Herz, Schmerz und Gänsehaut. Dieter Adam. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Adam
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741816932
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sich so sehr darauf freute, die Frau kennen zu lernen, die vielleicht - und dieses Vielleicht betonte Hans immer wieder - seine neue Mami werden würde.

       Als es am Heiligabend zu dunkeln begann und Andreas vor lauter Aufregung kaum noch zu halten war, kam sie, die graue Maus. Hans musste zweimal hinschauen, nachdem er ihr auf ihr Klingeln hin die Tür geöffnet hatte, bis er erkannte, dass sie es tatsächlich war.

       Eine bildhübsche junge Frau mit langen, kastanienbraunen Haaren und einem überaus modischen Kleid stand vor ihm, hielt ein größeres und ein kleineres Paket in ihren Händen und lächelte ihn zaghaft an. Da gab es den altmodischen Knoten nicht mehr, den sie sonst als Frisur bevorzugte, auch die hässliche Brille war verschwunden, und wenn man genauer hinsah, konnte man sogar das dezente Make-up erkennen, das sie aufgelegt hatte.

       "Meine... meine Güte, Fräulein Lohwein", stammelte Hans erschüttert und konnte den Blick nicht mehr von ihr wenden. "Es... es ist unglaublich! Ich... ich finde keine Worte!"

       "Es würde mir schon genügen, wenn Sie mich in Ihre Wohnung bäten", sagte Angela. "Hier draußen ist es nämlich ziemlich kalt."

       "O, Entschuldigung", versetzte Hans. "Treten Sie bitte ein."

       Und jetzt kam auch der kleine Andreas endlich zu seinem Recht. Mit großen Augen und ein wenig skeptisch zunächst schaute er die fremde Frau an, aber als sie sich sogleich zu ihm niederbeugte und ein paar nette Worte für ihn fand, sah man seiner strahlenden Miene an, wie sehr er mit der Wahl seines Vaters einverstanden war.

       Es wurde ein sehr schöner Heiligabend. Andreas akzeptierte natürlich, dass er neben der Vielleichtmami auch noch ein paar andere Dinge geschenkt bekam. Jubelnd packte er sie aus, und von da an war der Papi vergessen. Angela setzte sich nämlich kurz entschlossen zu ihm auf den Fußboden, spielte mit einer wahren Engelsgeduld mit ihm und eroberte sein kleines Herz im Sturm.

       Hans beobachtete die beiden nachdenklich, wunderte sich immer mehr über die graue Maus, deren Wangen sich gerötet hatten und die sich freuen konnte, als wäre sie selbst noch ein Kind, und ertappte sich immer öfter bei dem Wunsch, dieser Tag möge nie vergehen.

       Später brachten er und Angela den Kleinen gemeinsam ins Bett - darauf hatte Andreas unbedingt bestanden -, und als der Junge die Hände faltete und zum Lieben Gott betete, Er möge es einrichten, dass Angela seine neue Mami werden würde, wusste Hans nicht, wohin er vor lauter Verlegenheit blicken sollte.

       "Damit wäre meine Aufgabe dann ja erfüllt", sagte die junge Frau, nachdem sie das Kinderzimmer verlassen hatten. "Tut mir leid, dass der Abend wohl nicht ganz nach Ihren Vorstellungen verlaufen ist, aber ich konnte es mir einfach nicht antun, die böse Hexe zu spielen. Dazu mag ich Kinder viel zu gern."

       Sie begann zu weinen, riss ihren Mantel vom Garderobenhaken und schlüpfte hastig hinein. Als sie zur Tür eilen wollte, hielt Hans sie zurück.

       "Was haben Sie vor?", fragte er bestürzt.

       "Ich will nach Hause", schluchzte Angela, "um mich wieder in die graue Maus zu verwandeln, damit ich nicht noch mehr Unheil anrichte."

       "Aber Sie haben doch kein Unheil angerichtet", widersprach Hans.

       "O doch", sagte Angela. "Ich habe vermutlich Hoffnungen in Ihrem Sohn erweckt, die sich nie erfüllen werden."

       "Und warum nicht?"

       "Weil... weil....!" Angela wandte den Kopf zur Seite und flüsterte: "Weil ich nie mehr etwas mit einem Mann zu tun haben möchte."

       "Deshalb also Ihre Maskerade als graue Maus?"

       "Ja, deshalb", wisperte Angela. "Ich wollte mir nach der größten Enttäuschung meines Lebens nicht noch einmal die Finger ver-brennen. Darf ich jetzt gehen?"

       "Bitte nicht!", sagte Hans leise. "Es war so schön mit Ihnen; der schönste Tag seit dem Tod meiner Frau. Lassen Sie uns noch ein Fläschchen Wein miteinander trinken und plaudern. Vielleicht tut es uns beiden gut, uns einmal aussprechen zu können."

