Gesucht. Paul Kohler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Kohler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848476
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abgetan, aber ich musste das Pech haben, unbedingt das schrecklichste aller Institute ersucht zu haben, in dem ich nun mit vielen hysterischen Frauen und einem unbarmherzigen Chef konfrontiert werde. Ja, ich bin der einzige Mann hier, was in Anbetracht der Tatsache ziemlich verstörend sein kann. Alles hier so hysterisch und schrill und der Chef hat auch nur Augen für die weiblichen Angestellten. (Schauder)

      Haben wir schon über die Begebenheiten gesprochen, die sich täglich reichlich zeigen? Nein? Dann steht das nächste Kapitel meiner Erzählung bereits fest. Obgleich mein Tag mit allerlei Bankkram gefüllt ist, lässt sich doch zweimal täglich eine kleine Pause einschieben, oder wie es mein Chef, übrigens Adam Harrow, immer wieder gern betont: »Tätigen wir jetzt eine ungewollte aber leider nicht umgängliche Unterbrechung der Arbeitszeit, die der fleißige Angestellte gewollt ist nachzuarbeiten, ja?« – so ein …

      Ein Glucksen, dann ein Rattern, ein ratschen und piepen, langsam scheint der Drucker seiner Arbeit genüge zu tun und meine Kopie zu ziehen, warum auch immer man es so nennt. Ungeduldig steht der Alte noch immer am Schalter und blickt unter seiner Brille hervor in meine Richtung, ganz als würde er mir mitteilen wollen, seine Kopie auch schnellstmöglich zu erhalten. Ungeachtet dessen wenden sich die ersten von mir ab – wird auch Zeit. Ich meine die Schlange von anstehenden Bankkunden bereits am Foyer zu erblicken, obgleich das ganze Gemenge durch Gedrängel und Schubserei für mich kaum auseinander zu halten ist. Und alles wegen eines Kopierers, der seine Arbeit eben beendet hat und mir die fertige Kopie anzeigt. Das Walzwerk fährt zurück und ich schicke ihn in seinen Standby-Modus, weil sich der Chef deswegen bereits mehrere Male zu beklagen wusste: »Strom ist nicht zu verschwenden. Ja, dann vor allem nicht auf mein Geld!«

      »Ihre Kopie, der Herr«, meine ich noch freundlich, als der Alte sich bereits von mir abwendet, den Wisch in seine Manteltasche schiebt und die Schalterhalle auf schnellstem Weg verlässt. Doch hinter mir steht schon der kleine fiese Chef mit den neuen Plänen für die nächste Woche.

      »Ach Gott, da wollte ich doch freimachen.« Ich zeige geradewegs auf den Mittwoch.

      »Ja, geht eben nicht.«

      »Und Irene? Sie hat an dem Tag auch frei bekommen.«

      »Das geht Sie nichts an.«

      »Jawohl Mister Harrow«, bejahe ich und wende mich von ihm ab – der nächste Kunde wartet bereits auf Bearbeitung und ich auf meine nächste Dosis. Dabei weiß ich genaustens über das Kommen und Gehen der Angestellten Bescheid und beobachte bereits seit längerem die Bevorzugung des weiblichen Personals. Vor allem aber ist es Irene Smith, die dem Chef zu gefallen scheint. Auffällig oft verbringt sie ihre verlängerten Mittagspausen mit dem Chef im Büro und entsteigt dem Zimmer, Sie mögen meine Ausdrucksweise entschuldigen, fröhlich und beschwipst. Alles deutet auf einen kleinen Umtrunk zur Mittagszeit hin. Vielleicht auch auf mehr, was sich meiner Auffassung bisweilen aber verschlossen hat. Und es wäre mir wahrlich kein Vergnügen, den Chef beim Flirt mit der Bankangestellten Nummer eins zu erwischen. Solche Szenen gehören nicht in eine Bank, oder Irrenanstalt, ganz wie man will. Bereits die Überlegung zieht seine Schatten bei dem kleinen Mann und der viel zu großen Blondine. Eine weitere Beschreibung spare ich lieber auf, weil Sie ohnedies nicht von ihr angetan wären und sich ihr Mitleid auf mich in Grenzen halten soll. Schreiten wir lieber objektiv zu den folgenden Ereignissen.

      Jeder Arbeitstag hat die Annehmlichkeit einmal zu Ende zu gehen, sei es nach vielen unbezahlten Überstunden oder auch vielen Bankkunden und Angestellten, die nur so auf meine Psyche springen und ein heilloses Chaos in meinem Kopf stiften. An diesem Punkt wäre zumindest einer wichtigen Eigenschaft der Welt Rechnung getragen – der Entropie, der steigenden Unordnung in einem System. Meist kann ich erst gegen 19 Uhr die Bank verlassen und mich meinen Tätigkeiten des häuslichen verschreiben, die so zahlreich anfallen. Beileibe kommt mir der Umstand sehr entgegen, dass ich keinem Hobby fröne, keinem Verein beigetreten bin und auch sonst mich von nichts begeistern lasse. Es bleibt demnach immer noch genügend Zeit, um den Weg nach Hause zu Fuß zu nehmen, denn in der Abenddämmerung gehe ich gern ein Stück, und obwohl es Tag für Tag die gleiche Strecke zu sein scheint, kann man in einer Stadt wie sie London ist davon ausgehen, jeden Tag an einem anderen Ereignis vorbei zu kommen. Häuser, die von Tag zu Tag höher werden, stetig wechselnde Baustellen und Läden und Wohnungen. Ein reger Verkehr ist das Umzugsgeschäft allein auf meinem drei Kilometer langen Weg bis nach Hause in die Dover Street.

