Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Klößinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737520829
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ist sicher!“, wiederholte Fox murmelnd.

      „Was ist los?“, fragte Ilka.

      „Nichts, nichts. Apropos Essen: Ich glaube, unsere Hummer warten schon.“

      „Ich geh nur noch mal schnell ins Bad!“

      „Sehr gut!“, dachte sich Fox, und als er hinter der Badezimmertür Wasser ins Waschbecken plätschern hörte, griff er schnell nach dem kleinen Prospekt, der auf dem Nachtkästchen lag: die Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Er blätterte rasch und fand schnell, was er suchte: Ein Foto zeigte in Pastellfarben eine kleine Wassermühle inmitten eines märchenhaft anmutenden Wäldchens. Darunter stand: „Mühle Violon. Die einstmalige Werkstatt des Geigenbauers Jean de Cornemuse. Bis in seine späten Jahre baute er hier seine weltberühmten Instrumente. Seit er im Alter von 99 Jahren starb, steht die Mühle leider leer. Die Erben und die angrenzenden Gemeinden erwägen, ein Geigenmuseum hier einzurichten.“ Weiterhin war eine kurze Wegskizze angekündigt, die allerdings fehlte, ebenso wie der versprochene Faltplan der Umgebung. Sie waren, einem gezackten Riss nach zu urteilen, wohl hastig aus der Broschüre gefetzt worden.

      „Finkenwald hat das Büchlein schon vor mir gelesen, wie’s scheint!“, überlegte Fox und blätterte ziellos eine Seite nach der anderen um. Schließlich entdeckte er eine kleine Anzeige auf der vorletzten Seite: Die Erbengemeinschaft der Violon-Mühle bat um eine Spende für die Renovierung des Gebäudes. Daneben war im Kleinstformat doch noch eine Lageskizze abgedruckt. Prancock riss den Aufruf kurzerhand aus dem Prospekt und steckte den Fetzen flugs in die Brusttasche seines Hemdes.

      „Tonight at the Violon Mill I’ll be there!“, schoss es ihm durch den Kopf. Wie immer, wenn er völlig in den Gebrauch seiner Muttersprache verfiel, hatte ihn eine Sache in Beschlag genommen. An seinen Beschlüssen war dann nicht mehr zu rütteln.

      „Ich bin so weit!“, hatte schließlich eine gut gelaunte Ilka verkündet, als sie aus dem Badezimmer getreten war. Dann hatte sie sich bei Prancock eingehakt und sie waren fröhlich zum Dinner-Drama aufgebrochen.

      Nach der einzigartigen Showeinlage mit den beiden Hummern wagte sich Fox schließlich an die entscheidende Frage: „Noch einen Wein, Kätzchen?“

      Ilka bemerkte keinerlei Hintergedanken in der Frage ihres Freundes. Mit dem strahlendsten Lächeln, das sie seit Beginn des Urlaubs gezeigt hatte, antwortete sie: „Oui, Monsieur! Auf unseren Erfolg!“

      Um kein Anzeichen eines schlechten Gewissens zu offenbaren, wandte Fox sich augenblicklich nach Mr. Sorgenfurche um, winkte ihn an den Tisch und bestellte zwei weitere Gläser Rotwein. Er hasste sich dafür, seine Freundin so zu manipulieren, ihr wichtige Erkenntnisse zu verschweigen, aber mit einem hatten seine kleinen Teufelchen wohl recht, und zwar verdammt recht: Die Sache war nicht nur mysteriös, sie konnte auch ziemlich gefährlich werden, und er wollte Ilka keiner Gefahr aussetzen. Ihm war klar, dass sie nicht davon abzuhalten wäre, mit ihm bei Nacht und Nebel der Violon-Mühle einen Besuch abzustatten, wenn er sie in seine Pläne einweihen würde. Gut, alle seine Vermutungen könnten sich als falsch erweisen: Finkenwald käme in dieser Nacht nicht in den Märchenwald, Mill wäre tatsächlich Valeries Nachname und das Déjà-vu wäre nur ein Irrtum gewesen – selbst dann wäre nichts verloren. Dann könnte man immer noch in die Richtung weiter recherchieren, zu der Ilka momentan tendierte.

      „Warum bist du denn so still?“, fragte sie und ihre Zärtlichkeit trug nicht gerade dazu bei, dass Fox’ Unbehagen sich verkrümelte. Ilka griff nach seiner Hand und streichelte sie sanft. „Herr Kommissar, für heute ist Feierabend!“, bemerkte sie leise, aber bestimmt.

