Frikadellen für Marrakesch. Hanna Jakobi. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hanna Jakobi
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752941326
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der Rauch aus den Kohlefeuern der Straßenstände störten hier die Sicht auf die Sterne.

      Susan folgte Brigids Blick nach oben.

      Es war eine außergewöhnliche Nacht. Vielleicht empfand sie das so, weil sie trotz ihrer klammernden Angst stolz auf sich war. Sie hatte sich aus ihrem Riad getraut. Nach Sonnenuntergang.

      Die Sterne blinkten und der Wind rauschte in den Blättern der ungepflegten Palmengruppe am Straßenrand. Es klang, als raunten sie ihr Glückwünsche für ihren Mut zu.

      Solche Nächte drängten einen regelrecht, zu erkennen, wie klein, wie unbedeutend, man war. Als Mensch mit seinen ganzen Menschenproblemen – mitten in diesem unendlichen Universum. In solchen Nächten war kein Platz zum Hadern. In solchen Nächten wurden Helden gezeugt.

      Susan lächelte Brigid zu und legte ihren Kopf an ihre Schulter. Sie war dankbar, dass ihre Freundin so starrköpfig auf ihr Mitkommen beharrt hatte.

      Während sie den Eingang des Clubs ansteuerten, hielt sich auch Ralf dicht an ihrer Seite. Bei jedem Schritt stießen ihre Arme ein wenig aneinander. Ralf spielte den edlen Ritter. Ganz unauffällig. Aber er spielte es mies. Sie konnte sich vorstellen, worum sich die Gespräche drehten, wenn sie nicht dabei war. Was in den letzten Wochen die Regel war.

      Der Türsteher schaute wie immer äußerst grimmig. Reagieren würde er deutlich gemäßigter, hätte jemand Stress gemacht. Sie ließ er wortlos ein. Man kannte sich. Sie waren nicht zum ersten Mal hier. Ein freundliches Lächeln hatte sein Diensteifer aber auch für sie nicht.

      Die Freunde hielten auf ihren Stammplatz an der kurzen Seite der Tanzfläche zu. Niemand wäre auf die Idee gekommen, in eine andere Richtung zu laufen. Die Clique saß immer dort.

      Sigi kannte im Fishavi Gott und die Welt und brauchte eine Weile, bis er sich durch alle Hände geschüttelt und alle Rücken geklopft hatte. Ralf ging unterdessen mit den beiden Frauen zu ihrem Platz.

      Ein befreundetes Pärchen und ein einzelner Kerl saßen in ihrer Nische. Susan kannte das Pärchen flüchtig. Den Mann hatte sie vorher noch nicht gesehen. Brigid umarmte und küsste in sämtliche Richtungen. Ralf gab brav die Hand. Susan nickte den dreien zu, verzog sich lieber auf die Bank hinter dem langen Holztisch. Sie hielt den üblichen Anstandsabstand, den man zu denen, die man nicht näher kannte, hielt. In diesem Fall war der Unbekannte der Singlekerl. Das nahm sie jedenfalls an. Er saß ohne Begleitung am Tisch.

      Von ihrem Platz aus hatte sie die komplette Tanzfläche im Blick. Die Kissen auf der Bank, die lieber gleich ein Sofa geworden wäre, waren enorm und hatten – zu Susans Freude entgegen dem sonstigen Einrichtungstrend des Clubs – Troddeln an jeder Ecke. Man versank so schön darin.

      Sigi hatte ausreichend Hände geschüttelt, kam zu ihnen herüber und packte Brigid an den Hüften. Er schleppte sie auf die Tanzfläche, ohne sich auch nur ein einziges Mal hingesetzt zu haben.

      Dem DJ war nach Techno.

      Pang – Pang – Pang.

      Erstmal alle Herzen in Gleichklang schalten.

      Pang – Pang – Pang.

      Hoffentlich dauerte sein Anfall nicht lange, dachte Susan. Ihr Fall war dieser Musikstil ja nicht. Dafür war sie zu alt. Der Bass (mehr war es im Grunde ja nicht) erinnerte sie an das Trommeln afrikanischer Eingeborener auf einem dieser mystischen Dorffeste. Stampfende Baströckchen mit sonst nix ums Lagerfeuer herum. Klischee? Vielleicht. Live hatte sie einen original Afrodance nie erlebt.

      Pang – Pang – Pang.

      Schwoof – taa ta ta – taa ta ta

      Ein geschickterer Übergang wäre denkbar gewesen.

      Versöhnlichere Klänge für ihre Ohren.

      Discofox.

      ABBA – Dancing Queen.

      Brigid und Sigi waren in ihrem Element.

      Eins – zwei – tapp.

      Und nochmal: Eins – zwei – tapp

      Überall: Eins – zwei – tapp.

