Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Klößinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737520829
Скачать книгу
der Männer und Frauen, die bei mir auf den Feldern arbeiten, sind Leute, über deren Asylantrag noch nicht entschieden ist. Die dürften von Rechts wegen gar keiner Beschäftigung nachgehen …“

      „… sondern nur in ihrer Wohnbaracke rumsitzen und Däumchen drehen“, stellte Jasmin fest, und Jessica fügte hinzu: „So was finde ich auch total übel. Da lässt man sie ewig auf ihre Verhandlung warten und wenn sie was Sinnvolles tun, schiebt man sie ab!“

      „Aber die Sache ist lebensgefährlich für dich!“, betonte Penny noch einmal, an Jeannie gewandt.

      Diese zuckte trotzig die Achseln und gab zurück: „Wenn Mustafa und Hussein zurückgeschickt werden, macht man sie in ihrer Heimat auch ’nen Kopf kürzer!“

      Penny sah, dass Argumentieren in dieser Zwickmühle unmöglich war. Sie goss sich erneut Kaffee ein und nickte Janine aufmunternd zu.

      Diese fuhr fort: „Yasemin schließlich ist sogar illegal hier – ihr Antrag ist schon abgelehnt und sie ist auf der Flucht vor der Abschiebung. Zuflucht findet sie nur bei verschiedenen Asylbewerbern, die zum Teil auch auf meinen Feldern arbeiten.“

      Alle schwiegen, aßen und tranken. Sie mussten das Gehörte und die Erlebnisse der vergangenen Nacht erst einmal verarbeiten. Jessica warf einen prüfenden Blick in die Kanne, nahm sie und verschwand in die Küche, um neuen Kaffee zu kochen.

      „Meine Güte“, entfuhr es Jasmin, „kommen deine Leute dann nicht heute auf deinen Hof, um die Sachen für den Markt zu holen?“

      „Nein“, antwortete Jeannie ruhig, „den Wochenertrag lagern sie in einer Scheune nahe dem Wohnheim für Asylbewerber. Am Wochenende arbeiten wir nicht – nur in Ausnahmefällen.“

      „Gut!“, atmete Jasmin auf. „Ach ja, meine Namensvetterin würde ich gern mal kennen lernen, kleine Hexe!“

      Jeannie lächelte. „Ich glaube, ihr werdet euch mögen“, sagte sie, „Yasemin singt auch gerne und spielt hervorragend Saz!“

      „Oh nein“, dachte sich Nick, „nicht noch eine Busenfreundin für meine Prinzessin.“

      „Jetzt mal ganz konkret“, forderte Penny ein, „was können wir tun, ohne diesem Mob das Feld zu überlassen, wenn wir keine Polizei einschalten dürfen? Bei den ganzen Spuren, die sie bei dir hinterlassen haben, Jeannie – nach allem, was ich gesehen habe, als ich heute Nacht rausfuhr, um dich und die anderen abzuholen – wäre genügend belastendes Material da. Das reicht allemal, um die Kerle lange Jahre einzubuchten!“

      „Mag sein“, sinnierte Jasmin, „aber die fühlen sich zu sicher. Da steckt bestimmt eine größere Organisation dahinter. Die Polizei würde vielleicht diese Schläger fassen, aber die Hintermänner würden einfach neue rekrutieren.“

      „Gut, dann musst du eben untertauchen!“, schlug Penny Janine vor.

      „Aber damit geben wir dem Terror nach!“, gab Robert zu bedenken.

      „Hört auf zu debattieren!“, meinte Jessica, die soeben mit einer frischen Kanne Kaffee hereinkam. Verheißungsvoll breitete sich der Duft im Raum aus. „Ich habe die Idee!“

      Alle sahen sie erwartungsvoll an.

      „Ganz einfach: Wir wollten uns in den Pfingstferien doch ohnehin intensiv auf den Band-Wettbewerb ,Rockin Summer‘ vorbereiten!“

      „Ja und?“, fragte Nick nach.

      „Liegt doch ganz nahe, Mann! Wir verlegen unseren Probenraum für die ganzen zwei Wochen in Jeannies Scheune und pennen dort auch. Zwischendurch helfen wir beim Aufräumen und Renovieren – da haben wir ja jetzt Übung …“

      „… und genügend Farbe übrig!“, bemerkte Robert.

      „Richtig!“, strahlte Jasmin. „Und einige deiner ausländischen Freunde machen doch bestimmt mit. Und damit bist du nicht mehr allein, an gut und gern acht bis zehn Leute trauen diese Feiglinge sich garantiert nicht so leicht ran.“

      „Aber was ist nach den zwei Wochen?“, fragte Penny, noch immer skeptisch.

