»Wegen des Geldes, ja. Aber von allein bist du doch nicht zum Klauen gekommen, oder?«, spreche ich ihn offen darauf an.
»Nicht wirklich, nein.«
»Und?«
»Wie?«, er blickt ungläubig in mein auf seine Geschichte gespanntes Gesicht: »Das willst du jetzt allen Ernstes wissen.«
»Nein, natürlich nicht. Ich meine, ich verbringe hier doch nur meine Ferien und gehe brav zehn nach zwölf zu Bett. Morgen früh dann laufe ich, nein, laufen wir mit den anderen Gästen zum Frühstück und tätigen dann eine kleine Sightseeingtour … aber sicher will ich’ s wissen, weil man nicht einfach so zum Bankräuber mutiert und ich in meinen Leben noch nie die Chance hatte, mit einem zu sprechen.«
»George, die Welt ist eine Schlechte.«
»Weiß ich.«
»Und wenn man darin etwas Gutes vollbringen will, ist das so gut wie nutzlos. Ich meine, wer interessiert sich schon für die abertausend arbeitenden Menschen, die Tat für Tag im Büro, auf dem Bau oder dem Gewerbe Ihr Brot mit harter Arbeit verdienen müssen?« Jim lässt eine kleine Pause, um seinen Worten Wirkung zu erteilen und selbst erst einmal Luft holen zu können. »Ich selbst habe dem schon vor vielen Jahren abgeschworen.«
»Was warst du vorher?«
»Elektroniker.«
»Wo?«
»Mal hier und mal dort, hatte nie eine richtige Anstellung. Auf Zeit habe ich immer wieder kleine Arbeiten angenommen und bei Firmen meist nur ein Projekt bearbeitet.«
Ich gehe in mich und frage mich, weshalb es immer das Falsche sein muss. Da geht man zur Arbeit, Jahr für Jahr und weiß sich darüber zu beklagen, wie eintönig doch die Welt ist. »Und nach dieser Zeit, Jim?«
»Wenn man mit Arbeiten aufhört, und so …« Er steht auf und läuft zum Fenster. Dort zieht er den linken Vorhang etwas zur Seite um sich einen freien Blick auf die Straße zu ermöglichen. »Ja, dann lässt man eben auch andere Dinge an sich rann, denn Geld muss her.«
»Ja, verstehe. Erst ein kleiner Diebstahl hier, dann ein Überfall dort und schon sieht man sich als Bankräuber auf der Titelseite einer Bunten wieder«, werfe ich ein, weil ich glaube, seine Geschichte verstanden zu haben.
»Nein, nein.« Er schüttelt mit dem Kopf. »Die Stütze vom Staat hätte da schon erst einmal gereicht. Immerhin ist man ja bescheiden, aber …«
»Aber?«, betone ich.
»Aber da gibt es noch so andere Sachen, die dich mächtige Summen kosten.« Er setzt sich wieder auf seine Bettkante und reibt sich sein rechtes Auge.
»Andere Sachen?«, wiederhole ich ungläubig.
»Stoffe.«
»Andere Stoffe?«
»So Sachen, die einen schnell abhängig machen und schon ist man der Außenseiter unter den Außenseitern. Das Verhält sich ganz so, als wenn du unter den Gemobbten bist, die sich nicht ausheulen sondern schön weiter auf sich eindreschen lassen. Immer und immer wieder.«
»Drogen?«
»Mit Alkohol fängt es langsam an, aber schon bald greift man zu härteren Dingen. Die Spirale dreht sich unaufhaltsam und mahlt Mensch für Mensch zur Saat des Bösen, einmal philosophisch ausgedrückt.« Er lässt sich nach hinten fallen. »Hilfe wird nicht geboten. Selbst im Knast bekommt man kaum die Möglichkeit, seine Sucht hinter sich zu lassen. Zwar helfen Behandlungen und Therapien fürs Erste aber bald schon fällt man zurück ins Muster.«
»Gefängnis?«
»Fünf Jahre wegen mehreren Einbrüchen und Beschaffungskriminalität.«
Tief legt sich die Nacht über das ganze Land, als die Uhr eins zeigt und das Licht in unserem Zimmer noch brennt. Einige belegte Brote ließen sich an der Rezeption auftreiben und dienen als spätes Mitternachtsmahl – das letzte Mal hatte ich noch in der Bank gegessen, Jim am Morgen des Tages. Er wirkt nicht wie der Typ Bankräuber aus dem Film, ist meist verängstigt und lässt sich auf mich ein; ich merke wie ihn ein Umstand quält, nach dem er nicht aufhören aber auch nicht wirklich leben kann. Man liest oft vom Vorgehen anderer Räuber und Kidnapper in den Tageszeitungen, den Magazinen und den Illustrierten. Jim aber ist ganz anders, ist zutraulich und gleichermaßen beunruhigt von der Situation, als ich es bin – irgendwie lässt sich das sogenannte Stockholm-Syndrom, bei dem die Geisel mit ihrem Geiselnehmer kooperiert und sympathisiert in unserem Verhältnis umkehren. Hätte ich in der Bank nicht eingegriffen, wäre es jetzt schon vorbei, doch irgendwie will eben auch ich meinen Teil aus der Gleichung ziehen und neuen Mut fassen, mein Leben auf die Reihe zu bekommen … Ein gänzlich anderes Problem sollte aber wichtiger sein und Jim Stone betreffen.
