Leben ist kälter als der Tod. Callum M. Conan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Callum M. Conan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741835629
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Aber es gelang nicht wirklich. Er musste an den Auftrag denken, nur an den Auftrag!

      Der Gedanke in seinem Kopf verblasste zu seinem Entsetzen. Er konnte das Gefühl nicht ignorieren. Aber er kannte auch den wirklichen Grund dafür nicht. Eine weitere Bewegung im Haus lenkte ihn ab. Ein Mann trat auf die Frau zu, die sich erhob und ihn zärtlich umarmte. Fox erkannte ihn: Das war sein Zielobjekt. Der Spanier war nicht direkt in seiner Schusslinie, das hinderte ihn daran sofort abzudrücken. Er wollte Perfektion – und das war an diesem Abend sein Fehler. Während er darauf wartete, dass sich der Mann bewegte, fiel ihm sein beinahe unverschämt gutes Aussehen auf. Fox fragte sich, warum er in dieser Situation an so etwas dachte, aber auch dieser Gedanke bekam keine befriedigende Antwort. Die beiden Personen im Haus umarmten sich noch intensiver und begannen sich zu küssen. Fox‘ Magen krampfte sich zusammen.

       Jetzt denk an deinen Auftrag, Mann!

      Der Mann löste sich aus der Umarmung der Frau und wollte sie mit sich auf das Sofa ziehen. Dabei bewegte er sich so weit, dass er exakt zwischen zwei Baumstämmen auftauchte, die bislang noch ein Hindernis im Schussfeld dargestellt hatten. Fox drückte ab.

      Noch während er das charakteristische Geräusch der aus dem Schaft austretenden Kugel vernahm, wusste Fox, dass er einen Fehler gemacht hatte. Es war nicht der erste an diesem Abend, aber ein folgenschwerer. Mit einem lauten Krachen zerbarst das Glas der Fensterfassade und fiel in tausend Einzelteilen klirrend zu Boden. Fox sprang auf. Schon mit bloßem Auge erkannte er, dass er sein Ziel verfehlt hatte. Der Spanier war zwar zu Boden geworfen worden, aber es hatte sich lediglich um einen Streifschuss gehandelt. Aufgeregte Rufe aus Richtung des Hauses drangen an sein Ohr, während er das Gewehr halbherzig in der Sporttasche verstaute und sich mit schnellen Schritten in diese Richtung aufmachte. Auf seinem Weg nahm er die Walther PPQ aus seinem Halfter.

      Nur für Notfälle! Das hier war einer.

      Fox schwang die Tasche über die Schulter und hielt sie mit dem Riemen in einer Hand. In der anderen hatte er die Pistole, die bereits durchgeladen und entsichert war. Er musste aufpassen, um nicht über die Veranda oder in den Pool zu stolpern, aber er erreichte auf schnellstem Wege den wintergartenähnlichen Vorbau. Drinnen lag der Spanier inmitten eines Scherbenhaufens auf dem Boden und stöhnte vor Schmerz auf. Die Frau hatte sich über ihn gebeugt und versuchte verzweifelt, etwas gegen das austretende Blut an seiner Schulter zu unternehmen. Sein Name, den Fox bislang nicht gekannt hatte, schien Àlex zu sein, denn sie wiederholte ihn mehrfach in ihrem Wortschwall der Verzweiflung.

      Der Spanier hatte Fox offenbar bemerkt, denn er drehte seinen Kopf zur Seite und schrie etwas Unverständliches in die Nacht. Im Hintergrund lief ein Song der Beatsteaks, der so gar nicht in dieses spanische Ambiente passte, sich von dem vorherrschenden Chaos aber nicht beeindruckt zeigte. Als er direkt über dem Spanier stand und auf ihn zielte, drehte die Frau sich zu Fox um. Ihre Blicke trafen sich und ließen einen sehr langen Moment nicht voneinander ab. Er registrierte ihre Verzweiflung, die ihn zu fragen schien „Warum tust du das?“. Eine kurze Regung zeigte sich in seinem Gesicht, dann wandte er sich von Lavinia ab und schoss dem Spanier direkt in den Kopf.

      1

      Neue Wege

      

       Ein Jahr zuvor, am Montag, den 19.12., in Konstanz:

      Ronald Freud war kein Mann, den man gerne warten ließ. Trotz seiner ziemlich kleinen, aber robusten Gestalt, konnte er auch den noch so stärksten Gegner einschüchtern, was vermutlich vor allem seiner absoluten Ruhe und Selbstsicherheit zuzuschreiben war. Der sechzig Jahre alte Interimschef des European Secret Service, kurz ESS, dem man sein Alter wenn überhaupt nur durch das deutlich zurückgehende und angegraute Haar ansah, stand vor dem großen Fenster, das den Blick auf den Seerhein freigab und zeigte keinerlei Regung, als Constantin Fröhlich an die Tür klopfte und dann eintrat. Draußen schipperte ein kleines Fischerboot vorbei und ein abschätziges Lächeln huschte über Freuds Miene. Einige Minuten verharrte er noch in dieser Position, dann drehte er sich langsam zu seinem Gast um, der immer noch vor dem großen Eichenschreibtisch stand. Wortlos wies er ihn an, Platz zu nehmen und verschwand dann auf dem Flur. Nach kurzer Zeit kam er wieder und setzte sich ebenfalls.

