Für einen Moment nur habe ich gedacht, nun endlich Herr der Situation geworden zu sein und das Auto auf schnellstem Wege verlassen zu können. Womöglich, wenn ich nur einmal in die Zukunft zu blicken wage, wenn ich eben diese Eventualität beim Schopfe gepackt hätte, ließ sich mit einigem Glück auch die Waffe bergen und im nahen Gasthof, den wir kurz vor dem abgelegenen Seitenarm einer Umgehungsstraße passiert hatten die Polizei verständigen. Ich wäre wohl der Held auf den Boulevardblättern dieser Stadt und möglicherweise auch ganz Englands geworden, aber ich entscheide mich zu bleiben: »Stone, ich werde jetzt nicht gehen. Ich bleibe hier ganz bei Ihnen und werde auch sicherlich einiges für Sie zu tun wissen.« Er blickt auf und jetzt wie versteinert einerseits und fragend anderer Hand in mein Gesicht, dass ich zwischen die Lehnen der vorderen Sitze gepresst habe. »Der erste Umgang mit Ihnen erwies sich als Flop, nun wollen wir einen zweiten Anlauf wagen, nicht?« Ich strecke ihm meine Hand hin: »George Miles.«
Erst noch etwas unbeholfen mit seinen Gesichtszügen, entspannt sich sein Antlitz zusehend und auch er reicht mir seine Hand: »Jim Stone. Wirklich.«
»So, und nun holen Sie die Waffe wieder rein. Ich möchte die hier wirklich ungern liegen lassen.«
»Ja, ja, ist recht.«
Im hohen Gras ist Nachts wirklich schlecht zu suchen, aber glücklicherweise hatte ich nicht wie geplant den grauenhaften Schlüsselanhänger, den mir ein Warenhaus als persönliches Geschenk zukommen ließ, abgenommen, sondern stets das kleine unförmige Ding mit mir geführt – unter anderem mit einer winzig kleinen Lampe drin. Hell genug für das Gras hier macht Sie jedenfalls.
»Ich will, das Sie die Waffe an sich nehmen George. Ihnen vertraue ich Sie an, so weiß ich, wie ernst Sie all das hier meinen.«
»Ich wusste nicht, dass wir bereits zum Du übergegangen sind …«
»Nicht?«
»Doch, jetzt Jim.«
»Dann nimm Sie jetzt.«
»Herrgott so ein Ding, woher weiß ich’ s denn, ob Sie nicht einfach losgeht.«
»Da ist der kleine Bolzen«, deutet er mir darauf tippend an.
»Die Sicherung, nicht?«
»Hm.«
Weiß Gott eine irrwitzige Situation bahnt sich an, in der ich mich einer Waffe befähige und langsam die Bekanntschaft Jim Stones mache, eben mit meinem Entführer und dem Bankräuber, über den die morgigen Zeitungen titeln werden. Vielleicht aber sollte genau dieser Umstand eintreten, damit ich mein Leben wieder in die Reihe bekomme, als heute Morgen der Bus vor mir abfuhr, das Taxi Schaden nahm und mich der Chef zu erneuten Überstunden drang. All das führte letztendlich dazu, dass der Räuber genau mich zur Geisel nahm … hätte ich meinen Wecker nicht überhört, säße ich derzeit wieder am Küchentisch, hätte mein Brot gegessen, wäre dann zu Bett gegangen und an nächsten Morgen wieder demselben Trott gefolgt, als wie am Vortag und wiederum dem davor.
Auffällig nervös sitzt Jim am Steuer vor mir und zuckelt hin und her, immer in die tiefe Nacht starrend. Dann endlich traue ich mich wieder, ihm einen Vorschlag zu unterbreiten: »In der Herberge …«, wende ich mich an ihn.
»Hm?«
»Da, an der wir vorbeifuhren, dort wird sicherlich keine Streife nach uns suchen, oder Jim.«
»Ein Bett käme recht.«
»Dann wollen wir’ s einmal versuchen. Ganz unauffällig meine ich. Als Reisende eben.«
Jim startet den Motor und lässt ihn aufheulen. Der Rückwärtsgang scheint ein wenig zu klemmen und viel scheint auch nicht mehr im Tank zu sein – Regel Nummer eins: stehle immer einen Wagen, dessen Tank gut gefüllt ist. Trotzdem sollten die paar hundert Meter noch zu schaffen sein. Gekonnt manövriert Jim das Auto aus dem Gebüsch zurück auf die kleine Landstraße, der wir dann folgen. Das gleißende Scheinwerferlicht wirft kreisrunde Lichtkegel in die Dunkelheit und weist uns den Weg – Londons Lichter erhellen das ganze Firmament. Ein wunderbares Schauspiel, dem ich noch nie gewollt war zu begegnen; so spät hatte ich London das letzte Mal vor langer Zeit verlassen, man ist eben doch eher gewöhnlich.
