Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Klößinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737520829
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er sich an jenes geflügelte Wort, das in jeder „Gary Button“-Folge wiederholt heruntergebetet wurde: „Ich Blödmann war wie ein Anfänger in die Falle getappt!“ Konnte es sein, dass Finkenwalds Hilferuf eine Art Köder war? Unwahrscheinlich, aber wenn der Typ tatsächlich verfolgt wurde, war vielleicht Walter himself hier in einen Hinterhalt geraten.

      „Durchs Tor brauche ich nicht zu gehen“, arbeitete das Planungsbüro „Prankes graue Zellen“ auf Hochtouren, „da könnte ich gleich klingeln und sagen, dass ich Schneewittchens vergiftete Äpfel dabei habe! Stopp – falsches Märchen! Okay, ich bin das himmlische Kind und streiche erst mal weiter um das Häuschen.“

      Fox schlich am Zaun entlang, bis er zu einem Nebentrakt kam, der einmal eine Vorratsscheune gewesen sein mochte. Buschwerk und Zweige wucherten hier so nahe an das Gebäude heran, dass Blätter, Zaun und Baumstämme eine Art Tunnel bildeten.

      „Hier sieht mich wenigstens keiner!“, stellte Fox beruhigt fest. Er musste sich aber auch eingestehen, dass von hier aus nicht zu erkennen war, was im Haus oder um die Mühle herum passierte. Egal! Offensichtlich war sowieso nichts los. Der Gang aus Zaun und Zweigwerk wurde immer dunkler. Nach scheinbar endlosem Schleichen und Entlangtasten ging es um eine Ecke. Der Mond warf ein Spotlight vor Prancocks Füße. Fast hätte Fox erstaunt durch die Zähne gepfiffen, konnte sich aber beherrschen. Eine Planke hatte sich aus dem Zaun gelöst oder war herausgebrochen worden.

      „Jetzt krieg mal nicht die Thrillerpanik! Bei so ’nem morschen Teil ist es ein Wunder, dass nicht überall Bretter und Balken rumliegen!“ Eine diffuse Beunruhigung keimte in ihm auf. Fox bemühte sich, keine Geräusche zu verursachen, als er an die Lücke herantrat. Schließlich lugte er zaghaft hindurch. Nichts und niemand war zu sehen. Fox kniff die Augen zusammen. Er versuchte zu erkennen, ob von der fehlenden Planke aus Spuren zur Mühle führten. Das Mondlicht reichte jedoch nicht aus, um eventuelle Fußabdrücke sichtbar zu machen. Weder Geräusche noch Licht drangen von der alten Mühle herüber. Nahezu lautlos zwängte sich Fox durch das Loch im Zaun. Reflexartig ging seine Rechte in Richtung Schulterhalfter. Er hielt inne. Dem Kommissar fiel ein, dass seine Waffe wirklich Urlaub machte, ganz im Gegensatz zu ihm selbst. Zögernd sah er sich um. Es gab keine Deckung mehr, er stand wie auf dem Präsentierteller. Waren die Schatten, die er im Garten ausmachen konnte, Bäume, Büsche oder Menschen?

      „Ich frage lieber nicht nach!“, beschloss er und huschte schnell zum seitlichen Fachwerk der Mühle. Er drückte sich, wie tausendmal trainiert, an das Gemäuer. Fox setzte Fuß vor Fuß. Die Hektik, die sein Herzschlag ihm diktierte, schüttelte er ab. Sachte manövrierte er sich bis zur Hausecke und spähte hervor. Eine Bewegung vom Tor her ließ ihn zusammenzucken. Schnell zog er den Kopf zurück in Deckung. Nichts geschah. Kein Schuss, keine Rufe wie „Hände hoch“ störten die Stille. Ein erneuter Blick gab Fox die Gewissheit: Nur ein Busch hatte im leichten Wind gewackelt.

      „Einmal tief durchatmen und dann weiter!“ war die Devise. Es gab kaum Deckung, aber er hatte keine Alternative: Wollte er in die Mühle, ging’s hier lang. Bis er endlich am Eingang ankam, hatte er das Gefühl, „Ben Hur“ in voller Länge rekapituliert zu haben. Vorsichtig berührten seine Fingerspitzen die Klinke. Verdutzt blieb er stehen und zwinkerte ungläubig: Er hatte eine ähnliche Rostgranate wie am Tor erwartet, aber dieses Stück Metall fühlte sich glatt an. Als er es genauer betrachtete, bemerkte er, wie sich das Mondlicht darin spiegelte. Er ließ seine Finger über das Holz der Tür gleiten: keine abblätternde Farbe, keine aufgeraute, spreißelige Oberfläche – kein Zweifel, die Tür war neu.

      „Die Erben wollen sich also doch gegen ungebetene Eindringlinge absichern!“, vermutete Fox und erwartete daher, dass die Tür verschlossen wäre. Langsam drückte er die Klinke herunter. Weder Knarren noch Quietschen ertönten. Dank offenbar frisch geölter Scharniere wurde der Weg ins Innere der Violon-Mühle frei, ohne dass ein Geräusch den Eindringling verraten hätte.

