Frikadellen für Marrakesch. Hanna Jakobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Jakobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752941326
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ja inzwischen weniger zur Grundausstattung gehörte.

      Susans Augen verzogen sich voll Mitgefühl. Er erwiderte ihren Blick mit Schulterzucken.

      »Zweimal gestorben die Kuh!«, meinte er, zwischen zwei Bissen.

      »Ja, Fleisch können sie hier nicht besonders gut. Höchstens geschmort.«

      »Isst du nichts?«

      »Ich hab’ gerade erst bestellt. Aber ich mag sowieso kein Fleisch.«

      »Hm.« Er nickte, versuchte es mit dem nächsten Bissen. Nachdem er das Stückchen in den Mund geschoben hatte, legte er das Besteck genervt, aber akkurat auf zehn Uhr- Stellung auf den Teller.

      »Braucht man gute Zähne.« Sie lachte ihn amüsiert an. Der Mann hielt sich seine Hand entschuldigend vor den Mund, nickte nur. Mit vollem Munde redet ... Selten gut erzogen!

      Der Kellner kam mit dem Lassi, knallte es wort- und blicklos vor sie auf den Tisch. Singlemann und Susan tauschten Blicke und beidseitig belustigtes Schulterzucken über das unfreundliche Tun der Bedienung.

      Für’s Erste ausgetanzt, kamen Sigi und Brigid zurück an den Tisch. Vor Anstrengung waren ihre Gesichter knallrot, Schweiß stand auf ihrer Stirn. Die Nacht hatte die Luft nicht wirklich abgekühlt. Die massiven Steinwände schickten die Tageswärme zurück zur Tanzfläche.

      »Oh, Susan, darf ich mal?«

      Mit einem Rutsch schüttete Sigi ihr Lassi in sich. Mit einer Handbewegung rief er gleichzeitig den unterkühlten Kellner heran. Als der endlich in seine Richtung blickte, hob er das Glas auf Kopfhöhe und deutete mit Zeige- und Mittelfinger darauf. Zwei Mal neu, bitte!

      »Ihr habt Euch schon bekannt gemacht?«

      Brigid war zu Susan und Singlemann auf die Bank gerutscht. Sie drängte sich beim Hinsetzen so eng an sie, dass Susan nichts anderes übrigblieb, als näher zu ihrem Nachbarn aufzuschließen.

      »Bekanntgemacht? Äh, so gut wie, ja!?!«

      Susan sah Brigid an. Der Typ neben ihr begann eben einen weiteren chancenlosen Angriff auf sein Schnitzel und hörte ihnen nicht zu.

      »Nicht? Ja also: Steve, das ist Susan, Susan – Steve!«

      Sie nickte dem Kauenden zu. Steve also. Hätte sich das geklärt.

      Der Kellner stellte die neuen Getränke vor die beiden Frauen. Diesmal mit Blickkontakt, was hieß, er sah sie so angepisst an, als hätte er die Mangos in seiner Freizeit persönlich für sie pflücken müssen.

      »Dem kneift der Sack im Frack!«, kommentierte Sigi den Blick der Frauen und tänzelte im Discofox Grundschritt von einem Fuß auf den anderen. Nicht nur einmal klaute er dabei Pommes von Steves Teller.

      »Muß ja schlecht um die IT- Branche stehen ...« Ralf rutschte zu ihnen auf und beobachtete Sigi kopfschüttelnd Steves Pommes kauen.

      »Komm, lass uns den tanzen!«

      Brigid schmiss sich auf Ralf, um ihn sofort wieder von der Bank zu schieben. Sie war zum Tanzen hier, nicht zum Quatschen! Aus dem Soundsystem dröhnte jetzt etwas Bekanntes aus den 80ern. Duran Duran oder so. Susan erinnerte der Song daran, dass sie, als er damals ganz frisch herausgekommen war, eine furchtbare Dauerwelle gehabt hatte. Schulterpolster waren zu der Zeit der letzte Schrei gewesen. Die hatte sie aus den Oberteilen immer herausgeschnitten. Die riesigen Plastikohrringe, die einfach jede damals hatte, hatte sie geliebt. Ein paar mussten noch in einer dieser Schubladen, die man maximal zweimal im Jahr öffnete, liegen.

      »Ich hab’ Susan versprochen...«, versuchte Ralf Brigid abzuwimmeln.

      Susan schüttelte rasch den Kopf. Geht nur! Sie hatte immer noch keine Lust zum Tanzen. Lieber saß sie, tief in ihre Kissen gekuschelt, und sah in die Lichter über ihr. Sie überlegte, ob es sich schickte, nun, da Brigid ihr nicht mehr so dicht auf die Pelle rückte, so nahe bei diesem Steve zu sitzen. Ihre Oberschenkel berührten sich beinahe.