      „Penny“, sagte Jessica beschwichtigend und goss der Gastgeberin Kaffee nach, „du bist doch eine 1A-Detektivin. In diesen zwei Wochen sammelst du so viele Beweise, dass wir die ganze Organisation hopsgehen lassen, oder?“

      Jessy lächelte so unwiderstehlich, wie sie nur konnte, und zwinkerte Penny zu.

      „Und wer bezahlt mein Honorar?“

      „Du bekommst lebenslang Freikarten für unsere Konzerte!“, eilte Robert seiner Freundin zu Hilfe.

      „Und am Ende der Ferien macht ihr ein großes Benefiz-Open-Air auf der Wiese hinter dem Heim!“, schlug Jeannie Jasmin vor.

      Deren Herz schlug einen frohen Beat an: Jeannie hatte tatsächlich wieder jenes Strahlen in den Augen, von dem sie alle befürchtet hatten, sie würden es nie mehr sehen.

      „Sag mal“, fragte der Anrufer mit Nachdruck und unüberhörbar bedrohlich, „was war denn jetzt mit deiner Aktion?“

      „Was soll denn gewesen sein?“

      Verwirrung machte sich breit. Beiderseitige Sprachlosigkeit. Zähneknirschen auf Plastik. Genug Zeit, um nachzudenken. Dem Mann fiel allerdings kein eigenes Versäumnis ein. Laut schluckte er.

      Der Kugelschreiberkauer beendete das kurze Schweigen: „Nichts los – absolut gar nichts, nicht mal ’ne Meldung im Regionalradio. Unsere Hacker haben den Polizeicomputer angezapft – nichts! Keine Meldung. Auch kein Feuerwehreinsatz letzte Nacht …“

      „Du wolltest ja keine Leiche“, warf der Mann ein und dachte: „Leider!“ Er sagte aber: „Es gab keine Ecke, in der ich Feuer hätte legen können! Das Gör wäre verbrannt oder erstickt. Habe dann wenigstens Zunder und Kanister dagelassen. Sah aus wie eine missglückte Brandstiftung!“

      „Habt ihr sie etwa so zusammengeschlagen, dass sie …?“

      „Nein! Gewehrt hat sie sich zwar nicht mehr, aber geatmet hat sie noch.“

      Mit Genugtuung erinnerte sich der Mann daran, wie dieses Biest geheult und gewinselt hatte. Zuerst war das wie Musik in seinen Ohren gewesen. Er und seine Kumpels hatten sie weiter und weiter mit all den Büchern beworfen. Ein wahrer Rausch! Schließlich war ihnen das Jammern doch auf den Geist gegangen. Als er ihr dann eine steinerne Statuette an die Stirn geschleudert hatte, war Ruhe gewesen. Am liebsten hätten sie gleich die ganzen alten Schinken angezündet. Machwerke, die alte Wahrheiten verleugneten. Geschrieben von irgendwelchen Ausländern. Und dann noch dieser ganze Hokuspokus über Hexerei. Gequirlter Hühnerschiss zwischen Buchdeckeln! Schließlich hatte er höchstpersönlich das Regal umgeworfen, direkt auf jenen Haufen aus verschwendetem Papier. Er konnte nicht mit absoluter Sicherheit sagen, ob diese Göre noch geatmet hatte, aber das ging den anderen auch nichts an.

      „Mein Tag kommt noch“, dachte er bei sich, „dann wirst du mir Rede und Antwort stehen und ich werde dich verurteilen. Jawohl, das werde ich …“

      „Bitte was?“, fragte der Anrufer.

      Der Mann biss sich in die Lippe. Anscheinend hatte er wieder einmal schneller gesprochen als gedacht. Stille, bis auf das Schaben der Zähne und das Klicken des Kugelschreibers. „Nichts, nichts … Soll ich mir die Sache noch mal ansehen?“

      „Lass mal! Wir warten lieber ab. Nicht, dass du dann noch geschnappt wirst, wenn du an den Ort deiner Taten zurückkehrst!“

      „Und wann schlagen wir wieder zu?“

      „Abwarten!“

      Die Wochenendausgabe der „Allgemeinen“ flog ins Eck. Die Rätselbeilage machte sich selbstständig und segelte bedächtig zu Boden. Der Hauptteil war bereits mit einem plumpen „Flatsch“ heruntergefallen. Ein Kassettenrekorder auf dem Sideboard verströmte düstere Akkorde. „Revenge, Revenge!“, forderte die rauchige Reibeisenstimme von Nightmare Blackbone, seines Zeichens Sänger der Depri-Punk-Band „Deepest