      „Coole Sache“, bemerkte Fox mit einem Grinsen, „erst im Sicherheitsrausch neue Türen einbauen und dann vergessen, abzuschließen. Na, mir soll’s recht sein.“

      Um im Flur wenigstens ein bisschen Licht zu haben, ließ er die Tür hinter sich offen stehen. Er trat in einen lang gezogenen Gang, der in ein Treppenhaus mündete. Fox näherte sich der Stiege und lauschte. Nichts.

      „Dach oder Keller?“, fragte er sich. Am liebsten hätte er eine Münze geworfen, die ihm die Entscheidung abnehmen könnte. Um aber Geräusche zu vermeiden, bemühte er in Gedanken einen alten Abzählreim: „Knick-knack paddy-wack, give a dog a bone, this old man came rolling home.“ Sein Finger zeigte auf die Stufen, die ins Obergeschoss führten. Obwohl er sich bemühte, leise zu sein, blieb das Knarren der Treppen dennoch so unvermeidlich wie das Rülpsen nach einem Glas Limonade.

      „Darum trinke ich so was auch nicht!“, schweiften Prancocks Gedanken kurzzeitig ab. Der Dielenboden im ersten Obergeschoss war ungleich staubiger als im Parterre. Ein fahler Lichtstrahl fiel dank eines halb herunterhängenden Fensterladens durch eine milchige Scheibe herein. Das schwache Leuchten ließ im Luftzug wirbelnde Flusen und Körnchen erkennen. Spuren? No chance. Um eventuelle Fußabdrücke ausmachen zu können, hätte Fox eine Taschenlampe oder wenigstens eine Kerze benötigt. Er betrat ein Zimmer. Ein plötzliches Poltern jagte ihm solch einen Schrecken ein, dass er schon glaubte, das Herz sei ihm in die Unterhose gerutscht. Stocksteif stand er in einem fast vollkommen dunklen Raum. Neben sich bemerkte er eine alte Kommode. In schummrigen Lichtfetzen, die diffus vom Fenster her einfielen, sah er einen kleinen, umgefallenen Bilderrahmen auf dem Möbelstück liegen. War der als Waffe tauglich? Egal, ansonsten gab es hier nichts Brauchbares in Sachen Selbstverteidigung. Würde man ihn angreifen, könnte er mit einer Scherbe des Deckglases vielleicht die Augen eines eventuellen Gegners attackieren. Als er sich an der gesplitterten Scheibe in den Daumen schnitt, fühlte Fox sich bestätigt. Er ließ den Bilderrahmen in die Seitentasche seines Trenchcoats gleiten. Die Hände erst einmal frei zu haben, wäre auch nicht verkehrt. Es erfolgte kein plötzlicher Angriff. Prancock lauschte angespannt, mit höchster Aufmerksamkeit. Wieder hörte er Gepolter und gedämpfte Laute. Er konzentrierte sich stärker und erkannte menschliche Stimmen zwischen den anderen Geräuschen.

      Um die Herkunft der Laute besser orten zu können, hielt Prancock abermals die Luft an. Augenblicklich fühlte er etwas in der Magengegend, das er im Moment nun wirklich nicht gebrauchen konnte: sein Zwerchfell zog sich heftig zusammen und das unvermeidliche „Hicks“ eines Schluckaufs trat in den Raum. Für Prancock klang es fast wie ein Pistolenschuss. Hastig schloss Fox den Mund und versuchte das Gefühl in der Magengrube zu unterdrücken, aber vergeblich: Ein glucksender Laut nach dem anderen würgte sich seine Kehle hinauf. Selbst die fest zusammengepressten Lippen waren nur unzureichende Schalldämpfer.

      „Ruhe! Nur die Ruhe“, begann sich Fox’ Verstand zu Wort zu melden, „für mich klingt jedes Hicksen laut. Ich bin ja auch allein hier drin.“ Der hopsende Solarplexus verhinderte beinahe die exaktere Ortung der Geräusche. Dem Kommissar gelang es jedoch, sich ein wenig zu sammeln. Er registrierte, dass die Laute aus einem Zimmer irgendwo über ihm kommen mussten.

      „So lange die da oben weiterquasseln, kann ich hier unten hicksen und rülpsen, bis ich schwarz werde.“

      Trotzdem hielt Prancock es für ratsam, seinen Mund geschlossen zu halten. Vorsichtig tastete er sich am Mauerwerk entlang, weiter auf die Geräuschquelle zu. Tatsächlich entdeckte er einen Türrahmen und glitt lautlos in das Zimmer nebenan. Die Stimmen waren nun genau über ihm. Was tun? Natürlich lauschen und … Luft anhalten. Das Kitzeln im Bauch hatte bislang nicht nachgelassen. Nun gesellte sich sogar noch ein angeregtes Grummeln dazu. Krampfhaft versuchte der Kommissar, das Aufstoßen zu unterdrücken. Er konzentrierte sich auf die Worte und Satzfetzen, die er durch die Zimmerdecke wahrnahm.

      „Aber was soll …? Warum …? Ich habe keine Ahnung, wo ...“

      Wer konnte das sein? Finkenwald? Eine zweite, deutlich höhere Stimme erklang. Prancock verwünschte die Unzulänglichkeit seiner Französischkenntnisse. Am liebsten hätte er nach oben gerufen: „Noch mal, bitte! Aber langsamer, zum Donner!“

      Wieder erklang die Stimme, die er zuerst gehört hatte. Sie artikulierte eher zögerlich und mit leichtem Akzent. „Englisch oder Deutsch?“, fragte