      -„Ich hatte vor einer Viertelstunde meinen Tee bestellt und der ist immer noch nicht da. Offenbar muss man hier erst ein bisschen Druck machen, bis etwas passiert.“

      Fröhlich lächelte ein unsicheres, zustimmendes Lächeln und wartete darauf, dass sein Chef fortfuhr.

      „Na ja, fangen wir trotzdem mal an.“ Er nahm seine Brille von der breiten Nase und fuhr sich mit der Hand über das rundliche Gesicht. „Was macht Ihr Death-Panel?“

      -„Alles läuft soweit nach Plan. So wie es aussieht, bekommen wir im neuen Jahr auch noch weitere Personen, die wir in das Programm einspannen können. Bislang haben wir ja nur zwei sehr unterschiedliche Testpersonen, die zwar für eine Überprüfung der Vorbereitung geeignet sind, aber nicht ausreichen, um das Panel erfolgreich in die Tat umzusetzen. Zumindest nicht in dem Maße, wie wir es zuletzt geplant hatten.“

      -„Wie Sie Ihre Leute rekrutieren ist für mich zweitrangig. Der Erfolg des Programms ist wichtig. Wie sieht es mit Colin Fox aus?“

      -„Ich hatte erwartet, dass Sie das fragen.“ So allmählich entspannte sich Fröhlich. Hier war er in seinem Element. Dass sein Chef unangenehme Fragen stellte und schroffe Kommentare abgab, war er gewohnt. Es ging am Ende nur darum, das, was er tat, erfolgreich zu verkaufen. Als Leiter einer völlig neuen Abteilung im Geheimdienst, von dem weder die federführende Europäische Union, noch die für die Gründung des ESS verantwortlichen Vereinten Nationen wussten, hatte er eine große Verantwortung, aber auch einiges an Spielraum. Das Death Panel, eine Unterabteilung, beschäftigte sich mit einem Gebiet, das schon immer in das Ressort der Geheimdienste gefallen war, niemals aber offiziell gebilligt wurde. So war es in den letzten Jahren zunehmend abgebaut und verändert worden, aber Fröhlich teilte die Auffassung Ronald Freuds, dass den Gefahren des neuen Jahrtausends nur mit großer Härte zu begegnen war und auch ein Feld in der Arbeit nicht vernachlässigt werden durfte: Das Feld der politischen Morde.

      Er war noch nicht einmal zwei Wochen im Amt, aber zusammen mit einigen anderen einflussreichen Männern in unterschiedlichsten politischen und außerpolitischen Kreisen hatten er und sein Chef schon vor Monaten mit den Planungen begonnen. Als sich dann Ende November ankündigte, Freud würde in ein Gremium gehoben werden, das dem ESS so nahe stand, dass es möglich war, Einfluss zu nehmen, waren ihre Ideen erstmals konkreter geworden. Constantin Fröhlich hatte keine Ahnung, wie es zu den Veränderungen im Service und letztendlich zu der Einsetzung Ronald Freuds als Leiter des ESS gekommen war, aber es interessierte ihn im Grunde auch gar nicht. Sein Metier war die tägliche Arbeit am Programm, an der Beeinflussung und Ausbildung von Menschen. Es gab einiges zu tun, um einen Menschen zu dem zu machen, was er am Ende für das Death Panel sein sollte: ein Killer. Aber eben ein Killer, der für das Gute kämpfte. Es ging nicht darum, grundlos Menschen zu töten und Profite daraus zu schlagen. Es ging vielmehr um die Sicherheit der gesamten Weltbevölkerung. Was die Amerikaner sich vor Jahrzehnten auf die Fahnen geschrieben hatten, die Demokratie in alle Teile der Welt zu bringen und für die Sicherheit der Welt zu sorgen, war ein hehres Ziel. Darauf mussten sie heute aufbauen, wenn auch aus einer anderen Position heraus und mit weniger eindeutig politischen Absichten, als vielmehr aus sicherheitstechnischen Gründen. Die Maßnahmen, die dafür nötig waren, konnten auf den ersten Blick schockierend wirken, aber der Nutzen war das Entscheidende. Ein Satz, der Fröhlich jeden Morgen, bevor er zur Arbeit fuhr, wieder in den Sinn kam.

      „Um Ihre Frage kurz zu beantworten: Es sieht durchaus erfolgsversprechend aus.“ Fröhlich lächelte bei dem Gedanken daran, dass dies die einzige Antwort war, die seinen Chef zufriedenstellte. „Offenbar haben die Umstände, unter denen Sie ihn mir vorgesetzt haben, seine psychische Verfassung stark beeinträchtigt. Man kann nicht wirklich von einer eindeutigen psychischen Diagnose sprechen, das haben mir auch unsere Experten bestätigt. Vielmehr scheint seine Welt vor kurzem auf den Kopf gestellt worden zu sein. Eine Art Schock oder Verwirrung verhindert, dass er sich unseren Maßnahmen dauerhaft widersetzt. Von Zeit zu Zeit kommt