Timeflyer. Doris Bühler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Doris Bühler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847660262
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gar nicht, warum du unbedingt ausziehen willst,” sagte Petra eines Morgens kopfschüttelnd zu ihm, als sie miteinander zur Straßenbahnhaltestelle liefen. Sie war Lehrling in einem Schuhgeschäft in Durlach. “Ist es dir denn nicht gut gegangen bei uns?”

      Er lachte. “Oh doch! Besser, als ich es mir je hätte träumen lassen.”

      “Na also! Und warum gehst du dann?”

      Er hob die Schultern. Was sollte er ihr darauf antworten?

      “Die Bedingungen haben dir nicht gefallen, stimmt’s?” meinte sie.

      Er sah sie von der Seite an. “Was meinst du damit?”

      “Oh, mein Gott,” schnaubte sie verächtlich. “Ihr tut alle, als sei ich blöd! Glaubst du, ich weiß nicht, daß wir zwei füreinander bestimmt waren?” Sie kicherte. “Aber du hast mich ja nicht gewollt! - Gut, akzeptiert, ich bin nun mal nicht dein Typ. Aber dann, - Ironie des Schicksals, - findest ausgerechnet du den Richtigen für mich! Nur leider nicht schnell genug eine andere Wohnung. - So ein Pech, was?”

      Kalle blieb erstaunt stehen. “Sag mal...”

      Sie lachte wieder. “Weißt du, Kalle, ich würde mich wirklich freuen, wenn du bei uns bliebst. Ehrlich. Du bist nämlich ein prima Kumpel. - Obwohl ich natürlich verstehen kann, daß du von uns die Nase voll hast. Weißt du, Pit würde eh’ nie zu uns ziehen. Und meine Schwester würde ich auch niemals verraten.”

      “Hast du ihr das schon mal gesagt?”

      “Nein.”

      “Warum nicht?”

      “Warum sollte ich. Sie behandelt mich wie einen Idioten und hält es nicht für nötig, mit mir wie mit einem vernünftigem Menschen zu reden. Sie kann ruhig noch eine Weile zappeln.”

      “Mannometer!” Kalle lächelte und schüttelte den Kopf. “Du bist ein Mordskerl!”

      “Danke! Deine Anerkennung kommt reichlich spät,” spottete sie. “Übrigens, da kommt meine Bahn. Noch schnell einen guten Rat von mir: Laß dir Zeit mit der Wohnungssuche und kümmere dich einfach nicht um unsere zwei Schönen.” Lachend stieg sie ein und winkte ihm aus der Bahn noch einmal fröhlich zu.

       August 1987

       Mir war aufgefallen, daß der Doktor abgenommen hatte. Er sah bleich und krank aus und wirkte fahrig und unkonzentriert. Seine sonst so korrekten Konzepte waren jetzt oft so lückenhaft und unzusammenhängend, daß ich beim Schreiben immer wieder nachfragen mußte. Irgendwann hielt er beim Diktat plötzlich mitten im Satz inne und fuhr sich mit einer matten Handbewegung über die Stirn.

       “Ist Ihnen nicht gut, Herr Doktor?” fragte ich besorgt.

       Er schüttelte den Kopf. “Nein, nein, es geht schon wieder.” Er nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Der fanatische Glanz, der noch vor Wochen von ihnen ausgegangen war, war erloschen. Er wirkte alt und unsagbar müde.

       “Ich werde Ihnen einen starken Kaffee kochen,” sagte ich und stand auf, doch er hob abwehrend die Hand. “Ich vertrage keinen Kaffee mehr, meine Magennerven... Aber vielleicht haben Sie einen Tee?”

       “Natürlich, ich mache Ihnen einen Kamillentee, der wird Ihnen guttun...”

       “Warten Sie, Karin, setzen Sie sich wieder. Ich muß zuerst etwas mit Ihnen besprechen. Eigentlich sollte ich damit warten, bis Prof. Riechling wieder hier ist, aber, um ehrlich zu sein, das dauert mir zu lange. Mir wird es sicher auch um einiges besser gehen, wenn ich erst mit Ihnen geredet habe. Ich hab es eigentlich schon bei unserem letzten gemeinsamen Experiment machen wollen, sicher erinnern Sie sich, nicht wahr? Damals hielt es der Professor aber noch für verfrüht. Wahrscheinlich hatte er sogar recht.”

       Ich setzte mich wieder. “Soll ich Ihnen nicht doch lieber zuerst den Tee kochen?” fragte ich voller Mitgefühl. “Sie sehen wirklich krank aus.”

