»Ja, man lebt sparsam.«
Der Räuber stoppt: »Sie sind wirklich ein eigenartiger Mann …«, lässt eine Pause: »man könnte auch Sie einen Psychopathen nennen, oder?«
»Seien Sie beruhigt, ich bin sicherlich mehr Psychopath als Sie es je waren. Wer sonst würde sich auch Tag für Tag mit denselben Menschen abgeben, die er eigentlich nicht ausstehen kann. Jahrelang, immerzu und ständig.«
Irrfahrt zu Zweit
Als ich endlich das Lüftungsgitter abstoße und dem Schacht entsteige hält der Räuber noch immer seine Waffe auf mich – von zwölf Schuss seines Magazins sind leider noch immer zehn übrig und das Verhältnis bleibt angespannt. Ich darf bei all dem Umgang nicht vergessen, das er wohl ein Psychopath ist und damit leben muss. Und obwohl ich in den letzten Jahren nicht wirklich viel von meinem Leben hatte will ich es dennoch behalten, wenn es irgendwie möglich ist.
Den Wagen zu holen, den der Gangster vor der Bank geparkt hat ist nicht möglich und er zeigt sich einverstanden einige Haltestellen mit dem Bus zu fahren. Da allerdings packt er mich am Ärmel und verschleppt mich zu einem geparkten Auto, dessen Scheibe er einschlägt, mich auf den Hintersitz verfrachtet und den Motor startet. Mit einer etwas holprigen Anfahrt geht es in zügigem Tempo auf das Gemenge an Polizei zu, die noch immer vor der Bank auf- und abläuft. Ich sehe gar nicht recht durch, aber irgendwie scheinen alle Besorgter zu sein, als wie ich es bin. Eigentlich begrüße ich diese Art von Abwechslung von meinem tristen Alltag und nehme mir vor, keinerlei Anstand zu machen und jeden nur erdenklichen Schritt mit dem Mann zu tun, der mich so rüde zum Ausflug eingeladen hat.
Während er sich auf die Straße konzentriert und versucht die Verfolger abzuschütteln suche ich nach einem Gespräch: »Wieso? Ich meine wieso tun Sie das hier?«
»Sagte ich nicht wegen des Geldes?«
»Dem Geld? Aber Sie denken doch wohl wirklich nicht, dass Sie das Geld so einfach ausgeben können, oder? Ich meine, die Scheine sind doch alle registriert.« Kurz dreht er sich zu mir um aber achtet dann gleich wieder auf den Gegenverkehr, dem wir auf der falschen Spur geradewegs entgegenfahren.
»Dafür habe ich doch Sie.«
»Mich?«
»Wenn ich Ihnen die Knarre an den Kopf halte wird man mir schon geben, was ich will.«
»Ja, vielleicht auf Zeit … aber ich bin doch nicht Ihre Kreditkarte.«
Wieder dreht er sich um: »Mein Ticket in die Freiheit sind Sie, aber ich kann Sie auch jetzt und hier sofort erledigen.« Seine Stimme klingt recht verklemmt, irgendwie, als wäre er nicht davon überzeugt, wie er seine Sätze hervorbringt. Und ehrlich gesagt ist es auch nicht die Art Bankräuber, die man fürchten muss: der Mann ist schreckhaft, verwirrt und geistig nicht recht auf dem Damm.
»Sie werden mich leben lassen. Überhaupt werden Sie jeden leben lassen, oder?«
»Schnauze.«
»Gehe ich recht in der Annahme, Sie hatten vor dem heutigen Tag weder schon einmal eine Bank überfallen noch mit Ihrer Waffe auf etwas gezielt, das sich bewegt?«
Kleinlaut gibt er bei, obgleich ich seine Worte schlecht verstehe, noch immer heult der Motor und die penetranten Sirenen dringen bis hier rein: »Sie haben recht, Mann, oft mache ich so etwas nicht.«
Vier Stunden mag die irrwitzige Fahrt wohl gedauert haben und zwischenzeitlich hat sich auch schon die dunkle Nacht über London und natürlich ganz England gelegt. Etwas auswärts hält der Mann an, ich für meinen Teil sitze noch immer gemütlich im Polster und hatte die gesamte Zeit die Tasche mit dem Geld auf dem Schoß. Wir haben nicht viele Worte gewechselt, aber ganz so wie im Film scheint unser Verhältnis nicht zu sein. Das Stockholm-Syndrom scheint für mich richtiggehend zu passen, obgleich ich diese Situation eher als für mich bereichernd empfinde.
»Raus aus dem Wagen«, schnauzt mich mein Entführer an.
