Eolanees Stimme war klar und fest. „Ja, Weise Frau, das bin ich.“
Die Prophetin trat an Eolanee heran und legte ihre Hände an den Kopf der jungen Frau. Die Weise schloss die Augen und kaum jemand schien in diesen Augenblicken zu atmen. „Ich kann die Kraft in Eolanee spüren und es ist eine gute Kraft“, sagte sie schließlich. Sie löste ihre Hände und wandte sich Neredia und den anderen Hüterinnen zu. „Gib mir das Zeichen ihres Standes.“
Die Hüterin mit der Umhängetasche trat vor, reichte sie an Neredia, die sie wiederum der Prophetin gab. Die Weise Frau lächelte sanft, während sie Eolanee die Tasche umhängte. „Trage dies als Zeichen deiner Gabe, Eolanee Ma´ededat. Du bist nun Eolanee, Hüterin der Bäume und eine Dienerin des Lebens.“
„Ja!“ Bergos konnte einen Triumphschrei nicht unterdrücken, aber das fiel nicht weiter auf, denn nun jubelte auch die Menge, um die neue Baumhüterin willkommen zu heißen.
Neredia Ma´ededat´than und Eolanee Ma´ededat warteten, bis die Prophetin das Podest verlassen hatte, dann folgten sie ihr. Nachdem ihre Füße den Waldboden berührten, endete der feierliche Teil des Abends. Der Jubel wandelte sich in Glückwünsche, denn viele Menschen traten vor, um Eolanee ihre Freude zu zeigen. Die Musik begann wieder zu spielen und Gespräche füllten den Platz.
Die Menge löste sich in zahllose Gruppen auf.
Viele freundliche Gesten luden Bergos und die beiden Baumhüterinnen zu den Tischen ein, aber der alte Auraträger sah seinen Freund Merius Ma´ara, dessen grauer Bart sich in den letzten Jahren zu einem fahlen Weiß gewandelt hatte. Der Blick von Merius war noch immer fest, als er die drei zu sich heran winkte. Auch Rolos Ma´ara saß am Tisch und nickte ihnen freundlich zu.
Sie nahmen Platz und ließen sich die Schüsseln reichen. Um sie herum waren Gespräche und Gelächter zu hören, dazwischen die leise Musik der Musikanten, die zur Begleitung aufspielten.
Sobald der erste Hunger gestillt war, würde man zum Tanz rufen und Bergos schien dem entgegen zu fiebern, denn er schlug unbewusst den Takt der Musik mit seinen Fingern. Für ihn war es wohl eine der seltenen Gelegenheiten, sich vollkommen zu entspannen. Nur hin und wieder warf er einen forschenden Blick auf Eolanee und er war beruhigt, dass sie der Musik ebenfalls entspannt lauschte. Obwohl er und Neredia viel Zeit mit der jungen Frau verbrachten, fand sich nur wenig Raum für das Spielen eines Instrumentes oder das Singen der Balladen. Bergos entschuldigte dies immer wieder mit seiner kratzigen Stimme und seinen ungeschickten Händen, und überließ solche Dinge der Baumhüterin.
Schließlich kam der Augenblick, den viele schon sehnsüchtig erwartet hatten. Weitere Musikanten traten zu der musizierenden Gruppe und fröhliche Weisen begannen zu erklingen. Die ersten wurden noch von den Anwesenden mitgesungen oder doch wenigstens mitgesummt, aber nachdem die ersten Männer und Frauen auf die freie Tanzfläche eilten, schlossen sich bald andere an.
Es gab die traditionellen Rundtänze und Reigentänze und Bergos zog Eolanee und Neredia einfach mit sich. Musik und Rhythmus nahmen sie bald gefangen. Bergos musste sich ein wenig darauf konzentrieren, seine Beine im Takt mit der Musik zu bewegen, aber den beiden Frauen fiel es nicht schwer. Ihre Bewegungen waren voller Anmut. Selbst die Kegelbäume fühlten die Schwingungen der Freude. Im Takt mit der Musik der Enoderi begannen die Fangwurzeln sanft zu vibrieren und ein auf und ab schwellendes Summen begann den Platz sanft zu erfüllen.
Dies war der Klang des Waldes, der die Bäume und Menschen gleichermaßen in Freude verband.
Eolanee war eine junge Frau, die durch ihre Schönheit auffiel. Es war verständlich, dass viele Männerblicke länger auf ihr ruhten, als es eigentlich erforderlich war. Aber sie war eine Baumhüterin und somit durfte sich ihr kein männliches Wesen auf eine Weise nähern, wie dies sonst zwischen Mann und Frau üblich war. Die Gabe einer Hüterin war wertvoll und durfte nicht gefährdet werden.
