Frikadellen für Marrakesch. Hanna Jakobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Jakobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752941326
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jetzt fiel es Susan ein: Gottesanbeterin!

      Er hatte etwas von einer Gottesanbeterin.

      Nicht nur sein langer Hals, auch wie er die Hand nach vorne klappte. Das erinnerte sie an das Insekt.

      Was sagte man denen gleich nochmal nach?

      Dass sie die Männchen nach dem Sex auffraßen. Oder war es während? Sie wusste es nicht mehr genau.

      Aber Steve war ja ein Kerl, kein herausragend männlicher, aber immerhin eindeutig ein Kerl. Taten männliche Gottesanbeterinnen, also Gottesanbeter auch was Besonderes oder hatten sie beim Liebesakt einfach das Nachsehen? Vielleicht sollte sie einmal eine Kolumne darüber schreiben: Männliche Gottesanbeterinnen und ihr Arschkarten-Sexfinale!

      Susan verdrehte innerlich die Augen über sich selbst. Welche Gedanken kamen ihr an dem Abend denn noch? Es war eindeutig an der Zeit, dass sie in ein geregeltes Sozialleben zurückfand. Was hatte er gesagt? Irgendwelche Leute in seiner Arbeit.

      »Was arbeitest du denn, wenn dich Leute nerven? Bei Sigi? Auch so ein Kellerbüro-Nerd oder bist du einer von den Normalsterblichen?«

      Steve lächelte. War es das erste Mal, dass er das tat? Sie erinnerte sich nicht. Dabei sah er nett aus, wenn er es machte. Das mit dem Lächeln.

      »Nein, nein, ich bin keiner von den Tastenheinis. Ich habe Sigi bei meinem Job kennen gelernt, das stimmt. Aber im Restaurant. Ich bin in der Gastronomie.«

      Ach so, das erklärte natürlich, warum er keine große Lust hatte, in der Freizeit auch noch an so einer Location herum zu hängen. Der Abend war dann wohl eher eine Ausnahme. Er lächelte noch immer. Gepflegte Zähne.

      »Und was machts Du dann, wenn du frei hast?«

      Oh Gott, war sie aufdringlich. Sie fragte ihn schon wieder etwas. Vielleicht wollte er sich nicht unterhalten, wenn ihm Menschen in seiner Freizeit lästig waren. Das hatte er eben ja deutlich gesagt.

      Das nervige Prickeln in ihrem Nacken nahm wieder zu. Ihr Hals schmerzte. Trotzdem nicht das Gespräch ins Stocken geraten lassen! Egal wie. Atmen! Susan, du musst atmen! Ein – aus. Immer weiter.

      Sie spürte, wie sie sich entspannte. Ihr Unterbewusstsein signalisierte, dass von Steve keine Gefahr aus gehen würde. Oder doch? Die Ratio stritt noch mit ihrem Bauch darüber. Für’s erste also Atmen! Ein – aus.

      »Ach, ich bin zum Beispiel gern im Majorelle, von Laurent, kennst Du die Anlage? Ich liebe das Ambiente dort. Ich hab’ eine Jahreskarte.«

      Susan nickte. Ja, den Garten mit den wunderbaren blauen Kacheln, den Brunnen und anderen Wasserflächen mochte sie auch. An die zwanzig Mal war sie sicher schon dort gewesen.

      »Oder ins Ourika Tal, aber dann ganz früh. Wenn noch keine Touris dort sind. Da fahre ich auch gerne hin. Oder Wandern im Atlas und sowas. Ich hab’ ein Quad, da komm ich hin, wo sonst niemand ist. Sowas mach’ ich eigentlich eher, als in Clubs gehen. Lieber was mit Stille ...«

      Er war also doch auf Kommunikation eingestellt. Und er lächelte wieder. Der DJ hatte die Regler auf Anschlag hochgedreht. »Hyper Hyper« brüllte Scooter durch den Raum. Susan guckte schief. Das war wieder nicht ihr Musikstil.

      Stille. Lieber mehr Stille, hatte Steve gesagt. Da war sie mit ihm. Die Stille vermisste sie. Vor allem die in ihrem Kopf, ihrem Inneren. Eine Weile Ruhe, nicht mehr nachdenken müssen. Sich nicht erinnern müssen. Aber das war selten drin für sie.

      Eva hatte ihr geholfen. Es lief schon entschieden besser als noch vor Monaten. Jetzt war es für sie in Ordnung, sich mit dem fremden Insekt Steve zu unterhalten. Ihr Magen krampfte sich zwar immer wieder zusammen und sie spielte nervös mit ihrer Gabel. Aber sie blieb sitzen und hatte die Panikattacke überwunden.

      Brigid schwebte mit einem breiten Glas in der Hand zu ihnen herüber. Granatapfelsaft schwappte blutrot in dem Becher hin und her.