»Gut, gut.«
»Wir wechseln den Wagen! Los, her mit der Tasche und vorangehen.«
»Einen Moment« wage ich ihm zu widersetzen »ich werde zu dieser Tageszeit nicht mehr umsteigen. Ob Sie nun mein Vormund in dieser Sache sein wollen oder etwa mit vorgehaltener Waffe für Angst und Respekt sorgen wollen, muss ich eben auch auf meine Gesundheit achten.«
»Was?«, blinzelt er drein, weil ihn das grelle Licht der Straßenbeleuchtung in den Augen schmerzt.
»Zuerst einmal wünsche ich ihren Namen zu kennen.«
»Hm?«
»Miles. George Miles ist der meine und ich stehe auch dazu. Denn wenn ich nun schon gegen meinen Willen gezwungen bin, in Ihrem kleinen nächtlichen Ausflug den Hampelmann zu spielen, können Sie doch wenigstens auch mir ein Stück entgegen kommen.«
»Stone. Mehr als diesen Namen gibt es nicht und nun lauf’ zu, Miles.«
Ich gehe einige Meter und drehe mich dann nochmals um: »Meine Unfallversicherung wird das hier nicht decken, oder?«
»Sehe ich aus wie ein Vertreter?«
»Entschuldigen Sie, aber ich sorge mich eben darum, wenn ich jetzt hier über Stock und Stein gehen muss und stolpere. Möglicherweise verstauche ich mir ein Bein und werde Ihnen dann auch nicht mehr von großem Nutzen sein …«
Während ich ihm von meinen Leiden kundtue, geht er die paar Schritte auf mich zu und hält den Lauf seiner Walther ganz nah an meine Wange, ganz so, dass ich die Kälte des Materials spüren und den unverkennbaren Geruch von Schießpulver riechen kann. Doch, jetzt kocht auch in meinen Adern das Blut hoch und mein Innerstes fängt zu beben an. Äußerlich zeige ich davon keinerlei Anzeichen, bleibe nur recht starr, regungslos und wortkarg stehen – er wird mich doch nicht meiner Besorgnis wegen umbringen wollen. Dabei sorge ich mich doch auch um seine Kosten, die ihm entstehen werden, wenn ich mir etwas breche und in der Arbeit ausfalle.
»Es geht jetzt noch ein Stück weiter, guter Mann. Und wenn Sie x-Mal stürzen, ist mir das egal. Sie sind hier die Geisel.«
Endlich tritt er von mir weg und meine alten Lebensgeister kehren zurück. »Nun ja, wenn Sie mir …«
Er unterbricht mich: »Ruhe jetzt!«
»… Wenn Sie mir sagen würden, wie eine Geisel in meiner Lage reagiert, dann könnte ich vielleicht dementsprechend eine überzeugendere Darstellung bieten. Aber Sie müssen wohl entschuldigen, Stone, den Lehrgang habe ich verpasst, in dem uns Reaktionen in Situationen wie dieser beigebracht werden sollten.«
»Scheiße!«, schreit Stone in die kalte Nacht. »Warum, warum?« Er geht einige Stücke zu einem Zaun, auf den er seine Hände aufstützt und seinen Kopf gegen seine Brust drückt. Irgendwie wirkt er hilflos, als wüsste er ebenfalls nichts mit mir, mit sich und dem ganzen verkorksten Abend anzufangen. Dann aber berappt er sich und packt mich beim Arm – wir laufen die paar Meter zum Wagen zurück und setzten uns hinein, dann sichert er seine Waffe, steckt Sie ins Handschuhfach und wendet sich an mich …
»Ich meine wirklich« ihm steigen Tränen in die Augen »noch nie in meinem Leben habe ich einen derartigen Plan in die Tat gesetzt, habe mich jahrelang immer wieder nur mit Bagatellen zufriedengegeben, gehörte nie zu den wirklich Guten im Geschäft. Und jetzt, nach dem ich zwei beschissene Millionen geklaut habe die nicht einmal was Wert sein sollen, gerate ich auch noch an so einen eiskalten Typen, der mir nicht den kleinsten Funken an Respekt zukommen lässt. Ich habe doch …« Er ist der depressivsten aller tränenreichen Verfassungen nahe »Ich habe doch wirklich gedacht, diesmal den großen Reibach zu machen. Sie mögen verstehen, so mit Geiseldrama und dem Bild ganz groß auf der Titelseite. Was für ein Reinfall.«
»Oh, bitte entschuldigen Sie, ich hatte wirklich nicht die Absicht, Ihnen Probleme zu bereiten. Das nicht«, versuche ich zu erklären, aber er winkt nur ab.
»Gehen Sie, ich werde Sie nicht und auch die Polizei nicht