Frikadellen für Marrakesch. Hanna Jakobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Jakobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752941326
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reichte. Er war der Mieseste gewesen, hatte sich erst als Letzter getraut, als die beiden anderen ihm das Feld überlassen hatten. Und dann hatte er es mit perverser Macht genossen, sie zu schänden. Panik kroch ihr den Rücken hinauf, war dabei, ihr Gehirn in die Hand zu nehmen.

      »Ich bin da Susan. Geht es noch? Erzähl mir, was du siehst. Wer ist bei dir?«

      Susan war zu beschäftigt mit Schauen, um mit Eva zu sprechen. Sie hatte Angst. Sie können mich nicht sehen, redete sie sich zu. Etwas stupste an ihrer Hand. Susan wusste, wer zu ihr gekommen war.

      »Hasan! Mein lieber Hasan!«

      »Hasan ist bei dir? Klasse! Grüß ihn von mir bitte!«

      Susan nickte und kraulte dem schillernden Drachen zwischen den Nüstern. Er blies ein bisschen warmen Dampf aus seinen Nasenlöchern. Liebevoll sah er sie mit seinen Hundeaugen an, tippelte kurz auf der Stelle, bis er Susan seine Flanke zudrehte, damit sie die schützende Wärme spüren konnte. Sanft zog sie einen seiner Flügel über sich, der selbst in dem regnerischen Halbdunkel der Szene wie ein silberner Regenbogen schillerte. Augenblicklich atmete sie leichter.

      »Sie sehen dich nicht,« erinnerte sie Eva, »aber, sie können dich durchaus hören.«

      Susan lugte skeptisch hinter Hasans Flügel hervor.

      »Möchtest du einen oder mehrere etwas fragen? Möchtest du etwas sagen oder mit ihnen sprechen?«

      Fragen? Schänden wollte sie sie! Mit dem Messer Muster in die Unterarme schneiden, wie sie es bei ihr versucht hatten. Die Säcke aufschlitzen und sie schreien hören. Tausend ihrer Schreie für jeden von ihren.

      »Ich will endlich wissen warum.«

      »Dann frag sie.«

      Warum das – wollte sie sie fragen.

      Warum musste das sein?

      Warum habt Ihr es getan?

      Warum ich?

      Ihr habt doch jede Menge Frauen, die für euch anschaffen. Nehmt eine davon. Auf denen könnt ihr euch so lange abreagieren, wie ihr wollt. Die sind schon tot. Innerlich. Ich habe Euch nichts getan. Ich kenne Euch nicht einmal. Lasst mich und mein Leben in Ruhe!

      »Susan, bitte sprich mit mir! Das ist wichtig. Was erlebst du gerade?« Susan atmete, bis sie genug Luft zum Sprechen hatte. Sie hatte den Atem angehalten.

      »Ich steh’ vor ihnen. Ich möchte sie alle kaputt machen! Die sollen auch ihren Frieden verlieren! Kaputt machen, will ich sie!«

      »Was hindert dich daran?«

      »Ich weiß nicht.«

      »Dann lass uns etwas unternehmen. Hast du eine Idee? Was könntest du tun?«

      »Sie schänden. Zuschlagen. Zustechen.«

      Dann wären sie kaputt und nicht mehr so stark – dachte sie. Dann wäre sie die Stärkere. Dann wäre die Angst vorbei! Dann wäre sie endlich frei!

      »Gut. Wenn du das möchtest.«

      Ihr Rücken klebte klatschnass an der Lehne des Ledersessels. Ihre Arme und Oberschenkel schmerzten. Sie krampfte mit ihren Händen.

      »Aber erst entspannst du dich wieder Susan. Atme ganz ruhig und lass dir Zeit. Ich bin bei dir und Hasan auch.«

      Susan streichelte das seidene Fell des Drachen. Sein Schnurren beruhigte sie. Er schlang seinen langen Hals zärtlich um ihren Oberkörper.

      Ihre Hände lagen wieder gelöster in ihrem Schoss.

      »Möchtest du weiter machen oder soll ich dich zurückbringen?«

      Nein, sie war gerade so schön in Fahrt. Heute würde sie es ihnen zeigen. Sie reckte ein paar Finger in die Höhe.

      »Dann schau noch einmal ganz genau auf die Männer. Siehst du sie?« Susan nickte.

      »Erkennst du, wie aus ihren Händen, den Knien und aus der Mitte ihres Kopfes Fäden wachsen?«

      Sie trat einen weiteren, winzigen Schritt auf die Männer zu, beugte sich etwas nach vorne, um besser sehen zu können.

