Frikadellen für Marrakesch. Hanna Jakobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Jakobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752941326
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den Fußbereich, im Schatten lag, fallen. Der Lüfter tanzte heftig. Er freute sich anscheinend über irgendetwas derart, dass er bereit war, dafür jeden Moment aus der Halterung in die Freiheit zu springen. Wenigstens sorgte er für eine ganz leichte Brise. Susan konnte das verhaltene Rattern inzwischen ausblenden.

      Eine piepsende Tonfolge verkündete, dass sich das Handy erfolgreich im örtlichen Telefonnetz angemeldet hatte. Gespannt drückte sie auf das Signal der eingegangenen Anrufe.

      Zwei davon waren von ihrer Redakteurin, Letzterem folgte eine Sprachnachricht mit der freundlichen Erinnerung an den Abgabetermin in vier Tagen. Susan nahm es mit einer gewissen Unruhe zur Kenntnis. Die Nachricht war von gestern – es blieben ihr jetzt also noch drei Tage, bis sie abliefern musste.

      Der dritte Anruf war gegen 3:15 Uhr morgens eingegangen. Die Rufnummer sagte ihr nichts.

      Es war keine Nachricht hinterlassen.

      Augenblicklich brach ihr Herz in einen rasenden Galopp aus: Hatten sie ihre Nummer herausgefunden? Wussten sie jetzt, wo sie wohnte?

      Instinktiv scannten ihre Augen die Dächer der umliegenden Häuser ab.

      Sie waren leer. Alle Hipster, Touris und die letzten marokkanischen Familien, die sich die Mietpreise in dem Viertel noch leisten konnten oder klugerweise ihr Elternhaus nicht verkauft hatten, hatten sich vor der Hitze bereits in die unteren Räume geflüchtet.

      »Susan, flipp jetzt nicht aus.«, versuchte sie sich zu beruhigen. »Eine fremde Nummer kann tausend Dinge bedeuten. Verwählt – jemand aus Deutschland – jemand ein neues Handy – ein kindischer Telefonstreich.«

      Sie zwang sich, ein paar Mal bewusst langsam an ihrem Kaffee zu nippen, obwohl die unbekannte Zahlenfolge auf ihrem Bildschirm die Müdigkeit schlagartig aus ihrem Körper gefegt hatte. Sie war jetzt wacher als wach.

      Sie presste die Luft mehrmals durch ihre halb geöffneten Lippen. Bloß nicht in Panik verfallen - klaren Kopf bewahren!

      Da war ja auch noch die Textnachricht.

      Sie traute sich kaum, auf das Symbol zu tippen.

      Auch hier: Sender unbekannt.

       Hallo Susan, ich fand den Abend gestern super. Freue mich schon auf unseren Quadausflug. :o) Sorry für den Anruf- hoffe, ich habe Dich nicht geweckt. Ich hatte nicht auf die Uhr gesehen. Sorry nochmal. LG S.

      Steve! Er hatte ihr mitten in der Nacht eine Nachricht geschickt. Direkt, als er nach Hause kam. Und dabei war er anscheinend auf die ›Wählen‹- Taste gerutscht. Sie verglich die Nummer des Anrufs mit der Textnachricht: Sie stimmten überein.

      Im Club hatte sie seine Daten auf ihrem digitalen Notizblock hinterlegt, nicht aber in die Kontakte gezogen. Das Telefon zeigte so keinen Namen zu der Nummer des Anrufers.

      Wenn sie mit diesen Dingen umgehen lernen würde, könnte sie sich solche Schrecksekunden ersparen. Sigi hatte es ihr x mal erklärt. Aber sie kam mit dem ganzen Technikkram nicht zurecht. Egal jetzt.

      Ihr Herz hämmerte immer noch wie ein Wahnsinniger an ihre Rippen. Steven war es also, der ihr eine Nachricht geschickt hatte.

      Heute war Sonntag. Für Donnerstag hatten sie sich verabredet. Bis dahin war eigentlich noch massig Zeit. Sie kaute auf ihren Fingernägeln herum und konnte sich nicht recht entscheiden, ob sie seine prompte Nachricht ein bisschen aufdringlich oder doch ganz süß finden sollte.

      Im Moment war es sowieso sinnvoller, sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Entweder fiel ihr für die Kolumne bis Mittwoch ein mitreißender Text ein, oder sie musste erneut ihren Computer auf frühere Artikel durchforsten. Und hoffen, Brauchbares zu finden.

      Momentan hatte sie noch keinen Kopf für irgendwas. Ihr Schädel brummte zwar nicht und sonderlich schläfrig fühlte sie sich nach der Geschichte mit der fremden Nummer auch nicht mehr. Aber so richtig hatte sich ihr Gehirn nach der Disconacht noch nicht reseted. Ein Kreativschub war etwas anderes. Wenn sie zudem an den Mief in der Wohnung dachte, wurde ihr schwindelig. Solang es irgendwie erträglich wäre, wollte sie die unverbrauchte Luft auf dem Dach nutzen.

