „Danke, ich habe schon alles für die Überführung und die Beisetzung Erforderliche in die Wege geleitet. Ich werde Philipp beim Grabe meiner Eltern beisetzen. Ein guter und enger Freund von uns ... von mir ist Geistlicher, er wird die Totenmesse halten.“ Warum er den Kriminalbeamten in die Einzelheiten der Beisetzung einweiht, darüber ist sich Claude selbst nicht schlüssig, vermutlich um seine latent vorhandenen Schuldgefühle ein klein wenig abzubauen, die er ob der Hilfsbereitschaft des Hauptkommissars und seiner eigenen nur bedingten Aufrichtigkeit diesem gegenüber nicht völlig zu verdrängen vermag. „Ich werde in dieser Angelegenheit also zwei oder drei Tage weg sein, doch können Sie mir eine Nachricht in meinem Hotel hinterlassen. Sobald ich zurück bin, melde ich mich wieder bei Ihnen.“

      „Ist gut, Herr Duchamp, wir tun unser Möglichstes.“

      So unangenehm ihm die ganzen Formalitäten bezüglich der Überführung und Bestattung auch sind und ihn Thorwald soweit als möglich davon zu entlasten versprochen hat, zwingt sich Claude beim Verlassen des Polizeipräsidiums dazu, sich ohne Umschweife in die Gerichtsmedizin zu begeben, um den Leichnam seines Bruder für dessen letzte Reise vorzubereiten.

      Donnerstag, 24. April 1997, 13:04 Uhr

      Philipps Beisetzung war in aller Stille verlaufen, so wie er es sich gewünscht hätte, dessen ist sich Claude sicher, der bei dieser Gelegenheit an den Gräbern seiner Eltern neue Kraft getankt hatte, derer er, dessen war er sich bewusst, im Zuge der Aufklärung des Mordfalles sicherlich noch bedürfen werde. Er hatte Thorwald das Resultat seines Besuches bei Krüger mitgeteilt, doch konnte auch dieser sich keinen Reim darauf machen, in welcher Beziehung die auf den Fotos Identifizierten zueinander stünden. Mit neu geschmiedeten Plänen hatte er sich sodann