      Ja, sie bemerkte es: Da kamen wirklich Fäden, dünne Leinen, überall aus ihnen heraus.

      »Und spürst du wie du größer wirst? Stück um Stück, immer größer. Du reckst dich so hoch, wie du es brauchst.«

      Wirklich – Susan schien in die Höhe zu wachsen. Bald konnte sie über die Köpfe der Männer blicken. Sekunden später stand sie weit über allem. Die Männer reichten ihr kaum mehr bis an die Knie. Hasan, neben ihr, war nicht größer als ein Schäferhund.

      »Nimm jetzt die Fäden auf. Du kannst sie alle drei zusammenknoten, wenn du willst, oder an ein Kreuz hängen. Ganz wie du möchtest. Du bist jetzt ihr Herr – sie sind Deine Marionetten. Also, lass sie tanzen!«

      Im Geiste griff Susan als Erstes nach den Fäden des Mittleren. Sie verknüpfte den Kopffaden des Anführers mit denen aus seinen Beinen, schlüpfte mit der Hand in die Schlaufe und ließ ihn marschieren, indem sie abwechselnd an einem der Beinfäden zog. Links – rechts – links – rechts, ab in den Dreck, ein paar Meter über den Boden heben, dann fallen lassen. Der Typ klappte, seiner Stabilität beraubt, steif vornüber und blieb in einer übel stinkenden Pfütze liegen.

      Jetzt nahm sie den Größten der Drei, den mit den verwaschenen Hosen, schlang seine Fäden zu einem Knoten und schwang ihn wie ein Lasso um ihren Kopf. Mit einem Mal ließ sie los und die Zentrifugalkraft katapultierte ihn weiter. Wie ein dicker Pfeil flog er bis in die Stadt hinein, wo er zwischen den Häusern hart auf den Asphalt einer Straße krachte.

      Zufrieden schnaufend wandte sich Susan dem Letzten zu. Der miese mickrige Mitläufer. Der, der ihr am schlimmsten weh getan hatte. Jetzt sahen seine fiesen Knopfaugen gar nicht mehr so überlegen aus. Er hätte am liebsten gebetet, die Hände flehend vor ihr gefaltet, sie angebettelt, ihn zu verschonen. Kam ihr bekannt vor. Blöd nur, dass er keine Gewalt mehr über seine Hände hatte, keine Gewalt mehr über seinen restlichen Körper. Und schon gar keine Gewalt mehr über sie.

      Mit spitzen Fingern nestelte sie seine beiden Fußfäden zu einer hübschen Schleife und hängte ihn kopfüber an den Stahlträger einer Lagerhalle. Zufrieden wischte sie sich ihre Hände an der Hose ab.

      Hier war sie fertig.

      Eva hatte sie aufmerksam beobachtet. Susans Gesicht entspannte sich nun merklich. Sie atmete ruhig. Eva wusste, dass Susan auch längere Sequenzen gerne ohne ihre Unterbrechungen imaginierte. Sie war inzwischen stabil genug, dass Eva das zulassen konnte. Ihr Körper verriet ihr, wann sie eingreifen musste.

      Eva war zufrieden. Das war wieder ein riesen Fortschritt.

      Mit kaum hörbarer Stimme rief sie sich Susan nun doch wieder ins Gedächtnis:

      »Wenn du zufrieden bist mit dem was geschehen ist, dann gib mir bitte Bescheid.«

      Susan hob die Finger ihrer rechten Hand. So hatten sie es vereinbart. Falls sie in einem Moment nicht in der Lage war zu sprechen oder es nicht wollte.

      »Das ist gut. Möchtest du noch etwas anderes tun?«

      Susan drehte ihren Kopf ein wenig von einer Seite zur anderen.

      »Alles klar. Dann verabschiede dich bitte von der Szene. Heiße sie in deinem Leben willkommen. Gib ihr den notwendigen Raum. Wenn du zufrieden bist, was du erschaffen hast, dann gib mir bitte nochmal ein Zeichen.«

      Susan sah sich um. Der Sunnyboy lag, gar nicht mehr so schick, in einer Pfütze und wimmerte vor sich hin. Hoch über ihm zappelte der Zwerg an seinen Fäden, traute sich nicht, in Hörweite seines Anführers, zu heulen.

      Den Dicken sah sie nirgends mehr.

      Ja, so konnte man das sein lassen.

      In ihrer Imagination klatschte sie Hasan zufrieden mit einem High five ab und küsste ihren Beschützer auf die seidige Nase. Der Drache blies dem Schicken noch