Im Verlauf der Stunden löste sich die tanzende Gemeinschaft in kleine Gruppen und Paare auf. Bergos tanzte, wie alle anderen, mit verschiedenen Partnern und war ein wenig verlegen, als sich Neredia mit sanftem Lächeln in seine Arme schmiegte.
Ihr Gesicht war nicht so entspannt, wie es eigentlich sein sollte und der Auraträger spürte, dass etwas nicht stimmte. „Etwas beunruhigt dich, das kann ich spüren.“
Neredia lachte freudig auf, aber ihre Augen nahmen daran nicht teil. „Jemand verbreitet böse Reden über Eolanee.“
Bergos Augen verengten sich. „Was für Reden?“
„Sie werde zu einem Dämon der Finsternis werden und uns alle vernichten.“ Neredia blickte über ihre Schulter zu der tanzenden Eolanee hinüber. „Es gebe einen Grund dafür, dass sie in Ayan von den Bestien verschont worden sei und es sei kein guter Grund.“
„Auch du wurdest verschont“, erwiderte er grimmig. „Wer erzählt solchen Unsinn?“
„Nur wenige“, beruhigte sie ihn. „Ihre Stimmen fallen nicht ins Gewicht.“
„Es sollte überhaupt keine Stimmen gegen Eolanee geben.“
„Jemand wollte verhindern, dass sie die Weihen erhält.“ Die Baumhüterin seufzte leise. „Man versuchte, die Weise Prophetin gegen sie zu stimmen.“
„Was? Wer?“ Bergos Augen blitzten wütend. „Wer hat das getan?“
„Ich weiß es nicht. Du weißt doch, wie Gerüchte sind. Sie eilen von Ohr zu Ohr und niemand vermag es, ihren Ursprung zu nennen. Aber es heißt, es sei ein Auraträger und das verleiht solchen Worten Gewicht.“
„Kender“, knurrte Bergos. „Es kann kein anderer sein. Er ist der Einzige, der all die Jahre keine Ruhe gab. Der Einzige, der sich im Rat immer wieder mit Bedenken gegen Eolanee zu Wort meldet.“
„Aber warum, Bergos? Fürchtet er sich vor ihr?“
„Ich weiß es nicht. Immerhin ist Eolanees Gabe als Baumhüterin ungewöhnlich stark. Wenn sie wirklich über die Aura verfügt, so wird auch diese außergewöhnlich stark sein. Ich glaube, sie könnte die stärkste aller Auren entwickeln. Vielleicht hat Kender davor Angst.“ Der alte Auraträger blickte über Neredias Schulter und suchte nach Eolanee. Mit einem Mal war ihm der Abend verdorben und er fühlte sich beunruhigt. Als er Eolanee endlich erblickte, fühlte er sein ungutes Gefühl bestätigt. „Bei der Göttin…“
Neredia spürte einen unsanften Stoß, als Bergos sich von ihr löste und sich durch die Tanzenden drängte. Die Baumhüterin folgte seinem Blick und erblasste.
„Verfluchter Kerl, was fällt dir ein?“, schrie der alte Auraträger wütend und riss einen jungen Mann von Eolanee fort. „Wie kannst du es wagen? Sie ist eine Hüterin!“
Der junge Mann erblasste, während Eolanee Bergos unsicher ansah. Aber Bergos hatte in diesen Momenten keinen Blick für sie. Er sah den Jugendlichen drohend an, der vor dem Älteren zurückwich. Es gab keine Gewalt im Volk der Enoderi, doch in diesen Augenblicken schien sie in der Luft zu liegen, so drohend blitzten Bergos Augen.
„Ich… ich habe nur mit ihr getanzt“, ächzte der Jugendliche.
„Nur getanzt?“ Bergos trat weiter vor und sein Gegenüber wich weiter zurück. „Du hast ihre Lippen berührt, du verfluchter Kerl!“
Eolanee schien ratlos und Neredia eilte heran und legte schützend den Arm um ihre Schultern. „Ich verstehe nicht“, flüsterte die neue Baumhüterin benommen. „Warum erregt Bergos sich derart?“
Neredia seufzte. „Du kannst es nicht wissen, weil du es noch nie gespürt hast. Du darfst keine tiefe Bindung zu einem Mann eingehen, mein Kind.“
„Er hat nur meine Lippen berührt.“
„Ja, mein Kind, und das ist schlimm genug.“ Neredia zog Eolanee zur Seite, so dass sie Bergos und den jungen Mann nicht mehr sehen konnte. Neugierige Blicke trafen sie, andere traten näher, um dem Streit zwischen den beiden Männern zu lauschen. Die meisten wussten nicht, um was es überhaupt ging, aber einige hatten die Ungeheuerlichkeit des