       “Nein, warten Sie,” sagte er noch einmal und erklärte: "Ich habe einfach zuviel gearbeitet in der letzten Zeit. Kaum geschlafen, zu wenig gegessen. Doch nun wird alles anders werden, denn unser ‘Timeflyer’ ist fertig.”

       “Wirklich?" Ich freute mich für ihn. "Endgültig fertig?”

       Er nickte lächelnd. “Ja. Und er arbeitet genauso tadellos und exakt, wie wir uns das vorgestellt haben. Wir haben ihn unzählige Male getestet, mit verschiedenen Gegenständen und den unterschiedlichsten Versuchstieren. Er funktioniert einwandfrei und ohne nennenswerte Abweichungen. Natürlich sind wir sehr stolz und glücklich darüber, und genaugenommen könnten wir ihn nun einem breiteren Publikum vorstellen, aber... Dazu fehlt uns noch ein allerletzter Test, und der macht uns große Sorgen.”

       Ich schaute ihn schweigend an und wartete.

       “Nun ist es nämlich soweit, daß wir den ‘Timeflyer’ an uns selbst testen müßten, um zu beweisen, daß er tatsächlich ungefährlich ist und der Menschheit von großem Nutzen sein kann.” Er schwieg, und für einen kurzen Augenblick schien es, als sei er vollkommen abwesend, dann fuhr er fort: “Die Sache hat nur einen Haken: Ich glaube, ich bin zu alt, um diesen Versuch selbst durchzuführen. Ich weiß nicht, ob mein Herz das mitmachen würde. Vom Professor ganz zu schweigen. Obwohl wir uns hundertprozentig sicher sind, daß der menschliche Organismus den Zeitsprung genauso schadlos überstehen wird, wie der unserer Versuchstiere, wissen wir nicht genau, wie einzelne Organe im menschlichen Körper reagieren werden, wenn sie alt, verbraucht oder krank sind. Wir brauchen jemanden, der jung und gesund ist. Doch nicht nur das, er muß auch intelligent genug sein, um bei den Experimenten verantwortungsvoll mit uns zusammenzuarbeiten. Wir brauchen jemanden, dem die Situation nicht aus den Händen gleitet, oder der sie gar mißbraucht. Jemanden also, der begreift, worum es geht. Der uns versteht, mit uns fühlt und mit uns denkt...! Kurzum, wir brauchen Sie, Karin.”

       Mir stockte der Atem. Ich begriff nicht gleich, was er mir damit sagen wollte. Dann spürte ich, wie mir jeder Tropfen Blut aus dem Gesicht wich, wie ich anfing zu frieren. Um Himmels Willen, dachte ich. Alles, nur das nicht!

       Das Portrait des Herrn Bott über dem Schreibtisch lächelte plötzlich nicht mehr, sondern blickte ernst auf mich herab. Das Leder des Sessels fühlte sich eisig kalt an.

       “Mich?” stammelte ich. “Nein, das geht nicht, das geht wirklich nicht. Es gibt andere...”

       Dr. Weißgerber schüttelte traurig den Kopf. “Wen denn, Karin, wen denn? - Nein, es gibt niemanden außer Ihnen. Wenn wir uns eine andere Versuchsperson suchen müßten, würde uns das Wochen, oder sogar Monate zurückwerfen. Verlorene Monate. Ich bitte Sie, denken Sie darüber nach. Sie dürfen uns jetzt nicht im Stich lassen.”

       “Aber ich kann das nicht tun, ich habe... Angst.”

       “Wir werden alle Risiken ausschalten. Wir werden uns mindestens ein halbes Jahr lang darauf vorbereiten, werden jeden Punkt besprechen, jede Eventualität durchspielen. Wir werden dieses Experiment nicht eher starten, bevor es keine Situation mehr gibt, in der wir nicht Herr der Lage wären. Bevor absolut nichts mehr schiefgehen kann. Wir werden nur einige wenige Jahre in der Zeit zurückgehen, nur so weit, daß Sie sich immer noch zurechtfinden werden. Frau Dr. Ebenstreit wird dabei sein, sie wird dafür sorgen, daß Sie in bestmöglicher körperlicher Verfassung sind, und sie wird auch während der Experimente ihre Gesundheit strengstens überwachen. Keinesfalls würden wir Sie irgendeiner Gefahr aussetzen, Karin. Bis es soweit ist, wird es keine einzige ungeklärte Frage mehr geben, das versichere ich Ihnen.”

       Das Kaninchen fiel mir ein, die entsetzliche Möglichkeit, mir selbst zu begegnen, und eine Gänsehaut lief mir den Rücken hinunter. “Wenn ich mir vorstelle, daß ich wie dieses Kaninchen...”

       “Aber