      Sie schob sich ein Kissen hinter den Nacken und zog die Beine an. Nach einem Biss in ihr Croissant tippte sie das Handy an und öffnete den Internet Browser.

      ›Quadtouren / hoher Atlas / Marrakesch‹

      gab sie in das Suchfenster ein und erhielt in weniger als einer Sekunde seitenweise Vorschläge.

      Da würde sie bestimmt etwas finden. Quadfahren war momentan hip.

       Kapitel 4

      Erstaunlicherweise hatte sie bis zum Abend nicht nur ein Quad für Brigid und Holger gebucht, sondern auch eine ansprechende Halbtages-Route durch das Gebirge für Donnerstag gefunden und sie an Steve geappt. Und sie hatte einen ganz netten Kolumnenbeitrag sendefertig in ihr Laptop gehakt. Er handelte von verschiedenen Männertypen und den dazugehörigen Allegorien zu Insekten: Mistkäfer, Kellerasseln, Küchenschaben, Marienkäferchen und – Gottesanbeter. Was ihr Kopf alles hervorbrachte, wenn er nur ausreichend unter Druck stand!

      Morgen hatte sie einen Termin bei Eva und musste dafür zweimal durch die komplette Stadt. Bis sie am Abend zurückkäme, wäre sie sicher zu keiner vernünftigen Zeile mehr fähig. Gut, dass sie ihre Kolumne fertig hatte. Erleichtert sandte sie die Datei an die Redaktion.

      Vor dem Date mit ihrer Therapeutin graute es ihr. Absagen wollte sie nicht. Im Grunde wollte sie ihre Ruhe haben und schlafen, doch der Ausflug am Donnerstag rumorte lautstark in ihr. Sie würde mit Steve dann in einem abgelegenen Flusstal sein. Vorfreude und Panik ritten Turniere in ihrem Gehirn. Wenn sie dabei nicht ständig gegen ihren Schädel geknallt wären!

      Susan drückte die Fäuste an ihre Schläfen. Mit zusammengepressten Augen schüttelte sie den gesamten Körper von oben bis unten durch. Gebt Ruhe!

      Wegen dem Aufruhr, der in ihr brodelte, war sie so froh, dass ihre Freundin und Holger mitkamen. Und der Termin bei Eva war vielleicht doch keine so schlechte Idee.

      Als sie den Kühlschrank öffnete, machte ihr eine zurückgelassene halbe Gurke und ein angefangenes Päckchen Margarine darin klar, dass auch hier gehandelt werden musste: Sie sollte endlich wieder mal einkaufen! Das würde sie morgen, auf dem Rückweg von Eva, erledigen.

      Während sie ihre letzten Muschelnudeln und einen Löffel Brühe in kochendes Wasser schüttete, bestellte sie Ahmed, den Taxifahrer ihres Vertrauens, für 10:00 Uhr direkt vor das Haus. Raus – ins Auto – zu Eva – mit Ahmed war das ok.

      Das bekam sie inzwischen relativ entspannt hin.

      Und bei ihm durfte sie sicher sein, dass sie an ihrem Ziel ankam und dafür auch keinen Touri-Utopie-Preis zu berappen hätte. Ahmed berechnete ihr nicht einmal den vollen Betrag des Taxameters. Für einen lächerlichen Obolus wartete er auf sie, während sie bei ihren Therapiesitzungen war. Ahmed war schwer in Ordnung. Sie war ihm so dankbar, was er für sie getan hatte. Sie würde ihm eine Flasche Raki aus dem Supermarkt mitnehmen. Ahmed war Türke und vermisste seine Heimat.

      Am nächsten Morgen kam ihr Taxi auf die Minute. Ahmed hupte kurz und Susan spurtete aus dem Haus.

      »Susan – benim Çiçek! Meine Blume! Komm rein. Schön dich zu sehen! Ist gut alles?« Ahmed freute es, dass sie noch immer mit ihm fuhr. Nicht nur wegen der paar Dirham.

      »Salam Ahmed! Alles gut. Heute haben wir die große Tour vor uns. Ich hoffe du hast Zeit mitgebracht?«

      »Für Dich kleine Çiçek? Immer!«

      Der füllige Türke verriegelte die hinteren Türen und drehte den Zündschlüssel seines uralten Benz.

      Im Schneckentempo schlängelten sie sich durch die engen Straßen der Medina. Über eine Stunde stauten sie durch die Stadt, ehe sie in eines der moderneren Viertel einbogen. Ahmed hielt den Wagen direkt vor dem Haus, in dem Eva ihre Praxis hatte. Er wartete, bis Susan sicher im Gebäude verschwunden war und fuhr erst dann weiter