„Und was sagst du dazu?“
Das Kreischen meiner Frau war geeignet, jeden Raketenstart an Lautstärke zu übertreffen. Über die Nachbarn machte ich mir schon lange keine Gedanken mehr. Die wussten längst Bescheid. Die hingen wie Spinnen an den Wänden und verfolgten unser eheliches Glück, als handelte es sich dabei um Szenen einer täglich ausgestrahlten Soap Opera. Es war das Stück Unterhaltung, das ihren Alltag versüßte und auf das sie gebannt warteten. Ich hätte mich wahrscheinlich genauso verhalten, wenn sich in meiner Nachbarwohnung ein derartiges Spektakel abgespielt hätte. Es ist tröstlich zu sehen (in diesem Fall: zu hören), dass sich andere in einer noch misslicheren Lage befinden. Mir geht es doch gar nicht so schlecht, war der erbauliche Gedanke meiner Nachbarn. Meine Ehe läuft doch eigentlich ganz gut.
„Du hast Recht, in allen Punkten. Ich bekenne mich schuldig! Vielleicht beginnt morgen endlich mein neues Leben, als besserer Mensch. Deine Stufe werde ich nie erreichen, du bist so perfekt und leuchtend wie ein Funken Strom. Heute Nacht spendiere ich dir ´ne Massage, wie wär’s?“
„Ach!“ Meine Frau machte eine wegwerfende Handbewegung. „Bleib mir bloß vom Leib mit deinen abgearbeiteten schmutzigen Händen! Da nehme ich doch lieber den Stimulator3000!“
Sie ging ab. Im Theater hätte sie zweifellos Szenenapplaus bekommen. Hier erntete sie nur Schweigen. Selbst Nick blieb kurzzeitig in der Luft hängen, nachdem er sich wieder in ihre Höhe begeben hatte. Als müsse die Zeit verschnaufen, ehe sie weiterlief.
Ich machte mir nichts daraus. Mit dem Stimulator3000 würde ich es selbst nach einem mehrteiligem Kurs Wie bringe ich meine Frau zum Orgasmus ohne dass einer von uns beiden schlappmacht? nicht aufnehmen können. Schließlich handelte es sich bei dem verdammten Mistkerl um eine Maschine. Und Maschinen sind den Menschen stets überlegen. Diese Erkenntnis sollte ich schon bald am eigenen Leib erfahren.
Es klingelte an der Tür. Meine Frau hatte sich mit einer Kiloschachtel First Aid – ein klumpiges Zeug, das so aussah wie unfertige Schokolade und schmeckte wie eine Mischung aus Pudding und Joghurt – ins Ehebett zurückgezogen, seufzte und stöhnte. Sie stieß Verwünschungen aus, in denen mir die Hauptrolle zugedacht war. Auch das kannte ich.
Ich öffnete die Tür. Frau Sebastol brachte Felicitas, meine Prinzessin. Die Kleine war offensichtlich müde, schritt an mir vorbei und verschwand in den Tiefen unserer Wohnung ohne mich eines Blickes zu würdigen. Felicitas war mit ihren sieben Jahren in einem schwierigen Alter. (Wenn ich mir die Damenwelt so anschaue, kommt mir der Verdacht, dass die sich ständig in einem schwierigen Alter befinden.)
Frau Sebastol war ein liebreizender Anblick, schön wie immer, zurechtgemacht, als entsteige sie der Fernsehwerbung. Sie war groß und schlank, größer und schlanker als meine Frau. Ihre Augen leuchteten so blau wie ein wolkenloser Sommerhimmel. Wenn sie den Mund aufmachte, schienen ihre Worte auf einer Duftwolke zu entschweben. Ich fand sie gut, aber so gut ich sie auch fand, schien sie mir stets etwas Unwirkliches an sich zu haben, was bei mir jedes Mal den Drang auslöste, sie zu berühren, um festzustellen, ob es sich bei ihr nicht um eine Erscheinung meiner Fantasie handelte.
„Sie war sehr artig“, sagte Frau Sebastol, „ist ein süßes Ding, Ihre Tochter!“
„Ja.“ Ich setzte mein unwiderstehliches Lächeln auf, das mir, wie ich am Blick von Frau Sebastol erkannte, gut gelang. In ihren Augen schwappte etwas über. War es schon Begierde oder einfach nur Sympathie? Es reizte mich, das herauszufinden.
„Sie ist unsere Prinzessin“, hörte ich mich sagen und wusste für einen Augenblick nicht, ob ich über meine Tochter oder über Frau Sebastol sprach.
Unsere Nachbarin, die tatsächlich etwas von einer Prinzessin an sich hatte mit ihrem langen glänzendem Haar, den großen Augen und dem unschuldigen Kussmund, klimperte tonlos mit den Augenlidern.