       Angela ließ sich überreden und blieb. Der Wein lockerte ihre Zungen, und so erfuhr Hans, dass ihre ganz große Liebe ein Heiratsschwindler gewesen war, der ihr alles abgeknöpft hatte, was sie besaß und dann auf Nimmerwiedersehen verschwand; und er erzählte ihr, warum er niemals wieder hatte heiraten wollen.

       "Ich wollte einer Toten die Treue halten", sagte er abschließend, "und musste heute Abend erkennen, wie unsinnig das war. Ein Kind ohne Mutterliebe aufziehen zu wollen, ist fast schon unver-antwortlich. Es braucht sie wie das tägliche Brot. Aber auch der Vater sehnt sich nach ein bisschen Liebe. Nicht umsonst steht in der Bibel: 'Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei` - oder so ähnlich. Mir ist das heute Abend mehr als klar geworden; dank Ihnen, Fräulein Lohwein."

       "Das sagen Sie doch nur aus einer sentimentalen Weihnachtsstimmung heraus", murmelte Angela ungläubig und wagte nicht, ihm in die Augen zu sehen. "Bis morgen haben Sie das längst wieder vergessen."

       "Nie, Angela", sagte er und griff über den Tisch hinweg nach ihren Händen. "Ich habe zwar einen Kinderschreck gesucht, aber sehr wahrscheinlich eine neue Frau fürs Leben gefunden."

       Und als sie am nächsten Morgen gemeinsam frühstückten, war nicht nur der kleine Andreas der glücklichste Mensch dieser Erde.

       DER BANKÜBERFALL

       heiterer Kurzkrimi

       Wenn Claus und Irena Zansinger das Geld besessen hätten, das sie nicht besaßen, wären sie reiche Leute gewesen. Ein Berg Schulden hatte sich im Laufe der Jahre vor ihnen aufgetürmt. Da hatte es auch nichts genützt, dass sie, wenn ihnen die eine Bank nichts mehr gab, zur nächsten gegangen waren. Unter dem Strich hatten sich die Salden sämtlicher Konten letztlich zu einer gewaltigen Summe addiert. Und die dusseligen Banken bestanden dummerweise darauf, dass diese Schulden auch irgendwann zurückzuzahlen waren. Fragte sich nur, von was.

       Nun gehörten Claus und Irena zwar zu den so genannten Besserverdienenden, da ihre Ansprüche aber schon immer größer als ihre Einnahmen gewesen waren, nützte ihnen das am Ende gar nichts. Der Pleitegeier kreiste mit grimmige Miene über ihrem schicken Bungalow, den sie ebenfalls auf Pump gebaut und aufs Feinste ausgestattet hatten, und wartete nur darauf, ihr Leben mit seinen gierigen und unnachsichtigen Krallen zu zerfleddern.

       "Wir sind am Ende", sagte Claus eines Tages, nachdem der Gerichtsvollzieher wieder einmal unverrichteter Dinge gegangen war, zu seiner Frau. "Wenn uns nichts einfällt, wird unser Haus in vier Wochen versteigert. Dann sitzen wir auf der Straße, und alles andere, das uns lieb und wert geworden ist, ist ebenfalls verloren. Wir hätten etwas sorgsamer mit unserem Geld umgehen müssen."

       Den ganzen Abend über beratschlagten sie, wie sie ihr Hab und Gut und damit auch ihr aufwendiges Leben retten konnten, und kamen schließlich zu der Erkenntnis, dass es dafür eigentlich nur eine einzige Möglichkeit gab:

       Wenn die Banken ihnen freiwillig nichts mehr zugestehen wollten, mussten sie diese zwingen, etwas herauszurücken. Und diese Zwangsmaßnahmen bedeuteten, dass sie einen Banküberfall riskieren mussten.

       "Die hiesige Zweigstelle der Privatbank & Co. eignet sich dazu meiner Meinung nach am besten", sagte Claus, nachdem sie sich geeinigt hatten, dass ein Banküberfall zur unbedingten Notwendigkeit geworden war. "Wir sind seit Jahren dort Kunden und kennen die Räumlichkeiten und Verhältnisse dadurch wie unsere eigene Westentasche. Außerdem ist es die Bank, die uns momen-tan die größten Schwierigkeiten macht. Es wäre mir eine Genugtuung, mich an ihr zu rächen und sie um einen ordentlichen Batzen zu erleichtern."

       Irena war naiv genug, mit allem, was ihr Gatte vorschlug, einverstanden zu sein. Er war schon immer der Denker und Lenker ihrer kleinen Familie gewesen, hatte stets einen Ausweg aus ihren diversen Dilemmas gefunden, und so vertraute sie ihm auch diesmal vorbehaltlos. Er würde die Sache schon schaukeln, da war sie ganz sicher, und sie würde ihn nach besten Kräften dabei unterstützen.

       Der Plan, den Claus austüftelte, war einfach und entsprach dem, mit dem tausend andere Halunken schon versucht hatten, eine Bank