Schnee von gestern ...und vorgestern. Günther Klößinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Günther Klößinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737520829
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Knirschen war zu hören. Eine Dame, die sich augenscheinlich zur „High Society“ zählte und an diesem Ort so passend schien wie Gauguin am Montmartre, warf einen vernichtenden Blick in Fox’ Richtung.

      „Hör mal“, fragte Ilka erstaunt nach, „seit wann machen Croissants ,kruntsch‘, wenn man hineinbeißt?“

      „Ganz normal nach drei Tagen in der Auslage“, gab Prancock zurück und nahm noch einen Schluck Kaffee, um zu verhindern, dass das altertümliche Stück Backware aus seinem Mund herausstaubte.

      Ilka lachte und trank ihren Becher aus. Danach starrte sie sinnierend in die Luft.

      Fox bemerkte es und fragte kauend nach: „Woran denkst du gerade?“

      „Ich frage mich, ob es nicht etwas früh für Jasmin ist, mit 16 schon auszuziehen.“

      „Hör mal“, sagte Fox, „wenn ich mich recht erinnere, war es doch eine Idee von dir, ihr ein Miet-Abo für deine alte Wohnung zu schenken, bis sie Abi hat, und dann weiterzusehen …“

      „Na ja“, gab Ilka zu und rührte mit einem Plastiklöffel in ihrer leeren Kaffeetasse, „ich hätte nach allem, was ich dort erlebt habe, nicht wieder einziehen können, wir beide wollten ohnehin zusammenziehen und …“

      „Natürlich waren unsere Gründe, Jasmin mit einer eigenen Bude zu beglücken, auch etwas egoistisch, aber Jasmin hätte das nicht angenommen, wenn sie es nicht für richtig gehalten hätte – du hast doch gesehen, wie sie sich gefreut hat.“

      „Nun gut“, stimmte Ilka zu, „so ’ne dauerhaft sturmfreie Bude hätte mir in dem Alter auch gefallen!“

      „Und außerdem ist sie ja nicht aus der Welt! Wir wohnen immer noch in derselben Stadt. Im Zeitalter des Handys kann sie sich rühren, wann immer sie was braucht!“

      Eine mechanische Tonfolge erklang aus Ilkas Umhängetasche.

      „Muss wohl Telepathie sein!“, grinste Ilka, zog ihr Telefon hervor und stellte fest: „Voilà – eine SMS von deiner Tochter!“

      „Lies mal vor!“, meinte Fox und schlürfte den Rest seines Kaffees in sich hinein.

      „Alles bestens! Wir frühstücken gerade! Schönen Urlaub. Jasmin.“

      „Na, siehst du“, sagte Fox zufrieden, „ist doch alles in Butter. Jasmin kommt auch ohne uns klar!“

      Als Penny, sich die Augen reibend und herzhaft gähnend, hereinkam, saßen Jasmin und die anderen bereits am Frühstückstisch.

      „Ah, König Artus kommt – die Tafelrunde ist komplett!“, wurde sie von Nick begrüßt, dessen Stimme allerdings bei Weitem nicht so locker und unverkrampft klang wie sonst. So löste seine Bemerkung auch keine allgemeine Heiterkeit aus. Penny trat heran, ließ sich auf einen Stuhl fallen und blickte mit geröteten Augen in die Runde.

      „Oh Mann“, sagte sie, „wenn ihr mich noch mal gegen 2 Uhr morgens aus dem Bett klingelt …“ Ohne den Satz zu beenden, nahm sie die verlockend nach Kaffee duftende Kanne vom Stövchen und goss sich ein. Dabei fragte sie: „Wie geht’s dir, Jeannie?“

      Jeannie war blass, aber ein schwaches Lächeln hatte zurück in ihr Gesicht gefunden und wirkte zwischen Schrammen, Heftpflastern und blauen Flecken wie ein Regenbogen im Gewitterhimmel.

      „Schon besser!“ Ihre Stimme zitterte noch ein wenig. „Ich weiß gar nicht, wie ich dir, wie ich euch allen … ihr habt …“

      Ihr Blick wanderte in die Runde. Alle sahen sie an, nur Nick war damit beschäftigt, Marmelade auf seinem Brötchen zu verstreichen.

      „Schon in Ordnung“, griff Jasmin ein, die bemerkte, wie sehr Jeannie mit den Tränen kämpfte, „dieser Tagesordnungspunkt ist abgehakt. Wir kommen nun zum Bericht des Kassenführers!“

      „Kassenführer?“, fragte Robert erstaunt nach.

