Gesucht. Paul Kohler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paul Kohler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741848476
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Dienst schiebt und ich mich eben auch immer darauf verlassen kann, pünktlichst fünf Minuten vor dem Beginn meiner Arbeitszeit anzukommen. Vielleicht ein wenig knapp gefasst.

      Eine wilde Hatz nach sechzig Sekunden beginnt durch die Dover Street bei der ich einigermaßen ins Schwitzen komme. Während ich möglichst darauf achte, keinen anderen umzustürzen bahne ich mir den Weg über den Bürgersteig und binde unterdessen auch die Krawatte. Ja, das geht nach Jahren einfach automatisch – ich meine daran keine Schwierigkeit mehr zu finden den Knoten präzise zu binden und den Hemdkragen darüber zu schlagen. Drei Minuten sind es noch bis zur Haltestelle aber meine Uhr zeigt zwei vor halb acht.

      Alles hat sich gegen mich verschworen denke ich noch, als ich tatsächlich bei Rot eine Straße zu passieren gedenke: aufheulende Motoren und Hupen verschlingt mein Gehör und bahnen sich ihren Weg zu meinem Hirn wie ich mich durch die Stahlkarawanen schlängele. Nie in meinem gesamten Leben hatte ich bis jetzt ein Delikt begangen, nicht einmal eine Straße rechtswidrig überquert. Bis heute war es mir stets möglich, die Gesetze genaustens im Auge zu behalten und mich zivilisiert zu verhalten, aber trotzdem fühlte ich urplötzlich einen Teil meiner Last und meiner Gefängnismauern hinter mir gelassen zu haben. Ein simples Vergehen also trug auf einen Schlag zu meinem Wohlergehen bei. Dann sollte man doch ein Bankräuber werden. Dennoch verpasse ich den Bus und erahne am Haltepunkt angelangt nur noch dessen Rücklichter. Erst in zehn Minuten wird der nächste Doppeldecker diesen Punkt ansteuern und mich fünf Minuten nach Arbeitsbeginn an der Bank absetzen. Dass das meinem Chef übel aufstoßen würde ist bedenklich, weil ich nie mit ihm konnte und er wohl in seiner fiesen Art einige Überstunden anzuhängen wüsste.

      Ein Taxi wäre die Lösung zu meinem Problem und als ich noch das nötige Kleingeld in meiner Börse zusammenzähle, hält nach Handsignal eine der schwarzen Taxen genau am Bürgersteig: »Morgen. Wo soll es den hingehen?«

      »Harrow Bank, bitte. Westminster«, meine ich noch immer keuchend vom sportlichen Sprint hierher.

      »Kein Problem.«

      Gerade als er seinen Fuß auf das Gaspedal setzt und anfahren will stößt ihm geradewegs ein zweiter Wagen aus der Seitenstraße in die Beifahrerseite – die Scherben schleudert es wild durch alle Lüfte und der Wagen macht auf Anhieb eine Seitwärtsbewegung auf den Haltepunkt zu, mich drückt es tief in den Sitz der Hinterbank, auf der ich platz nahm. Meine Aktentasche bohrt sich weit in das Polster neben mir, bis die Schnallen aufspringen und allerlei Bürokram im Taxi verteilt wird. Es vergehen nur wenige Bruchteile einer Sekunde und wir kommen am Trottoir zum Stillstand – ein regelrechter Trümmerhaufen. Glücklicherweise ist nur einiger Blech- und Sachschaden entstanden aber weder die Fahrer noch ich sind verletzt worden. Plötzlich wimmelt es rund um den Unfall von Passanten, die sich bis zum Wagen durchzuringen scheinen, ich steige aus. Mein Kopf dröhnt und ich kann meine Umwelt noch nicht recht wahrnehmen. Stimmen wirken verschwommen und mein gesamter Verstand ist noch immer wie benebelt, als ich das Nötigste zusammensuche und eilig davonstürze. Gut, als Zeuge hätte man meiner sicher gebraucht, aber ich hätte doch lediglich nur das Sagen können, was auch all die anderen Menschen auf der Straße sahen. Außerdem sind es nur noch wenige Minuten, um mich zur Harrow Bank durchzuschlagen. Ein glücklicher Umstand macht es möglich, das ich nun doch den nächsten Bus erhasche und nervös auf einem der hinteren Plätze platz nehme, den Fahrer der Taxe und all die Menschen hinter mir lassend.

      Genau sieben Minuten nachdem die offizielle Arbeitszeit beginnt gelange ich am Haupttor an und gehe durch das Foyer und die Haupthalle direkt auf das Büro des Chefs zu. Ich denke, so vielleicht einigen Schaden beheben zu können, wenn ich mich der Verspätung schuldig bekenne und mein Bedauern zum Ausdruck bringe. Für den Chef gibt es keinen Entschuldigungsgrund für das Zuspätkommen, da könnte selbst der Himmel auf die Erde stürzen … Etwas mulmig ist mir, als ich in das Vorzimmer vorstoße und bereits seine Sekretärin erblicke. Sie ist immer ein wenig verschreckt, wenn man sie anspricht: »Bitte entschuldigen Sie die Störung, Miss, ich müsste zu Mister Harrow.«

      Sie ist es wieder: »Mit … mit dem habe ich nicht gerechnet.« Ihre Art macht sie eigentlich sympathisch, weil sie die einzige Frau in dieser Bank ist, die nicht wie ein Roboter den standardisierten Text herunter betet wie ein Leierkasten. »Gehen Sie durch.«

      »Miles!«, dringt das Gebell des Chefs an mein Ohr, der erbost die Fäuste gegen seinen Schreibtisch gestemmt hat und errötet drein blickt. Sein Gesicht gleicht einem fürchterlichen Gebirge, so verzahnt haben sich seine Falten auf der Stirn – ich versuche zu schlichten.

