Leben ist kälter als der Tod. Callum M. Conan. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Callum M. Conan
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741835629
Скачать книгу

      Aus Richtung der Seilbahnstation kamen einige Menschen in seine Richtung.

       Nun also doch mehr los!

      Fox breitete das Messi-Trikot neben sich auf der Bank aus, so dass die Nummer zehn und der Namensschriftzug deutlich zu erkennen waren. Laut Vereinbarung hätte er das Jersey anziehen sollen, aber über die Spezialjacke bekam er es definitiv nicht. Er untersuchte nochmals die Sporttasche, um sich zu vergewissern, dass alle wichtigen Gegenstände herausgenommen worden waren. Das war offenbar der Fall. Dann betastete er die großen Innentaschen seiner Jacke und stellte befriedigt fest, dass er die Umrisse dieser wichtigen Gegenstände fühlen konnte. Mit einem Tritt beförderte er die Tasche vor die Bank. Die Menschen aus der Seilbahn kamen immer näher. Der Wind hatte sich schon wieder gelegt.

      Ein Paar mit einem kleinen Mischlingshund und eine größere Familie, die lautstark plauderte, gingen an ihm vorüber, ohne auch nur von ihm Notiz zu nehmen. Schnell wurde es wieder ruhig. Fox lehnte sich zurück und nahm ein Kaugummi aus der Verpackung. Langsam begann er, darauf zu kauen. Aus dem Augenwinkel erkannte er einen Schatten, der seine Bank fast erreicht hatte. Als er sich wie zufällig in die Richtung des Schattens drehte, erkannte Fox, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelte. Vermutlich ein Katalane. Schwarze, lockige Haare, kurzer Bart, ein Tattoo, das seinen Nacken zierte. Automatisch speicherte Fox auch noch alle weiteren Informationen, die er auf den ersten Blick erkennen konnte und die für eine exakte Beschreibung wichtig waren oder bei einer körperlichen Auseinandersetzung hilfreich sein konnten.

      Der Mann schob das Trikot zur Seite und setzte sich wortlos neben ihn auf die Bank. Eine schwarze Sporttasche, die er bei sich trug und die der von Fox erstaunlich genau ähnelte, stellte er zwischen sie auf den Boden. Eine Weile saßen sie beide so da. Der Katalane kratzte sich ein paar Mal am Hals und zündete sich nach einigen Minuten eine Zigarette an. Nichts passierte. Die Vögel sangen weiterhin ihr Lied, zu dem Kaninchen hatte sich mittlerweile ein zweites gesellt und ein lautes Tuten kündigte die Ankunft eines weiteren Kreuzfahrtschiffes an. Fox nahm sein iPhone hervor und rief eine Nachrichten-App auf. An Heiligabend stellten sich augenscheinlich selbst die Agenturen auf Ruhe und Besinnlichkeit ein – laut der News-Übersicht war am Tage noch rein gar nichts passiert.

      Als die nächste Seilbahn die Bergstation erreicht und einige wenige Fahrgäste ausgespuckt hatte, warf der Spanier seine Zigarette weg. Lustlos griff er zu seiner Sporttasche hinunter und hob sie vom Boden auf. Er trat den noch qualmenden Stummel aus und trottete langsam zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.

      Fox sah sich langsam um. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, nahm er die Sporttasche und stopfte das Trikot hinein. Während er den Reißverschluss zusammenzog, warf er einen kurzen Blick ins Innere: Ein Scharfschützengewehr also. So wusste er zumindest, wie er den Auftrag angehen konnte. Die Übergabe hatte reibungslos geklappt. Blieb zu hoffen, dass sich das am Abend genauso darstellte. Fox stand auf, nahm die Tasche und schlenderte in Richtung Seilbahnstation. In der Nähe des Casa Milà, eines der berühmten Gebäude des Modernisme-Architekten Antoni Gaudí, befand sich ein gutes Restaurant, in dem er auch mit der Sporttasche nicht besonders auffallen würde. So konnte er die Zeit, bis er in Richtung Norden fahren würde, gut rumkriegen.

      Es war bereits dunkel, als das Taxi ihn am Fuße des Tibidabo absetzte. Er zahlte ein angemessenes Trinkgeld, weniger als gewöhnlich, um nicht besonders aufzufallen, und schritt die Straße entlang, bis er die Rückseite eines kleineren Anwesens erreicht hatte, dessen Garten auf einer Seite durch ein kleines Wäldchen begrenzt wurde. Schnell blickte er sich um und schlug sich dann in die Büsche. Was ihm fehlte, war ein Nachtsichtgerät. Lediglich das Visier des Scharfschützengewehrs hatte eine solche Funktion. Beim Beobachten war er also auf seine eigenen Augen angewiesen, wenn er nicht extra die sperrige Waffe herausnehmen wollte.

      Fox zog ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche, das er zuvor in der Sporttasche entdeckt hatte. Es zeigte das Zielobjekt auf seiner Yacht, einige Wochen zuvor. Nach wie vor wusste er nicht, wen er da eigentlich vor sich hatte und es war ihm auch egal. Er musste sich nur die wichtigsten Merkmale einprägen, um ihn zu erkennen. Aber da es auf dem Anwesen nicht nach einer Party aussah, würde er vermutlich ohnehin nicht zwischen vielen Menschen unterscheiden müssen. Die Ruhe, die den großen Garten und das Haus umgab, deutete darauf hin, dass der Herr des Hauses allein war. Es sei denn, er hatte Personal. Oder Familie. Was ein Problem darstellen würde. Aber auch kein allzu großes.