Es überkam mich. Der Engel in mir war vom Teufel auf den Spieß genommen worden, und es überkam mich.
Ich beugte mich leicht vor und fasste das lange schwarze Haar der Frau aus Nr. 9, dem Haus gegenüber, an. Es war so weich und glatt wie Seide. Sie war echt. So wie sie dastand und mit mir flirtete. Zumindest nahm ich an, dass es sich um einen Flirt handelte. „Das ist gut gelungen. Ich meine Ihr Haar. Welches Shampoo benutzen Sie?“
In diesem Moment schaltete sich meine Frau ein, die Spielverderberin. Sie kam von hinten angerauscht wie ein blutrünstiger Flatballspieler, der einem die Beine weggrätscht.
„Warum so zaghaft, Casanova?“ fragte sie. „Warum erkundigst du dich nicht gleich nach der Farbe ihres Slips?“
Ich war, wer kann es mir verdenken, sprachlos.
An Frau Sebastol gewandt, sagte meine Frau: „Vielen Dank, dass Sie uns unsere Tochter ohne Verletzungen zurück gebracht haben. Das ist ja heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Diese Gefahren überall! Man sollte sich im Bett verkriechen! Und genau das tu ich jetzt auch! Und Sie besser auch! Ohne meinen Mann!“
Frau Sebastol machte den Mund auf, und ich war mir sicher, dass sie etwas sehr Kluges sagen würde, doch noch bevor ihre schönen, wollüstigen Lippen ein Wort formen konnten, stieß meine Frau die Tür vor ihrer Nase zu. Zu meiner Sprachlosigkeit gesellte sich noch mehr Sprachlosigkeit.
Meine Frau packte mich, so fest, dass die fraglichen Stellen noch am nächsten Tag einen pulsierenden Schmerz aussenden würden, und küsste mich auf den Mund. Jetzt, wo mir wieder etwas zu sagen einfiel, konnte ich nicht sprechen. Die Zunge meiner Frau schnellte schlangengleich in meinen Mund und trieb dort ihr Unwesen. Ich ließ es geschehen. Es war kein schlechter Kuss. Er fühlte sich an, als ob mir frisches Leben eingeimpft würde.
So war sie, meine Frau. Und so war ich.
Wie ich mit dem Rücken zur Wand dastand und es geschehen ließ, alles.
Während meine Frau die letzten Reste aus der Kiloschachtel First Aid herauslöffelte, brachte ich die Kinder ins Bett. Dies lief nach einem ewig gleichen Ritual ab. Zuerst zogen sie sich die passende Kleidung für rasante Träume an; sogar Ben, der 4jährige Knirps mit den Einsteinbüscheln, bekam das bereits ganz alleine hin. Dann wurde das Gesicht gewaschen. Um meine Kinder dazu zu bewegen, hatte ich ihnen bereits vor langer Zeit vom Sandmann erzählt, der nur gut gepflegten Gesichtern Sand in die Augen streut, der für schöne Träume sorge und die Alpträume auf Abstand halte. (So konnte ich, wenn eines meiner Kinder einmal schlecht geträumt hatte, mit überlegener Geste ausführen, dass das Gesicht wohl nicht sauber genug gewesen sei.) Inzwischen glaubte nur noch Ben an die Geschichte vom Sandmann, Felicitas hatte Zweifel, und Nick, der mir ohnehin in vielerlei Hinsicht überlegen zu sein schien, lachte darüber.
Dann wurden die Zähne geputzt, wobei nur Ben Hilfestellung benötigte, schließlich musste jeder Zahn getroffen werden, und so zielsicher waren seine Bewegungen noch nicht.
Und schließlich ging es ab ins Bett. Die Jungen hatten ein gemeinsames Zimmer, während Felicitas ein Prinzessinnenreich ihr eigen nennen durfte. Zunächst erhielt Ben seine Gutenachtgeschichte, dann Nick und zu guter Letzt Felicitas. Wenn meine Frau in Form war, kümmerte sie sich um Felicitas, während ich meine kleinen Racker abfertigte. Das war an diesem Abend entschieden nicht der Fall; meine Frau war so sehr außer Form wie ein reaktivierter Flatballspieler, der den Ball nicht kommen sieht.
Das bedeutete für mich eine umso längere und Kräfte raubende Prozedur, aber – ich sagte es bereits – wenn ich mich zwischen der TV-Wall und den Kinder hätte entscheiden müssen, so hätte die TV-Wall das Nachsehen gehabt.
Meine Jungen ließen sich wie üblich abfertigen, ich las ihnen Abenteuergeschichten vor, die ihre Fantasie anregten und ihnen Lust auf Schlaf und wilde Träume machten. Ich wünschte ihnen eine gute Nacht, löschte das Licht und kaum hatte ich zweimal durchgeatmet, befand ich mich bereits im kunterbunten Prinzessinnenreich