      Ralf versuchte weiter, Brigids Annäherung zu entkommen, stand aber auf. Eben kam der Kellner mit ihrer Portion Couscous an ihren Tisch. Die perfekte Ausrede, nicht auf die Tanzfläche zu müssen. Just in time sozusagen. Susan rieb sich grinsend die Handflächen und schlüpfte aus ihrer Polsterladung. Voll Vorfreude auf das Essen, wickelte sie die einsame Gabel aus der Papierserviette, die das Flair von Stoff täuschend echt nachbildete. Steve nickte ihr ein »Guten Appetit wenigstens für dich« zu und schob endgültig seinen Teller von sich.

      Brigid hatte es schließlich doch geschafft, Ralf zum Tanzen zu überreden, und zog ihn hinter sich her unter den Spiegelball. Sigi, ihr eigentlicher Tanzpartner hatte durch die blinkenden Lichter am anderen Ende des Raumes schon wieder einen Bekannten entdeckt, dem er noch nicht die Hände geschüttelt hatte, und tigerte in dieser Richtung davon.

      Susan amüsierten die drei immer wieder. Sigi, Brigid und Ralf. Diese drei Chaoten waren inzwischen ihre besten Freunde.

      Sigi und Brigid waren kein Paar. Nicht außerhalb der Tanzfläche. Früher wollte Sigi einmal etwas von Brigid und noch früher sie von ihm. Irgendwie hatten sie sich zeitlich nie einigen können, mit dem Was-vom-andern-wollen, so wurde nichts aus ihnen. Manchmal stimmte das Timing einfach nicht.

      Beide hatten aktuell andere Partner und lebten mit ihnen in temporär durchaus befriedigenden Beziehungen. Es traf sich äußerst gut, dass diese beiden so überhaupt nichts von Mucke, Clubs und der ›Zappelei‹ hielten, also blieben sie lieber zu Hause. Keiner war auf irgend jemanden böse und Sigi und Brigid hatten ihren Spaß auf der Tanzfläche. Manche Lösungen waren simpel.

      »Und? Hast du aufgegeben? Vom Schnitzel besiegt?«

      Susan lächelte Single-Steve zu.

      Sie hatte sich entschlossen, doch etwas abzurücken, um ihm beim Essen nicht versehentlich den Ellenbogen in die Seite zu rammen.

      »Ja, aber passt schon. Ich hatte vorher schon was Kleines.«

      Sie machte sich hungrig über ihren Couscous und die Soße her. Aus den Augenwinkeln beobachtete sie diesen Steve. Journalistisch. Etwas hatte ihre Trüffelschwein- Schreibernase anspringen lassen. Etwas war seltsam an diesem Kerl. Susan konnte nur noch nicht einordnen, was es war. Beim Sprechen nickte sein Kopf immer ein wenig vor und zurück und irgendwie kam er ihr fehl am Platz vor. Aber so, wie sie sich begrüßt hatten, kannte er Brigid und Sigi.

      »Kommst du öfters her?«

      Da! Da war es wieder: Vor und zurück. Zweimal. Er machte das in jedem Satz.

      »Ab und an, letzte Zeit nicht mehr so.«

      In letzter Zeit.

      Mit ihrer eigenen Antwort vertrieb es schlagartig die Konzentration auf den Mann neben ihr.

      Widerliches Kribbeln jagte Susan den Rücken hinab, als hätte jemand eine ganze Ladung Eiswürfel in ihren hinteren Ausschnitt geschüttet.

      »Stopp!«, befahl sie ihrem Bewusstsein. So, wie es ihr Eva gezeigt hatte.

      Nicht weiter erinnern oder denken! Weg mit diesen Gedanken! In diesem Moment hatten sie keine Daseinsberechtigung. Besser schnell irgendetwas sagen.

      »Und du? Ich hab dich, glaube ich, noch nie hier gesehen.«

      »Gut möglich. Ich gehe nicht so oft aus. Mir reichen die Leute bei meiner Arbeit.«

      Pffff – ausatmen! Die Panikattacke hatte sie für den Moment abgewehrt. In der extremen Wachheit, die folgte, dämmerte es ihr, was so eigenartig an diesem Steve war!

      Es war nicht dieses Vor und Zurück.

      Es war sein Hals.

      Er hatte einen enorm langen Hals.

      Nicht giraffenartig. Irgendwie anders. Sie überlegte, an wen oder was er sie erinnerte. Irgendetwas nicht Alltägliches war es. Sie kam nur nicht darauf, was.

      Steve nahm sich eine Pommes, die inzwischen sicher kalt war, mit den Fingern von seinem Teller. Als hätte er sich über sein eigenes Tun erschrocken,