IMPRESSUM
Flat Friedrich
© 2012 Serge Elia Lomi
Cover: Henri Rousseau, “Mädchen mit Puppe”
published by: epubli GmbH, Berlin
ISBN 978-3-8442-4019-1
Für den doppelten Ray:
Bradbury und Harryhausen
Who am I?
Animal or human being?
Male or female?
Object or subject?
Table or bed?
F-Word-Poetry, Tell Me
Vorspiel
“Ich hätte das nie gedacht, aber es macht tatsächlich einen Unterschied”, sagt die Frau mit dem nervösen Lidzucken.
„Wirklich wahr?“
„Mehr Wahrheit hat nie meine Lippen verlassen! Es ist ... es ist ... ist ganz einfach, als ob du es wirklich mit einem Kerl treibst, so einem aus der Kategorie Fünf-Sterne-Lover, mit dem Unterschied, dass du dir nicht sein blödes Gerede anhören musst ... Es ist halt nur ... halt nur der Dick! Der ganze Rest ist doch eh für ´n Butt!“
Dick - neudeutsch: Schwanz
Butt – neudeutsch: Arsch
„Wirklich?“ Die Frau in dem pinkfarbenen Pullover sieht aus, als sei sie gerade einem Comic Strip entstiegen - so glatt sind ihre Gesichtszüge, so dümmlich wirkt ihr Blick.
„Jetzt solltest du dein Face sehen! So flat wie ein misslungener Raketenstart! Ja, wirklich! Das ist viel mehr als ein Vibrator ... Der sorgt für die vollkommene Befriedigung ... Ohne Nebenwirkungen! Ich trage ihn immer bei mir. An den unmöglichsten Orten, zu den unmöglichsten Zeiten überkommt es mich … Ich bin ihm ausgeliefert! Er ist der Dick in Perfektion. Du kannst dich selber davon überzeugen, wenn wir ihn gleich ausprobieren!“
Face – neudeutsch: Gesicht
flat – neudeutsch: flach
„Wir?“ Die Frau, deren pinkfarbener Pullover ganz bestimmt schon bessere Tage gesehen hat, formt den Mund zu einem O. Sie und ihre neue Freundin sind die einzigen Gäste in dem Coffeestore, dessen trübes Neonlicht so unwirtlich ist wie das Wetter. Innerhalb von Minuten hat dieses dem Sommertag die Farben ausgewaschen, wie ein mit zu viel Grad durchgeführter Waschgang einer Waschmaschine.
Die Frau mit dem nervösen Lidzucken, das an ein in die Falle geratenes, flügelschlagendes Insekt erinnert, nickt bedeutungsschwer. Langsam hebt sie die Kaffeetasse an den Mund, der auch schon bessere Zeiten erlebt hat, und nippt daran.
Der Regen trommelt gegen die Fenster des Coffeestores. Ein Sommerregen, der nach Tagen der Dürre und des endlosen Schwitzens endlich niedergeht und für etwas Abkühlung sorgt.
„Ich wohne gleich um die Ecke“, sagt die Frau mit dem nervösen Lidzucken. „Meine Wohnung ist sogar einigermaßen komfortabel. Ich habe einen Stimulator4000! Aber der ist nichts gegen das hier ...“
Sie greift in ihre Handtasche und hebt einen Gegenstand daraus an. Sie bewegt ihn bis leicht oberhalb des Handtaschenrandes, so dass die Frau in dem pinkfarbenen Pullover einen Blick darauf erhaschen kann. Ihre Augen werden größer; sie ähneln schließlich den Untertassen, auf denen die Kaffeetassen der beiden Frauen abgestellt sind.
Dann geht alles ganz schnell. Wie in einem Film, der plötzlich, um zügiger zur entscheidenden Szene vorzudringen, im Zeitraffer abläuft. Die Frau in dem pinkfarbenen Pullover winkt die Bedienung herbei, zahlt für sich und ihre neue Freundin und lässt ein Trinkgeld springen, das in puncto Üppigkeit mit ihren Brüsten mithalten kann.
Arm in Arm verlassen sie den Coffeestore. Sie laufen die Straße hinunter, noch immer untergehakt, und lachen dabei wie Kinder, denen es eine Freude ist, die Pfützen spritzen zu lassen.
