Gesucht. Paul Kohler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Kohler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848476
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ein Beobachter mit dem Sinn zur Dramaturgie und Hang zum Wahnsinn. Wer würde schon die Harrow Bank im Herzen Londons überfallen und sich freiwillig dieser ganzen Bande von kreischenden und heulenden Frauen aussetzen.

      »Na los doch! Alle auf den Boden!«

      Irene und drei andere folgen seinen Anweisungen auf der Stelle und brechen in einem großen Geflenne aus, eine vierte kauert sich hinter ihren Schreibtisch, dann Schüsse. Einer, dann ein weiterer. Auch ich folge den Anweisungen des Banditen und ziehe den Chef zu mir herunter.

      »Sie da, aufstehen«, meint der Gangster zu mir und fuchtelt ständig mit seiner geladenen Waffe herum. Ich stütze mich vom Boden ab, halte meine Hände nach oben und versuche möglichst emotionslos an diese Sache zu gehen. Mit Hilfe kann in den nächsten Minuten nicht gerechnet werden, weil es einen Alarm in der Bank nicht gibt. Das Problem sind die Kosten der Alarmanlage, die der Chef erst vor einem Monat hat abstellen lassen. Damit könnte auch kein roter Knopf helfen, die Polizei zu verständigen. Mein Vorteil seine Schwäche, denn scheint der Mann nicht die leiseste Ahnung von dem zu haben, was er nun mit dem ganzen Haufen hysterischer Frauen, mit mir und dem Chef anfangen soll. Kleinlaut stößt er nochmals sein Anliegen aus: »Wo bleiben meine zwei Millionen?«

      Ich traue mich zu einem Dialog mit dem Mann: »Wir sollten uns legen.«

      »Schnauze man! Ich mache das nicht zum ersten Mal.«

      »Ich kann das Geld …«

      Er unterbricht mich: »Na los doch, wir gehen jetzt alle zum Tresorraum.«

      Hinter seiner schwarzen Maske erkenne ich Verzweiflung, der Schweiß läuft ihm mehr auf der Stirn als mir. Eigentlich kommt mir das Ganze hier entgegen, weil sich so der Putzdienst verschieben und mein Leben etwas aufwerten lässt. Nicht alle Tage hat man die Gelegenheit einem Banküberfall in geselliger Runde beizuwohnen. Und in ernsthafter Gefahr befindet sich hier wirklich nur einer, nämlich der Räuber selbst.

      »Okay. Die Hühner da stecke ich in das Büro. Los, Marsch! Und ihr zwei da kommt mit.« Mit seinem Revolver treibt er den aufgelösten Haufen in den Lagerraum, in dem immer die Tinte und das ganze Papier gelagert wird. Ein fürchterlicher Geruch ist das dort drin, kaum zum Aushalten …

      Im Zählraum liegt glücklicherweise genügend Bargeld um den Räuber zu Entlohnen, den Tresor zu öffnen wäre durch ein Zeitschloss auch nicht möglich gewesen. Na ja, zumindest nicht für mich – der Chef hat da einen bestimmten Key. Und der ist es auch, dem nun die Waffe an den Kopf gehalten wird, während ich mich des Geldzählens befleißige. Immer schön gemütlich, denn in Gefahr ist hier wirklich keiner. Seit der Mann die Bank betreten hatte, kann ich ihm wirklich nicht die Lust des Mordens ansehen und das er sich die Finger damit schmutzig machen wolle, kann ich ebenfalls nicht glauben.

      »Gehen auch Hunderter?«, frage ich den nervösen Räuber, der bereits die Polizei vorfahren hört. Wie es scheint, hat ein Passant das Gesetz verständigt, als im Banksaal Schüsse fielen – damit hat sich der Trottel doch wirklich selbst geliefert.

      »Ja man, einfach rein in den Koffer.«

      »Einer wird nicht reichen.« Mein Chef bekommt Panik und zittert am ganzen Körper. »Würde es ihnen etwas ausmachen«, frage ich den Bankräuber, »wenn Sie die Waffe auf mich statt des Chefs richten könnten? So viel Aufregung kann er nicht ertragen. Immerhin bekommt er Tabletten gegen solchen Scheiß verschrieben.«

      »Wie sie wollen.« Er hebt den Arm und richtet den Lauf jetzt direkt auf mich.