      Man geht so an all dem vorüber, nimmt für einen kurzen Moment teil am Leben vollkommen fremder Menschen und kann denen genau oder eben auch gar nicht nachvollziehen so zu fühlen … Das schönste Stück ist noch immer an der Themse zu gehen, der tosenden und schäumenden Gischt dem Spiel der Wellen zuzusehen und den Geruch abgestandenen Wassers in die Nase geweht zu bekommen – in all den Jahren hat man sich daran gewöhnt und so schlimm, als wie in vergangenen Tagen schien, ist es lange nicht mehr. Allerhand Eindrücke sammelt man auf seiner Reise durch das hellerleuchtete abendliche London und kennt trotzdem den unausweichlichen Schritt am darauffolgenden Tag, gleiches Spiel zu betreiben und wieder und wieder der Arbeit nachzugehen, die seit jeher schon die Eigene ist – eigentlich ist es ein wenig wie Gefängnis, weil man sich zwar in Freiheit wähnt aber dennoch den Ausbruch nicht schafft. Wie oft schon nimmt man sich in seinem Leben vor, einen anderen Weg zu wählen aber wie oft landet man wieder dort, wo alles begann. Ich denke der Ausbruch aus einem Leben wie diesem ist um einiges komplizierter, als die Mauern eines Gefängnisses hinter sich zu lassen.

      Etwa nach einer Stunde gelange ich in der Dover Street an und bezwinge die verrostete Tür zum Treppenhaus. Es ist ein Mietshaus mit insgesamt 20 Wohnungen. Ich für meinen Teil habe eine Zweizimmerwohnung im zweiten von vier Geschossen bezogen die von einer Frau vermietet wird, die kaum drei Türen weiter haust. Die Ausstattung ist gewöhnlich, man darf eben nicht zu viel erwarten, dafür ist die Miete gering und die Räumlichkeiten geradezu perfekt auf mich geschnitten. Sie liegt mit zwei Zimmern, dem Wohnraum und dem Schlafzimmer in den Hinterhof und mit den restlichen Räumlichkeiten ins Haus. Zwei Fenster in jedem Raum sorgen zwar nur für wenig Licht, aber mich sollte das bei meiner täglichen Abwesenheit nicht belangen: noch im Dunklen verlasse ich meine Heimstatt und kehre auch erst bei vollkommener Schwärze des Himmels zurück. Von lichtdurchfluteten Räumen zur Mittagszeit hätte ich wenig.

      Zu meiner Freude war die Küche, als ich vor sieben Jahren hier einzog möbliert und auch ein altes Bett stand noch im dazugehörigen Keller, beides behielt ich bis zum heutigen Tag, weil es einfach noch keine Gelegenheit gab, es zu erneuern und ich ehrlich gesagt auch nicht wüsste wieso.

      Das abendliche Prozedere ist wohl kaum Wert, hier Anklang zu finden … Ein kleines Mahl und ein x-beliebiges Programm im Fernsehen genügt schon um mich auf die Nacht und den kommenden Tag vorzubereiten. Alles beim alten, während ich die Deckenleuchte abstaube; nichts ändert sich, als ich ein wenig Dreck in der Küche bereinige und wirklich nicht der leiseste Vorbote von einem unerwarteten Ereignis in meinem Leben, als ich mein bisschen Müll in den Müllschlucker werfe. Ein Tag folgt dem nächsten, ohne das ich auch nur eine Veränderung feststellen kann. Dabei müsste man einfach mutig genug sein, um dem hier zu entfliehen … Den Wecker auf halb sechs gestellt drehe ich mich auf die linke Seite, weil wenn ich auf der rechten schliefe ich den Nachbarn durchs Fenster beim fern schauen zusehen könnte.

      Dreizehn

      Eilig stürze ich aus der Wohnungstür, hing mir noch eben schnell die Krawatte um den Hals und klammerte die Aktentasche fest unter meinen Arm. Irgendwie muss ich wohl den Wecker überhört haben, als ich doch tatsächlich erst dreizehn Minuten nach dem ersten Klingeln aufwachte. Warum unbedingt dreizehn? Mein morgendlicher Plan ist mit einem Zeitpuffer von genau zwölf Minuten ausgestattet, falls etwas Unvorhergesehenes eintreten würde; ansonsten ist alles streng nach Zeitplan organisiert: nach aufstehen duschen, essen, anziehen – genau geplant bis sieben Uhr zwölf, weil die restlichen Minuten bis halb vergehen werden, um im eiligen Schritt die Haltestelle zu erreichen. Wenn der Bus dann genau zu dieser Zeit links aus dem Verkehr ausschert, gelange ich schließlich pünktlichst in der Bank an und bis heute hatte das sieben Jahre lang vollkommen ausnahmslos funktioniert. Selbst im kältesten Winter und im heißesten Sommer hielt der Busfahrer seinen Fahrplan ein und damit auch ich meinen.

      Genau eine Minute aber habe ich unbeabsichtigt