      Als Brigid den ernsten Blick ihrer Freundin sah, streckte sie den Kopf zu ihr: »Alles ok? Soll ich eine Weile bei Dir bleiben?«

      »Nö, nö, alles gut.« Susan smilte tapfer gegen ihre schwarzen Gedanken an, die in dem Moment die Synapsen entlangliefen und einen miesen, eiskalten Fleck im Frontallappen erzeugen wollten. Sie kannte diesen Zustand und bräuchte Ruhe – kein Hyper Hyper.

      »Alles gut. Geh’ ruhig tanzen!« Susan hatte jetzt keine Nerven auf Erklärungen oder Brigids Getüttel.

      Brigid stellte das Glas auf den Tisch, zuckte ergeben mit den Schultern und rammte beim Umdrehen in Sigi hinein, der sich endlich von dem Bekannten losreißen hatte können.

      Die Nacht war jung, die beiden auch, die Tanzfläche schrie nach ihnen.

      »Und du? Was machst du so?«

      Huch, die Single-Gottesanbeterin hatte sie bei dem Anblick der roten Flüssigkeit fast vergessen.

      »Ja, hm – Natur finde ich auch nicht schlecht. Wenn’s nicht zu anstrengend ist. Also nicht Wandern oder so.«

      Sofort kam sie sich furchtbar plump und unsportlich vor. Stevens Frage war ja schon nicht der Bringer gewesen, aber ihre Antwort? Super, die wortgewandte Autorin versagte im Smalltalk! Der Typ musste ja sonst was von ihr denken ...

      »Ach, mit einem Quad geht’s eigentlich. Das macht ja die meiste Arbeit.« Als er das Fahrzeug erneut erwähnte, leuchteten seine Augen. Das Ding musste ihm viel bedeuten.

      Eine Weile sahen sie schweigend den Tänzern zu. Susan versuchte, einen Manhattan bei ihrer motivationsgebeutelten Bedienung zu ordern. Vielleicht fühlte sie sich mit etwas Alkohol im Kopf besser. Sie hoffte, dass der Sprit diese Stelle in ihrem Hirn lösen würde, die ihr so zu schaffen machte.

      »Wir können ja mal eine Tour machen – also mit dem Quad meine ich.«

      Steve sog irgendeinen fruchtigen Drink durch seinen Trinkhalm und sah sie dabei von unten herauf an.

      Ein unterwürfiger Gottesanbeter.

      Sie atmete tief ein und aus. Eben hatte sie angefangen, sich sicherer zu fühlen, und jetzt fragte er das: Eine Tour.

      Sie, mit einem Fremden unterwegs?

      Mit einem Quad in den Bergen.

      Im Grunde reizte sie der Gedanke. Aber alleine nur mit einem Fremden? Ob sie fragen sollte, ob Brigid und ihr Freund Holger mitkommen konnten? Oder alle! War das blöd? Oder unhöflich? Und war sie überhaupt schon bereit, so ein Risiko einzugehen?

      Besser sie sagte einfach nein. Ganz nebenbei. Mit irgendeiner Ausrede. Irgendwas von keiner Zeit, oder Besuch aus Deutschland, kranke Katze, Redaktionsschluss. Was Unverfängliches.

      Herrschaft! Wenn sie nicht so eingerostet wäre.

      Umständlich kratzte sie die letzten Reste Couscous und die geniale Soße vom Teller. Sie überwand den Impuls, ihn auch noch abzulecken. Für dieses Essen hatte sich die Überwindung, auszugehen, wirklich gelohnt.

      »Wann hast du denn mal Zeit? Ich kenne ein paar super Plätze im Hohen Atlas.«

      Autsch! Durch bloßes Nichtantworten konnte man ihn also nicht abwimmeln. Susan dachte angestrengt nach, zwang sich währenddessen zu einem unbefangenen Lächeln. Es fiel verkrampfter aus als geplant.

      Vielleicht war es ja wirklich gar keine so schlechte Idee. Ein bisschen frische Luft und Tapetenwechsel täten ihr gut. Vielleicht fand sie Steve auch gar nicht so bedrohlich, wie ihre Ratio ihr hartnäckig eintrichtern wollte. Eigentlich sah er ganz nett aus.

      »Ja, klar. Wir finden sicher einen Tag.«, hörte sie sich sagen. (Einen ganzen Tag? Tickte sie nicht mehr richtig?), »Vielleicht wollen die anderen auch mit. Kann ich die Strecke auswählen? Ich hab’ einen super Führer mit solchen Touren. Ich muss nämlich aufpassen. Mir wird leicht übel auf dem Quad.«

      Wo nahm sie diesen Stuss nur plötzlich her? Übel auf einem Quad! Ging es lahmer? Das war doch komplett bescheuert. Einen Atlas-Quadtourenreiseführer gab es in ihrem Bücherregal natürlich auch nicht. Aber das Internet würde ihr sicher helfen