Love is pain. Donom Maska. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Donom Maska
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742779311
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halten, das kann ich nicht. Schlafen wir halt beide auf dem Sofa, wobei wir die ganze Nacht quatschen statt schlafen.

      Am nächsten Tag gehen wir mit dem Gemeindevorsteher in seine Wohnung. Versiegelung oder wie immer das heisst. Es ist ein trauriger Anblick. Das Bett, in dem er gestorben ist, ist verbeult, man sieht, wo er gelegen hat. In der Wohnung herrscht ein Chaos, es ist sehr staubig. Er hat so viel Schnick-Schnack gesammelt. Ich hatte keine Ahnung, dass er Flohmarktfiguren sammelt. Es sind unzählige, verstaubte Figuren, Gläser, Services, Kuchenplatten, die da rumstehen. Ich sehe mir die Wohnung an, stelle fest, ich hab keine Ahnung, wer mein Vater ist. Überall stehen leere Whiskyflaschen und Medikamente rum. In der Putzkammer sind etwa 50 leere Flaschen auf dem Boden nebeneinander aufgereiht. Auf dem Tisch liegen Papiere, alle Dokumente sind aus den 80-er und 90-er Jahren, aber sie lagen vor ihm, als wären es aktuelle Schreiben. Wir suchen die Unterlagen raus, wo wir ihn überall abmelden müssen. Wir nehmen ein paar Fotos mit. Den Rest wollen wir nicht, wir werden das Erbe ablehnen.

      Woran ist er überhaupt gestorben? Die Ärztin meint, am wahrscheinlichsten hat sein Herz einfach aufgehört zu schlagen. Er hatte vor Jahren Krebs und Chemo hinter sich gebracht. Sie hatte vor ein paar Monaten bei der Bauchspeicheldrüse etwas entdeckt und wollte, dass das genauer untersucht wird, aber er wollte nicht mehr. Er wollte gar nicht mehr wissen, was da nicht stimmt. Er hatte keine Kraft mehr, zu kämpfen also bekam er alle möglichen Medikamente gegen die Schmerzen und zusammen mit dem Alkohol hat wohl das Herz einfach aufgegeben. Sie haben ihn nicht obduziert, da es unnötig schien.

      In seiner Wohnung geht mir Livia ziemlich auf die Nerven. Sie will wohl, dass der Gemeindetyp ihr Missfallen über die Art, wie ihr Vater gelebt hat, deutlich mitbekommt. Er soll ja nicht auf die Idee kommen, bei ihr sehe es auch so aus. Ich bitte sie ein paar Mal, einfach ruhig zu sein, aber sie hört nicht auf. Immer wieder gibt sie „Iiiiiih“ von sich oder sonstige Kommentare, fasst die Sachen mit Daumen und Zeigefinger und rümpft die Nase. Ich werde immer angepisster.

      Wir verabschieden uns von dem Typ, gehen noch in den Blumenladen, bestellen Bestecke und gehen zum Bahnhof. Lasse, der Mann meiner Tante, ruft mich an, ein paar unserer Landsleute haben sich gemeldet und bieten ihre Hilfe an. Sie wollen sich um den Leichenschmaus kümmern, der Balkanladen-Inhaber würde die Fleischplatten günstig verkaufen, sie werden sie holen und alles bereit machen. Eigentlich will ich am Nachmittag die Fleischplatten beim Metzger bestellen und mich um alles für den Leichenschmaus kümmern, aber ich freue mich sehr, dass die Leute ihre Hilfe anbieten und nehme sie dankbar an. Livia redet dazwischen „Nein, was mischen die sich ein! Wir werden das alles erledigen. Wir brauchen deren Hilfe nicht.“ Ich bin schockiert. Lasse hört sie, meint, ich soll das mit ihr klären, ich sage „Nein, ich nehme die Hilfe sehr gerne an.“ Während ich mit ihm noch alle Details, was wir brauchen, bespreche, redet sie dazwischen, benimmt sich wie ein verzogenes Gör, singt sogar. Lasse ist es unangenehm und ich kann es kaum erwarten, aufzulegen. Ich wimmle ihn ab, leg auf, steh von der Wartebank auf und dann schreie ich sie an.

      Ich schreie, wie ich sie noch nie in meinem Leben angeschrien habe, mitten am Bahnhof „Was soll der Scheiss? Seit zwei Tagen läufst du mir wie ein Dackel hinterher und es heisst die ganze Zeit, mach du, entscheide du, sag du. Jetzt kommst du plötzlich, WIR machen das. Welches WIR? Von welchem verdammten WIR redest du? Du verschwindest gleich nach Hause zurück und kommst erst wieder zur Beerdigung. Welches WIR soll denn das sein? Es sind nur ich! Ich darf herumrennen, ich darf alles entscheiden, ich muss alles organisieren, ich soll schleppen. Welches verdammte WIR? Da bieten Leute, die ich gar nicht kenne, ihre Hilfe an und statt dass du dich freust, weil ich nicht alles allein machen muss, willst du, dass ich wie ein Packesel alles auf meinen Schultern schleppe. Ich hab so die Schnauze voll von deinem Egoismus, deiner Faulheit, du bist unbrauchbar und wenn du eh nichts machen willst, halt einfach die Klappe! Halt verdammt noch mal dein Maul. In der Wohnung hast du dich wie der grösste Vollidiot verhalten. Halt doch einfach mal die Klappe und benimm dich wie eine Erwachsene statt wie ein verzogenes Gör!“ Ich schreie sie auch weiterhin an, ich bin ausser Kontrolle, sie gibt keinen Ton von sich.