      »Das stört mich nicht, solange ich pünktlich in vier Minuten Feierabend machen kann.«

      »Hä?«

      Irgendwie scheine ich den Bankräuber zu verunsichern mit meinem Gerede, aber das ist völlig ernst gemeint. Was wäre das wohl hier geworden mit den ganzen Memmen, wenn ich nicht einschreiten würde. Die Weiber haben sich doch tatsächlich ohne Widerstand in der Rumpelkammer einschließen lassen, dabei hätten die ihn leicht überwältigen können. Tja, und Adam Harrow, dieser kleine Hitzkopf hat nicht einmal den Mut, sich vor seine Belegschaft zu stellen und alle Gefahr auf sich zu nehmen.

      »Haben Sie einen zweiten Koffer dabei?«, frage ich.

      »Schnauze.«

      »Ich möchte nur sehen, ob wir im Lager …«

      Ich wende mich von ihm ab, doch er schreitet mit seinem Schießeisen ein: »Hierbleiben!«

      »Aber das Geld?«

      »In den Sack!«, schnauzt er mich an.

      »Der Kunde ist König«, meine ich, aber ein zweiter Koffer ist dann schnell gefunden.

      Zur selben Zeit müssen die Polizisten bereits das gesamte Gebäude von Keller bis Dach umstellt haben und bald mit einer Evakuierung beginnen. Ja, es ist immer besser, Nerven wie Stahlseile zu haben und im Ernstfall von ihnen Gebrauch zu machen – wirklich hilfreich scheint der Umstand, dass ich der Polizei mit meinem Gerede einen Vorteil verschafft und den Überfall in die Länge gezogen habe. Demnach kann es auch nicht mehr lange dauern bis der Satz fällt, den üblicherweise die Polizei in so einer Situation allzu gern verwendet.

      »Sie da!« Der Räuber zeigt auf mich. »Sie kommen mit! Als Geisel!«

      »Nein, nein das kann ich wirklich nicht!«

      »Ha? Typ, ich halte dir eine Knarre an die Stirn und du sagst du kannst nicht? Was läuft denn in dir nicht richtig ab?«, meint der Gangster etwas beunruhigt.

      »Ich … ich bekomme meine Überstunden nicht bezahlt und ähm … Überfälle und Geiselnahme steht auch nicht in meinem Arbeitsvertrag.«

      »Scheiß drauf, du bist jetzt entführt! Verträge kannst du später noch ändern. Los, klemm dir den Koffer unter den Arm.«

      »Und was ist mit meiner Tageskarte?« Werfe ich dem zur Hintertür eilenden Mann zu.

      »Tageskarte?«

      »Ich habe heute früh aus Versehen eine Tageskarte statt einer Einzelfahrt verlangt und … na ja, wäre doch schade, wenn die jetzt …«

      Er funkt mir dazwischen: »Ich bin Psychopath!«

      »Habe ich bemerkt. Aber im Grunde sind wir das doch alle. Sie, ich, die ganze Welt spielt verrückt und könnte mit einer einzigen Idiotie bezeichnet werden.«

      »Ich könnte Sie auf der Stelle umbringen!«

      »Nein.«

      »Doch.«

      »Nicht wirklich.« Seine Augen sind weit aufgerissen, als ich ihm mit jedem Schritt näher komme und bereits seinen Atem spüren kann. Jeder hätte wohl unlängst das Weite gesucht, aber dennoch bleibe ich ruhig und verhalte mich auch in Anwesenheit des Bankräubers sittsam.

      »Dann bringe ich die Weiber um!«

      »Tun Sie sich keinen Zwang an, bitte. Aber wenn Sie jetzt nicht der Polizei in die Hände fallen wollen, müssen Sie gehen.«

      »Nur mit Ihnen!«, schreit er mir ins Gesicht und packt mich am linken Arm. Dann rennen wir zusammen Richtung Toiletten, als mein Chef zaghaft aus dem Zählraum gekrochen kommt, um sich das Treiben aus nächster Nähe zu betrachten. In dem Moment höre ich erstes Scheibensplittern, die Polizei scheint demnach mit der gesamten Kavallerie ausgerückt zu sein – wirklich löblich, obgleich sich mir in meiner Situation kein Nutzen dadurch erschließen lässt.

      »Hier durch«, ruft der Gangster zu mir, als er das Waschbecken als Stiege benutzt um den Lüftungsschacht zu erreichen. Irgendwie muss ich den Gedanken gefasst haben, jetzt nicht auf mich aufmerksam zu machen, sondern dem Räuber zu helfen. Zumindest steige ich tatsächlich zu ihm und mache den Vorschlag, nun doch mit dem Bus zu fahren. Das sollte jeden Verdacht von uns lenken und die Möglichkeit geben, das angefangene Gespräch andernorts fortsetzen zu können.

      »Mit dem Bus? Warum sind Sie so, wie Sie sind?«

      »Warum ich? Nein, warum tun Sie das?«, erwidere ich im Lüftungsschacht kriechend.

      »Des