      „Kleiner Scherz!“, gab Jasmin grinsend zurück, wandte sich dann zu Janine, die ihre Spitznamen „Jeannie“ und „kleine Hexe“ wesentlich lieber hatte als ihren wirklichen Vornamen.

      „Erzähl doch mal von Anfang an.“

      Jeannie schluckte, blickte zu Boden und umklammerte dabei ihre Tasse, als wollte sie den Kaffee aus ihr herauspressen.

      „Ich habe das alles zuerst gar nicht ernst genommen, wisst ihr?“

      „Aber was denn?“, wollte Jessica wissen.

      Jeannie hob den Kopf und sah Jessy mit einem Ausdruck völliger Hilflosigkeit an. „Die Anrufe!“

      Alle schwiegen. Sogar Nick blickte nun neugierig in Janines Richtung, rührte dabei aber so nervös in seiner Tasse herum, dass der Kaffee auf die Untertasse schwappte.

      „Welche Anrufe?“, schaltete sich Penny ein. Ihr detektivischer Instinkt war geweckt.

      „So seit vier Wochen riefen immer öfter irgendwelche Typen bei mir an. Meistens wurde sofort aufgelegt, wenn ich mich meldete. Aber später kamen die Beschimpfungen und am Schluss dann Drohungen. Sie haben gesagt, dass … dass …“

      Die Erinnerungen beanspruchten Jeannies Kräfte zu stark. Sie stützte die Ellenbogen auf die Tischplatte und vergrub ihr schmerzendes Gesicht in den Händen. Schluchzen brach aus ihr heraus wie ein unkontrollierbarer Orkan, ihr ganzer Körper erzitterte.

      Betroffen schwiegen die anderen. Penny stand auf, ging zu Jeannie, stellte sich hinter sie und begann, leicht ihre Schultern zu massieren.

      „Ganz ruhig!“, flüsterte sie, indem sie sich zu Janines Ohr herunterbeugte. Unablässig ließ sie Daumen und Handballen im Nacken der Weinenden kreisen, sanft, aber bestimmt.

      Das Zittern ließ nach, Jeannie hob den Kopf. „Die wollten mich umbringen! Umbringen, versteht ihr?“

      Jasmin zog ein Taschentuch hervor und reichte es Jeannie. Diese putzte sich die Nase, schluckte noch einmal und sah, wieder gefasster, in die Runde. Penny löste sich von ihr und ging zurück zu ihrem Käse-Dinkel-Brötchen.

      „Aber warum?“, unterbrach Jessica die fassungslose Stille. „Warum sollte dich jemand umbringen wollen?“

      „Und vor allem“, schaltete sich zur Überraschung aller Anwesenden Robert ein, „was sollten die ganzen ausländerfeindlichen Parolen in deinem Flur? Soweit ich weiß, stammst du nicht gerade aus Nigeria oder so …“

      „Nun, ich habe ein paar Ländereien geerbt, die zu dem Gehöft gehören. Ich fand es zu schade, sie brachliegen zu lassen; den Nerv, Bio-Bäurin zu werden, hatte ich aber auch nicht. Mein Job im Laden braucht auch seine Zeit und macht viel Spaß. Da habe ich mir überlegt, ob man nicht ein Projekt starten könnte. Mein Freund war daraufhin so begeistert, dass er mich sofort verließ. Er meinte, ich hätte dann noch weniger Zeit für ihn …“

      „Kommt mir irgendwie bekannt vor!“, dachte Nick für sich, sagte aber nichts.

      „Das gehört ja nicht hierher“, fuhr Jeannie fort. „Ich habe die Felder verschiedenen Ausländerinitiativen zur Verfügung gestellt. Sie bewirtschaften sie und verkaufen den Ertrag auf dem Markt. Der Erlös geht an die Gruppen selbst, direkt und unbürokratisch. Auch Kleider und alle möglichen anderen Sachen für Asylbewerber werden davon finanziert, Spiele für die Kinder und so. Ich bekomme nur einen Teil der angebauten Früchte, Obst, Gemüse, Salat …“

      „Gebet dem Kaiser seinen Zehnten!“, warf Nick theatralisch ein, erntete aber wieder keinen Applaus. Stattdessen warf seine Freundin ihm einen strafenden Blick zu.

      „Und damit hast du dich zur Zielscheibe für Ausländerhasser gemacht!“, stellte Robert trocken fest.

      „Anscheinend, aber bei den Telefonaten habe ich eben gedacht, das wären solche Feiglinge, die halt lautstark tönen, aber nicht wirklich was tun. Erst als neulich dieser Mord an Ibrahim passierte, wurde mir mulmig.“

      „Kanntest du den denn?“, fragte Robert.

      „Nicht