      Bei mir ist die Luft raus, ich laufe in einer Linie hin und zurück, rauche, inhaliere tief. Der Bus kommt. Auf dem Weg nach Hause reden wir kein Wort miteinander. Ich bin ausgelaugt, leer, müde. Zu Hause fragt sie, was sie übernehmen soll, ich geb ihr die Botschaft. Blödsinn, die Botschaft ist in der Stadt am Fluss, für mich wäre es einfacher, mich darum zu kümmern, aber ich geb ihr die Aufgabe trotzdem ab. Sie wird dann vom Schwager abgeholt.

      Komischerweise geht es mir seelisch die ganze Zeit gut. Ich hab keinen Druck mehr in der Brust und meinen ersten Termin mit Frau M. hab ich von Freitag auf Donnerstag vorverschoben, überlege aber, ob ich überhaupt hingehen soll, da es mir ja wieder gut geht. Ich bin schon geheilt. Ich entscheide mich dann, doch einmal vorbeizuschauen.

      Am Freitag ist die Beerdigung. Ich hab vereinbart, früher dort zu sein, ich will ihn sehen. Es fühlt sich nicht richtig an, dass ihn lauter Fremde zuletzt gesehen haben. Ich hab das Gefühl, jemand aus der Familie sollte sich von ihm verabschieden. Die vom Beerdigungsinstitut raten mir ab, er lag eine Woche in der Wohnung, es sei kein schöner Anblick. Livia will auf gar keinen Fall. Sonst ist niemand aus seiner Familie da. Tante und Mutter wollen auch nicht, aber sie sollten es auch nicht sein. Ich reisse mich nicht drum, aber jemand muss es tun.

      Meine Tante hatte mich schon im Vorfeld angefragt, ob mich Lasse fahren soll, ich hab abgelehnt. Ich will nicht mit ihm hin und meine einzige Freundin Joli hat zugesagt, mich zu fahren. Aber Joli kann dann doch nicht, ihr Sohn ist krank. Ich glaube, sie wollte einfach nicht bei der Beerdigung dabei sein und hat eine Ausrede erfunden. Während eines Telefongesprächs erzähl ich Livia, dass ich mit dem öffentlichen Verkehr hinfahre. Am Abend schreibt mir Mutter, ob sie mich begleiten soll. Ich antworte, wenn ich gewollt hätte, dass sie mich begleitet, hätte ich sie gefragt.

      Keine Stunde später ruft mich Tante an und sagt „Hallo. Lasse will mit dir reden.“ Was soll das bitteschön sein? Bin ich ein Kind, das jetzt eine Strafpredigt zu hören bekommt? Lasse nimmt den Hörer und sagt, er hat alles umorganisiert, da er sich um die Getränke kümmern wollte. Er hat die Aufgabe übertragen und er wird mich fahren. „Wer hat dich drum gebeten?“ knurre ich. „Du kannst doch nicht allein gehen“ antwortet er. „Wer hat dich drum gebeten, alles umzuplanen? Wer hat dich drum gebeten, mich zu begleiten? Hab ich Tante nicht bereits gesagt, ich will es nicht. Also wer hat dich drum gebeten?“ Ihm ist es unangenehm, aber er besteht darauf und ich lehne immer wütender ab. Ich lasse meine Wut an ihm aus.

      Das ist so typisch. Immer wieder versucht diese Familie über mich zu entscheiden, es hat noch nie geklappt, das Einzige, was sie damit erreicht haben ist, dass ich sauer werde, ausfallend, aber ihr Ziel haben sie noch nie erreicht. Trotzdem geben sie es einfach nicht auf. Nach all den Jahren machen sie sich nicht einmal die Mühe, sich zu überlegen, wer ich überhaupt bin und was ich will.

      Ich koche vor Wut, weil er mir einfach nicht zuhören will „Wann fängt ihr endlich in eurem beschissenen Scheissleben an, zuzuhören, wenn ich was sage?“ blaffe ich ihn an „Was zum Teufel glaubt ihr eigentlich, wer ihr seid, einfach zu entscheiden, was ICH tue!“ Am Ende meint er „Ich kann doch nichts dafür. Die haben mir aufgetragen, dich zu fahren.“ Stimmt schon, er sitzt zwischen den Stühlen und bekommt jetzt meine ganze Wut ab. Ich lasse es wirklich an ihm aus, bin beleidigend, aber ich bin über all die Jahre, die sie einfach in mein Leben einmischen wollen, wütend. Am Ende sag ich „Danke, aber ich gehe allein. Bis dann“ und lege auf.

      Ich mach mich allein auf den Weg. Als ich ankomme, ist schon alles bereit, ich werde in den Raum geführt, in dem er aufbewahrt wird, der Herr vom Beerdigungsinstitut lässt mich im Raum allein. Ich schaue auf diesen Toten. Er ist so unglaublich dünn, besteht nur aus Haut und Knochen und ist vollkommen weiss. Das ist gar nicht mein Vater, die haben sich geirrt. Ich schaue noch mal hin. Nein, ich kenne den nicht. Ich gehe raus und frage den Mann, ob sie den Falschen haben, das hier kann doch nicht mein Vater sein. Er meint, das wäre schon der Richtige. Ich gehe noch mal rein. Er war zwar nie dick, aber so dünn hätte ich ihn mir nie vorstellen können und so weiss. Nicht grau sondern richtig weiss und mit einem weissen Bart. Ich hab meinen Vater nie mit Bart gesehen. Er hat sich jeden Morgen nass rasiert. Ich schaue noch mal genauer hin, doch das ist wohl schon mein Vater.