Links und rechts huschen die Barken an uns vorbei und dann und wann ein weiterer einsamer Fahrer hier, die Autokolonnen ihrerseits nutzen viel lieber die Autobahn, die wir aber nach Jims außergesetzlicher Handlung meiden müssen, Sperrungen im Umkreis von mehreren Kilometern sind allemal üblich. Der Beschluss, im stadtnahen Raum zu nächtigen und nicht noch weiter ins Land zu fahren hat damit eben auch seine Vorteile … Kurz vor Mitternacht gelangen wir schließlich am einsamen Gasthaus an, die Rezeption scheint noch erleuchtet.
»Das Geld?!«, ruft Jim mir zu, als wir schnellen Schrittes das geparkte Auto Richtung Herberge verlassen.
»Lassen wir es dort drin. Da wird es schon keiner vermuten. Und wenn schon, ich sagte bereits, das es markierte Scheine sind.«
»Abend, die Herren«, meint der Mann hinter der Rezeption etwas verhalten. Er wirkt auch nicht recht vertraut in diesen Dingen, ist vielleicht nur als Aushilfe angestellt. Nachtbetrieb ist eben nicht die Hochzeit ankommender und gehender Gäste.
»Abend. Wir brauchen zwei Zimmer bitte.«
»Zwei?«
»Dachten Sie …«
»Oh bitte, entschuldigen Sie den peinlichen Zwischenfall. Aber zwei Einzelzimmer habe ich dennoch nicht frei«, erklärt er im Computer nachsehend.
»Keine?«
»Nun, ein Zweibett- und ein Dreibettzimmer sind noch im Angebot, die restlichen sind leider ausgebucht.«
Ich rede Jim gut zu: »Dann wollen wir uns damit begnügen, in zwei einzelnen Betten zu schlafen. Ich meine, ist doch nur für eine Nacht.«
»Ja, es lässt sich da bestimmt etwas arrangieren.«
»Sicher«, schaltet sich der Portier dazwischen: »Alle Doppelbetten lassen sich auseinander rücken, Sie müssen nicht Mann an Mann schlafen.« Er grinst drein.
»Wir nehmen es«, sage ich spontan und reiche meinen Ausweis hin.
»Auf Ihren Namen, Herr Miles?«
»Hm.«
Stone konnte wohl schlecht die Bezahlung übernehmen und damit das ganze Unterfangen zum Scheitern bringen. Zwar war es noch immer riskant, aber ich ging einfach davon aus, das Fernsehen hätte meinen Namen nicht genannt. In jeder Hinsicht ist doch der Schutz der Geisel zu wahren. »Muss man in Vorkasse gehen?«
»Können Sie. Oder lassen Sie’ s sich auf die Rechnung setzen, dann können Sie uns das Geld auch innerhalb der nächsten zehn Tage nach Ihrem Aufenthalt hier überweisen«, weist der Portier mich darauf hin.
»Fein.«
Ich nehme den Schlüssel an mich und wir steigen die Stufen in den zweiten Stock, in dem unser Zimmer liegen soll. Allen Anscheins nach ist es eines derer mit Sicht auf die Straße, da wir aber aus rein praktischen Gründen hier nächtigen wollen, sollte uns die Lage des Zimmers nicht weiter stören. Viel eher könnte man daraus einen Vorteil erachten und immerzu ein Auge auf die Vorgänge vor der Pension haben.
Das Zimmer ist geräumig und hat für zwei Mann genügend Platz. Das Bad ist reinlich, obgleich nicht mit dem eigenen Daheim vergleichbar, da fehlen eben so die normalsten Dinge, an die wir in aller Eile natürlich nicht gedacht haben. Ich meine, wer hätte schon damit gerechnet entführt zu werden. Aber was soll es, dann ist man halt auf den nächsten Überfall vorbereitet und hat an der Arbeitsstätte stets einen Koffer mit frischer Wäsche, Schlafzeug und Kulturbeutel parat. Meinen Chef würde das zwar leicht bis mittel, vielleicht schwer aufstoßen, doch sicher ist sicher. Ich ziehe mein Jackett aus und lege es über die Stuhllehne, den Kragen meines Hemdes lockere ich und die Krawatte lege ich zum Jackett, dann setze ich mich auf die Bettkante und stütze mich auf die Knie. Auch Jim macht sich frei und legt seine Jacke