Am Ende der Straße biegen sie rechts um die Ecke. Eine alte Frau mit einem kleinen Hund an der Leine kommt ihnen entgegen und wundert sich über diese Ausgelassenheit. Dann wird ihr Blick von einer plötzlichen Sehnsucht geflutet, und ihre Erinnerung spult in die 2030er Jahre zurück, als zwischen ihren Beinen täglich dieselbe Feuchtigkeit herrschte, die ihr jetzt ungemütlich um die Nase weht. Und im nostalgischen Rückblick übermannt sie die Sehnsucht wie ein Liebhaber, der mit derselben Heftigkeit zu Werke geht wie der Wind, der plötzlich aus seinem Versteck gekrochen ist und die Wipfel der Bäume zum Erbeben bringt …
Die beiden Frauen, die nicht den Schimmer einer Ahnung haben, dass sie alte Erinnerungen und Erregungen aufleben lassen, hasten eine in Spiralen angelegte Treppe hinauf.
Die Wohnung der Frau mit dem nervösen Lidzucken macht einen unordentlichen, nahezu im Chaos versinkenden Eindruck. Überall liegt Spielzeug auf dem Boden. Aber das ist jetzt zweitrangig.
Die Frau in dem pinkfarbenen Pullover reißt sich eben diesen vom Leib und sagt: „Die Wohnungsbesichtigung beginnt im Schlafzimmer!“
Dahin drängen die beiden Frauen, kichernd, keuchend und prustend. Wie zwei pubertierende Mädchen, die in Vorfreude sinnlicher Genüsse der Albernheit die Herrschaft über ihre Bewegungen und Äußerungen geben.
Und dann wird das Spielzeug ausgepackt, mein Baby, an dem ich getüftelt, gebastelt und gefeilt habe, in Zusammenarbeit mit meinem Partner, und wir waren so in unser Werk vertieft, dass niemand von uns hätte sagen können, ob der in Rot- und Gelbtönen erflammende Himmel vom Auf- oder Untergang der Sonne herrührte ...
Kapitel 1
Fingerübung
Es war an einem jener schwermütigen Tage nach Abflauen der revolutionären Anwandlungen, die das Volk ergriffen hatten wie ein plötzliches Beben. Seit dem Abflauen meiner letzten Erektion auf den weißen und mit Spitzen versehenen Laken meiner ehelichen Spielwiese waren bereits viele Raketen gezündet worden.
Alles begann, soweit ich mich erinnern kann, mit einer Einladung zum Dinner.
„Kommt doch mal vorbei“, sagte mein Arbeitskollege Roger Chormann zu mir, den alle nur Chory nannten, mich eingeschlossen. „Du, Lisa und die Kinder! Ist lange her, nicht wahr?“
„Was ist lange her?“ Ich war gerade dabei, Bauteil Nr. 34 an Bauteil Nr. 33 anzuschließen, hielt das Schweißgerät in der Linken und schob mit der Rechten das Visier meines Helmes hoch. Ich war mit echter, also ungeheuchelter Konzentration am Werk gewesen, was in letzter Zeit immer seltener vorkam, und ärgerte mich darüber, dieser durch wahrscheinlich nutzloses Geschwätz entrissen zu werden.
„Na, dass deine bessere Hälfte, Lisa, und du und die Kinder zu uns zum Essen kommt. Wäre doch mal wieder schön! Ich habe noch einen edlen Roten im Keller stehen, der wartet auf Vernichtung!“
Er stieß mich an, eine kumpelhafte Geste, die so gar nicht in das Muster passte, das sich von Chory in meinem Gehirn festgesetzt hatte. Er war immer so eiskalt, zurückhaltend, sprach nur das Nötigste, man lästerte schon lange hinter seinem Rücken, man nannte ihn auch „Mr. Lonesome.“
Ich war perplex, starrte ihn einen Moment lang an, um zu ergründen, ob es sich vielleicht um einen Scherz handelte. Aber seine eisblauen Augen erwiderten meinen Blick mit einer solchen Ernsthaftigkeit, dass diese Möglichkeit nicht in Betracht kam.
Ich zögerte, machte wohl eine etwas abfällige Bewegung mit dem Kopf, als stünde ich einem Kind gegenüber, das noch in die Grundzüge menschlicher Existenz eingeweiht werden muss. Dann fasste ich mir ein Herz und wählte den sanftmütigsten Ton, den ich in meiner Palette sanftmütiger Töne vorfand, als ich sagte: „Meine Frau heißt Agatha, nicht Lisa. Und wir waren noch nie bei euch zum Dinner. Ich weiß noch nicht einmal, wo du wohnst.“
Mr. Lonesome verzog das Gesicht, als habe er eine Zitrone verschluckt. Dann