      Der Ober brachte den Wein und stellte die Gläser vor ihnen ab. Sie stießen an und tranken schweigend. Beide genossen die Stille. Außer ihnen saß niemand mehr im Speisesaal. Das Hummer-Geduldspiel hatte viel Zeit in Anspruch genommen. Zudem nutzten viele den lauen Abend für romantiktriefende Spaziergänge oder zum Erforschen ihrer Minibars. Fox liebte es, den Widerschein sich verabschiedender Sonnenstrahlen im roten Wein zu beobachten. Er sah in sein Glas, als wäre es eine Kristallkugel, die ihm die Zukunft voraussagen könnte. Trotzdem hasste er sich für seinen kleinen Trick: Wenn Ilka nur ein einziges Glas Wein trank, hatte das auf sie einen sehr belebenden, anregenden Effekt und eine wilde, erotische Nacht wäre Fox sicher. Der Gedanke war so verführerisch, dass das Unschuld heuchelnde Füchslein fast von seinem Plan abgesehen hätte. Er entschied sich für ein Gottesurteil: Würde Ilka nach einem Glas kein weiteres mehr trinken – adieu, Violon-Mühle. Im Gegenzug wäre eine leidenschaftliche Nacht Entschädigung genug für ein entgangenes Abenteuer. Trotzdem hatte er gehofft, dass Ilka sich für einen weiteren Wein entschied. Danach war sie nämlich erfahrungsgemäß so müde, dass sie Mühe hatte, nicht schon beim Zähneputzen in Morpheus’ Arme zu entschwinden. So oft ihn das in ihrer erst kurzen Beziehung auch schon genervt hatte – an diesem Abend war Fox die sehr spezielle körpereigene Reaktion seiner Freundin auf die Wirkung hochklassig gekelterter Trauben mehr als nur recht.

      „Trink aus, Liebling, ich glaub, ich muss ins Bett!“, unterbrach eine gähnende Ilka Prancocks Gedankengang.

      „Gut, Kätzchen! Ich schlaf auch gleich ein!“ Schon wieder eine Lüge, doch die Engelchen hielten bereits Nachtruhe und die Teufelchen grinsten von Horn zu Horn.

      „Was machen die denn hier?“, zischte Jessica Robert zu und wies mit einer unauffälligen Handbewegung auf zwei Neuankömmlinge. Durch vereinzelte Zufallsbegegnungen, bei Spaziergängen, beim samstäglichen Einkauf und durch SMS-Kontakte hatte sich die Aktion auf Jeannies Hof wohl als „Big Party“ herumgesprochen. Über den wahren Zweck dieses Ferienlagers hatten die Eingeweihten tunlichst geschwiegen. Infolgedessen kamen im Lauf des Sonntags einige Klassenkameraden von Jasmin und den anderen dazu, manche mit Zelten und Schlafsäcken, andere schauten nur mal kurz vorbei.

      „Hoffentlich hauen die bald wieder ab!“, teilte Robby die negativen Gefühle seiner Freundin.

      „Meine Güte, habt ihr gesehen, wer da gekommen ist?“ Die Ankunft von Jan und Nicole schien sogar Nick aus seinem Murmeltierdasein aufgeschreckt zu haben, stellte Jessy mit innerer Genugtuung, aber ohne offenkundige Gefühlsregung fest.

      „Sagt mal“, fragte Jasmin, die sich neben Robert ins Gras setzte und sofort begann, mit einem schmalen Zweig Löwenzahnblätter im Lagerfeuer zu grillen, „woher hat denn das Söhnchen des Herrn Bürgermeisters Wind von unserer Aktion bekommen?“

      „Große Events werfen einfach ihre Schatten voraus!“, gab Robert zurück. Er bemühte sich, seine Lippen nur so wenig wie möglich zu bewegen.

      „Gott sei Dank, sie setzen sich zu Yvette und Rico!“, stellte Nick erleichtert fest.

      Jessica rollte ihre Augen und sah so angestrengt zum Himmel, als würde sie ihr Sternbild suchen. „Die beiden tun mir jetzt schon leid.“

      „Achtung“, warf Nick ein, „gleich beginnt das unvermeidliche Naturereignis. Ich schätze in circa 10 Sekunden! 10 – 9 – 8 …“

      Doch der Countdown war noch lange nicht bei „Zero“ angelangt, als es geschah: Nicoles schrilles Gekicher brach über die bis dahin gemütliche und entspannte Unterhaltung der Zweck- und Feiergemeinschaft herein. Selbst die Frösche auf dem nahegelegenen Teich unterbrachen ihre Abendserenade für ein Weilchen. Anscheinend waren sie aber vertraglich an eine Konzertagentur gebunden, sodass sie bald gegen die kreischige Arie der Schülerin anquakten.

      Yvette und Rico lächelten gequält und ließen mehr oder weniger heitere Episoden aus Nicoles Schul- und Beziehungsleben über sich ergehen.

      „Kaum zu fassen, dass unser Nick mal in diese Operndiva verknallt war!“, seufzte Jessica leise in das Prasseln des Feuers.

      „Halt bloß die Klappe!“, fauchte der Bloßgestellte und versetzte Jessy einen symbolischen Faustschlag gegen den Arm.

      Jessica grinste und beobachtete aus den Augenwinkeln heraus Jasmins Reaktion. Wie befürchtet schien die Episode aus Nicks Vorleben Jassy kaltzulassen. Nur so etwas wie ein „Na also“ huschte über ihr Gesicht.

      „Andererseits“, stellte Robert in einem Anflug von Pragmatismus fest,