      Langsam und geduckt schlich er sich an der Grundstücksbegrenzung entlang in Richtung Wald. Dabei ließ er das Haus nicht aus den Augen. In diese Richtung gab es nicht viele Fenster, aber ein einziges konnte ja schon ausreichen, um dem Hausherrn einen Blick auf ihn zu ermöglichen. Genau das wollte er vermeiden. Fox erreichte das kleine Wäldchen und drang tiefer in die Botanik ein. Als er ein paar Baumreihen zwischen sich und das Grundstück gebracht und die Sporttasche mit dem Gewehr so auf dem zum Grundstück hin abfallenden Gelände platziert hatte, dass sie nicht umfallen konnte, drehte er sich erstmals um. Durch die Äste und Zweige hindurch spähte er zum Haus. Ein schwacher Lichtstrahl fiel aus einem oberen Fenster. Noch erkannte man nicht viel. Im schwachen Mondlicht konnte Fox lediglich die Umrisse des Anwesens und die Reflektion auf der Wasseroberfläche eines Pools erkennen. Einen wirklichen Überblick über die Lage hatte er von hier aus nicht. Seine Hoffnung hatte sich also nicht erfüllt. Aber irgendwie würde sicherlich alles klappen. Er wusste von den Fotos, dass sich der Hauptwohnbereich, wenn man es denn so nennen konnte, zu dieser Seite hin erstreckte. Eine große Glasfassade wie von einem Wintergarten schloss sich direkt an die Terrasse vor dem Pool an. Zumindest würde er so einiges im Blick haben.

      Die nächste halbe Stunde nutzte Fox, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und sich ein genaueres Bild von der Lage zu verschaffen. Er prägte sich die natürlichen Hintergrundgeräusche der Umgebung ein, um auf jedwede Störung aufmerksam zu werden. Viele Tiere waren zu dieser Jahreszeit nicht unterwegs. Das Bellen eines Hundes auf dem Nachbargrundstück war während der gesamten Zeit das Lauteste, was er vernahm. Einmal glaubte er, ein ankommendes Auto zu hören, aber das stellte sich letztlich als Trugschluss heraus. Die Familien waren wohl doch bereits von der Christvesper wieder nach Hause gekommen.

      Dank seiner Spezialjacke und der milden Temperaturen fröstelte er nicht. Nach dieser halben Stunde fasste er einen Entschluss. Wenn alles so kam, wie geplant, wäre dies der beste Plan. Er legte sich flach auf den Waldboden und nahm das Scharfschützengewehr aus der Tasche. Fox vergewisserte sich, dass alles richtig angebracht und funktionsfähig war und überprüfte zuletzt noch die Munition. Dann stellte er die Waffe auf das Zweibein und zielte auf die Glasfläche hinter dem Pool. Ein Blick durch das Visier bestätigte ihm die richtige Einstellung der Mündung. Durch die Enge zwischen den Bäumen hatte er zu den Seiten nicht viel Spiel, aber sobald sich sein Zielobjekt am richtigen Fleck befand, würde es gehen. Er musste nur schnell reagieren.

      Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich etwas tat. Um kurz vor halb zehn wurde in dem wintergartenähnlichen Vorbau ein Licht eingeschaltet. Fox wartete darauf, dass der Spanier in sein Blickfeld kam, aber es tat sich nichts. Zumindest schien seine These bestätigt, dass sich nicht viele Menschen im Haus aufhielten, denn sonst wäre es nicht so ruhig geblieben. Er nahm ein paar Korrekturen an der Visierlinie vor und lud die Waffe durch. Ein Vogel wurde durch das Geräusch aufgeschreckt, aber da niemand in seiner Nähe war und er das Überraschungsmoment auf seiner Seite wusste, erregte es keinerlei Aufmerksamkeit. Schnell wurde alles wieder ruhig.

      Als Fox erneut durch das Zielfernrohr blickte, zog eine Bewegung im Haus seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah auf und erkannte eine Gestalt, die sich langsam durch den Raum bewegte und sich dann auf einem der breiten Sofas niederließ, die von hier aus gut zu erkennen waren. Es war eindeutig eine Frau. Fox fielen sofort die geschmeidigen Bewegungen auf. Das war nicht sein Zielobjekt Er warf einen weiteren Blick durch das Visier und erschrak. Er kannte die Frau. Hier an diesem Ort, in diesem Kontext hätte er sie niemals erwartet, aber es gab keinen Zweifel. Dieses Ziehen in seiner Brust, das er heute schon in ähnlicher Weise bei dem Gedanken an Borussia Dortmund registriert hatte, meldete sich zurück. Diesmal aber erheblich stärker. Er konnte es nicht genau lokalisieren, geschweige denn beschreiben. Etwas wie Heimweh, aber nicht wirklich. Er vermutete es in seiner Brustgegend, aber vielleicht war das auch ein Trugschluss. Warum