      Schwedischer Pop unterm marokkanischen Sternenzelt.

      »Susan – willst du?«

      Ralf hielt ihr seine Hand hin.

      Upps, sie hatte ihn bei dem ganzen Pang-Pang zuvor glatt vergessen. Er stand neben dem Tisch, hatte sich nicht gesetzt.

      »Ach nö, lass mal, ich möchte erst was essen. Später? Ok?!?«

      Ihr war klar, dass sie Ralf damit den Abend ein bisschen vermieste, hatte momentan aber keine Lust auf eins – zwei – tapp. Sie machte es sich zwischen den Kissen bequem. Gedankenverloren zog sie die bunten Quasten durch ihre Finger.

      Ihr Kellner kam an den Tisch und stellte vor den Single- Mann einen Teller mit Pommes und etwas, das aussah wie der Versuch eines Schnitzels auf Deutschniveau. Susan starrte amüsiert auf den grandiosen Fleischfetzen.

      Im Fishavi gab es ja fast alles. ›Alles‹ im Bezug auf die kulinarische Ausrichtung (und da gehörte für Abdul eigentümlicher Weise ›deutsches Schnitzel‹ ohne jegliche Kompromisse dazu), ›fast‹ im Bezug auf Schweinefleisch. Wienerschnitzel aus Kalb? Ja! Schwabenschnitzel aus Schwein? Nein! Da hörte selbst für ihn der Spaß auf. Couscous, Curry, Sushi, ein gediegenes Wasserpfeifchen, durchaus auch fragwürdigeren Inhalts, seinetwegen das ein oder andere leichte Mädel – sie und ihr Eigenmarketing wurden geduldet, solange der Umsatz stimmte. Auch mit Alkohol hatte der überzeugte Moslem kein Problem. Er musste ihn ja nicht selber trinken. Was wer im Fishavi tat oder zu sich nahm – Abdul hielt sich raus. Nur Schwein kam ihm nicht rein. Currywurst und Schweinshaxe fehlten auf seiner Karte. Und Kalb kannte er nicht. Die Turboscheibe Fleisch, die (ganz deutsch) links und rechts über den Teller hing, bestand aus Kuh, einer sichtbar betagten.

      Susan bestellte Mangolassi und Gemüsecouscous. Für die scharfe Soße, die sie über die Nudelkrümel schütteten, hätte sie sterben können. Je nachdem, wer Dienst in der Küche schob, lag das durchaus im Bereich des Möglichen.

      Über der Tanzfläche spie jetzt eine gewaltige Spiegelkugel passend zum ABBA-Song ihre tausend künstlichen Sterne an die Wände des Clubs. Susan blinzelte ins Lichtergewirr.

      Weit, weit darüber funkelten ihre echten Brüder – durch das Blitzer-Glitzer der Lichtshow unseligerweise im Moment nicht auszumachen.

      Das Fishavi konnte das komplette Dach einziehen, irgendwohin wegrollen, dass man in ihm im Grunde in einer ausladenden Freiluftanlage mit Indoor-Mobiliar saß. Der Nachtwind strich dann darüber und wirbelte einem ab ausreichend Beauforts die eigenen Gedanken und Sehnsüchte durcheinander. Das war der Hauptgrund, warum sie alle soweit aus der Stadt heraus hierher kamen.

      Susan legte den Kopf auf die Sofabanklehne und versuchte, die Sterne hinter den Glitzerlichtern zu erkennen. Der Himmel war heute klar wie das frisch gefrorene Eis eines Bergsees.

      Jetzt war sie hier, fast im Freien und das bei Nacht. Durch die Menschen um sie herum abgeschirmt, begann sie zu entspannen und den Abend zu genießen. Sie hoffte, dass das Dach heute geöffnet bliebe.

      Manchmal drohte ein Sandsturm (was selten der Fall war) oder ein richtiger Sturm mit Gewitter und Regen (was im Grunde nie der Fall war). Dann drückte jemand auf einen Knopf und Fishavis Überdachung schwebte wie ein fliegender Teppich binnen Minuten zurück an seinen Platz. Darunter verwandelte sich die Luft aber schnell in einen kaum atembaren Mief, dass man an solchen Abend besser die Location wechselte. In dieser Nacht war damit nicht zu rechnen.

      Sie war hier.

      Susan wippte und summte aus ihrem Kissenberg heraus zur Musik mit. Die Stücke der schwedischen Band, die der DJ jetzt rauf und runter jubelte, hatte man im Kopf. Da sang das Hirn ohne Zutun, ob man wollte oder nicht.

      Der Singlemann neben ihr säbelte immer hektischer an seinem Fleischfransen. Es bedurfte handwerkliches Geschick für dieses Gericht. Das Fleisch war genauso zäh, wie es aussah. Auf jedem, dem kleinsten Bissen, den er dem Teil