      »Sir, bitte entschuldigen Sie meine Verspätung. Es lag ganz an meinem inkompetenten Verhalten hierher zu finden. Ich bitte Sie inständig von Maßnahmen abzusehen und werde diese Zeit selbstverständlich am heutigen Tag nacharbeiten.« Wie ich es hasse, diesem Mann in den Allerwertesten zu kriechen, vor ihm zu kuschen, nur weil er da steht und es sonst noch mehr Überstunden hageln würde.

      »Miles, es ehrt Sie, dass Sie den Weg hier in mein Büro gefunden haben« er raunt die Stirn »aber Zuspätkommen kann und will ich nicht tolerieren.« Er setzt zu seinem Schrei an: »Sehen Sie mich zu-spät-kommen?!«

      »Sir, bitte …« ich halte meine Hände zu ihm, um ein wenig Schutz aufzubauen.

      »Sie werden heute Abend hier wischen!«

      »Wie Sie meinen«, bemerke ich flugs, bevor ich sein Büro eiligen Schrittes verlasse und meinen Arbeitsplatz ansteuere. Hier heute Abend die Putzkraft spielen zu müssen ist ein unangenehmer Tatbestand aber besser, als gefeuert zu werden ist es allemal. So kann ich zumindest weiterhin meine Miete zahlen.

      Erst einmal nimmt der Tag nun seinen gewohnten Lauf, obwohl ich selbst seitdem ich heute Morgen dreizehn Minuten zu spät aufgestanden bin ein unbehagliches Gefühl spüren kann.

      Die Uhr zeigt achtzehn mit dem großen Zeiger, demnach schließt die Filiale und ich werde gleich meinen Putzdienst antreten. Die letzten Kunden haben die Halle eben verlassen, als ein älteres Automobil anhält. Ein schwarzer Wagen der schon einige Dellen und Kratzer hat. Nach den getönten Scheiben zu urteilen, verschließt sich der Fahrer leider meiner Auffassung. Nicht nur einmal hatte der Wagen heute schon hier gehalten, sondern heute Früh gegen neun das erste und heute Mittag während der Pause zum zweiten Mal. Zum Teufel mit diesem Fahrzeug, wenn es doch nur nicht so bedrohlich wirken würde. Irgendwie auffällig, niemand steigt ein, niemand aus. Ein Taxi ist es nicht, sondern ein normaler Personenwagen mit laufendem Motor zwischen all dem geschäftigen Gedrängel, der die ganze Zeit im Halteverbot steht. Es wirkt ganz so, als würde der Fahrer in die Bank sehen, obwohl er selbst nicht zu erkennen ist.

      Irene Smith setzt sich in Bewegung – ein klares Zeichen, dass der Chef jetzt die Bank schließen lässt. Ich meine, erst kommt er hier in die Halle, verkündet das Arbeitsende, schließt die Tore und verdrückt sich mit seiner Liebschaft über den Hintereingang. Ich habe aber das Gefühl, dass es dazu heute nicht kommen wird. Irgendwie nicht.

      »Hallo«, gibt der Chef zu erkennen. »Hallo Miles, wir schließen und Sie machen jetzt hier sauber, klar.«

      »Ich möchte das wirklich nicht«, meine ich verschreckt ihm gegenüber noch immer den Wagen beobachtend.

      »Was?«

      »Mir ist nicht wohl.« Ich stehe auf.

      »Soll ich ihnen etwa den Grund dazu liefern? Sie werden jetzt auf der Stelle …«

      »Da! Daaa!«, schreie ich ihm ins Gesicht und zeige mit meinem linken Arm auf die Straße.

      »Was erlauben Sie sich. Raus mit Ihnen, Sie sind ein für allemal gefeuert!«, blökt er mich verbittert an und erhebt seine Hand, setzt zu einer wilden Rechten an. Während der Diskussion eben hatte sich der Fahrer in Bewegung gesetzt und die Wagentür aufgestoßen. Mit eiligen Schritten hastete er ganz in Schwarz gekleidet auf die Bank zu, wird bald den Saal betreten. Endlich, als sich der Chef besinnt, blickt auch er gen Foyer und erblickt den Mann in voller Größe und vorgehaltenem Revolver: ein Überfall. Ein Überfall auf die Harrow Bank, hier, mitten in der Stadt.

      »Los, los! Zwei Mille, aber heute noch! Und Griffel weg von den kleinen roten Tasten, die Ehre gebührt nur mir, die Polente zu holen!«, stößt er mit krächzender