»Jim, bist du es noch?«
»Abhängig?«
»Nun ja, es ist nicht so …«
»In gewisser Weise schon, aber eben jetzt anders. Vor drei Jahren hatte ich meinen letzten Entzug und habe dem Scheiß abgeschworen, das Verlangen nach ungesetzlichem ist mein neues Laster.«
»Wegen des Verlangens war der Überfall inszeniert?«
Jim setzt sich jetzt wieder auf: »Ach, das scheiß Geld ist doch nur notwendiges Übel. Ich bin dem nicht mehr mächtig abzusagen, kann mich vom Klauen und Rauben nicht mehr lösen und werde irgendwann daran kaputt gehen.« Er muss aussetzen. »Ich kann nicht mehr.«
Ich lösche das Licht und lege mich auf das Bett, meine Hose fein säuberlich auf die Kommode neben dem Wecker abgelegt und ziehe die Decke bis zur Brust. Die Nacht ist kalt, überhaupt alle Nächte der letzten Woche waren unglaublich eisig, dass ich nicht einmal ein einziges Fenster auflassen konnte und dennoch fror. Irgendwie muss das mit der kalten Strömung zusammenhängen, die weit vom Meer draußen auf die Insel drückt. Zum Schlafen ist bei mir die Luft raus oder besser gesagt zu viel an Gefühlen da – meine Augen reise ich kaum das ich sie geschlossen habe wieder auf, nein, an Schlaf wird wohl heute nicht zu denken sein; auch Jim liegt wach und dessen Stirn ist schweißgebadet. Krampfhaft versucht er sich zu beruhigen aber hat keine Chance, es muss ihn wohl wieder übermannen und mitreisen. Schon in der Bank hatte ich das Gefühl, dass dieser Mann nicht recht weiß was er will; da war zwar zum einen das Geld, auf das er es abgesehen hatte, aber eben auch seine große Angst vor einem Leben im Gefängnis, oder einem Leben überhaupt dem gleich, das er führt.
»George, hast du nicht auch manchmal das Gefühl, einfach fortgehen zu wollen – fortzugehen und nimmer wieder zu kehren?«, wendet er sich mit zaghafter Stimme an mich, ich stelle das Licht der kleinen Nachttischlampe wieder an.
»Schon so einige Tage sind nicht verheißungsvoll und ganz oft eigentlich nehme ich mir die Kündigung vor. Was soll’ s, ich werde es doch nicht tun.«
»Warum nicht?«
»Na ja, wenn ich einfach Mal genügend Selbstvertrauen in mich setzen würde, hätte ich meinem Chef schon vor langer Zeit die Meinung gegeben, die ich von ihm habe.«
»Wo lebst du?«, weicht er ab.
»Dover Street in London.«
»South Trailroad. Und das war heute ein gutes Stück mit dem Wagen.«
»Und wieso gerade die Harrow Bank?«, dränge ich, von ihm zu erfahren und sehe ihn geradewegs ins Gesicht, das seitlich von der Lampe beschienen wird.
»Weiß nicht, habe eben von ihr in der Zeitung gelesen. So als Umschlagplatz von großen Geldsummen aus anderen Filialen.«
»Wohl wahr.«
Das die Harrow Bank eines Tages in das Wesir eines Bankräubers geraten würde hatte ich immer ausgeschlossen und auch auf die Bedenken meiner Eltern bezüglich meiner Arbeitsplatzwahl mitten in London erklärt, dass es einige Hundert von ihnen gibt und sich die Überfälle noch auf ein angenehmes Maß beschränken. Natürlich war man stets in Sorge,