Herz, Schmerz und Gänsehaut. Dieter Adam. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dieter Adam
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783741816932
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in die bewusste Zweigstelle ein-dringen, und während Claus die Angestellten und Kunden mit einer Pistole bedrohte, sollte Irena bei dem Kassierer eine größere Abhebung vornehmen. Für ihre Flucht würde draußen dann ein gestohlener Wagen mit laufendem Motor bereitstehen.

       "Ist dir auch alles klar?", fragte Claus seine Frau noch einmal eindringlich, bevor sie den Überfall vornahmen.

       "Hundertprozentig", beteuerte Irena. "Schließlich haben wir das Ganze seit acht Tagen mehrmals gründlich geübt. Es kann überhaupt nichts schiefgehen."

       "Wollen wir's hoffen", seufzte Claus. "Dann mal los, Kleines."

       Das Fluchtauto hatte Claus bereits am Abend zuvor organisiert. Es hatte keinerlei Probleme bereitet, da es immer genügend Mitmenschen gab, die ihren Wagen irgendwo unverschlossen parkten. Dieser brave Mitmensch hatte freundlicherweise sogar seinen Schlüssel stecken lassen.

       Claus und Irena fuhren also zum Ort des Geschehens, zogen dort schwarze Kapuzen mit Sehschlitzen über ihre Köpfe und stürmten in die Bank. Das Auto blieb mit laufendem Motor vor der Bank stehen.

       "Das ist ein Überfall!", plärrte Claus mit sich vor Nervosität überschlagender Stimme. "Los, los, los! Alle die Hände über den Kopf! Und keine falsche Bewegung, sonst knallt's!"

       Die zu Tode erschrockenen Angestellten und Kunden folgten der unmissverständlichen Aufforderung des Neugangsters ohne Widerrede, und während sie brav ihre Arme in die Luft streckten, begab Irena sich zu dem hinter Panzerglas sitzenden Kassierer, überreichte ihm eine Plastiktüte und bat ihn höflich, alles einzupacken, was an Bargeld vorhanden war.

       Der Kassierer, der kein Blutvergießen riskieren wollte, tat, wie ihm geheißen worden war, ersuchte Irena aber aus irgendeiner Eingebung heraus, ihm den Betrag zu quittieren, da sonst seine Kasse am Abend nicht stimmen würde.

       Und die naive Irena quittierte! ----

       "Irgend etwas muss ich falsch gemacht haben", sagte sie zu ihrem Mann, als die Bullen sie von zu Hause abholten und in der grünen Minna zum Haftrichter transportierten.

       "Ja", erwiderte Claus mit dumpfer Stimme. "Du hättest ihm den Betrag niemals quittieren dürfen."

       "Davon hast du nie ein Wort gesagt", verteidigte sich Irena. "Und er bat mich doch auch so nett darum. Ich konnte ihm seinen Wunsch einfach nicht abschlagen."

       "Natürlich nicht", brummte Claus. "Und vielleicht hätte ich es ja auch getan, wenn ich an deiner Stelle gewesen wäre. Nur hätte ich nicht auch noch unsere Kontonummer auf den Beleg geschrieben!"

       EIN WEIHNACHTSTRAUM

       besinnliche Weihnachtsgeschichte

       erstmals in einer hessischen Version in meinem Buch

       HESSISCHES ADVENTSKALENNERBUCH

       Mundartverlag Naumann, Hanau

       erschienen

      

       "Es ist wieder einmal Weihnachten, Elisabeth", sagte der alte Mann, während er mit zitternden Händen die Kerzen am kleinen Christbaum anzündete, der auf dem schneebedeckten Grabhügel stand. "Fünf Jahre muss ich dieses Fest nun schon ohne dich feiern, und es macht mir immer weniger Freude. Du fehlst mir halt, Elisabeth. An allen Ecken und Enden fehlst du mir.

       Klaus ist mit seiner Familie wieder nach Teneriffa geflogen, um die Feiertage dort zu verbringen. Ich sollte mitkommen, Elisabeth. Angeboten hat es mir unser Sohn. Vielleicht hat er's sogar ehrlich gemeint. Was weiß ich?

       Aber was soll ich alter Bock auf Teneriffa? Völlig fehl am Platz käme ich mir vor. Als fünftes Rad am Wagen würde ich mich fühlen.

       Außerdem kann ich dich ja auch nicht allein lassen; gerade an Weihnachten nicht. Wer außer mir sollte dich am Heiligen Abend besuchen? Ich denke, es war besser so, dass ich nicht mitgeflogen bin."

       Der alte Mann hatte seine Arbeit beendet. Alle Kerzen am Baum brannten und tauchten den Grabhügel in ein feierliches Licht. Irgendwo begannen Glocken zu läuten. Der alte Mann lauschte für einen Moment, nickte nachdenklich und trat zurück.

       "Früher sind wir um diese Zeit gemeinsam zur Christmette gegangen", erinnerte er sich. "Du, unser Sohn und ich. Anschließend haben wir dann beschert und unter dem Christbaum all die schönen Weihnachtslieder gesungen." Der alte Mann kicherte. "Du konntest zwar nicht schön singen, Elisabeth, aber du tatest es mit einer Inbrunst und Andacht, die rührend war und die die schiefen Töne vergessen ließ.

       Mein Gott, wie lange ist das her? Jahre? Jahrzehnte? Jahrhunderte? Geradeso kommt es mir vor.

       Klaus hat inzwischen selbst Kinder. Vierzehn und zwölf sind sie mittlerweile, der Tommy und die Katrin. Wie du in deinen Mädchenjahren sieht die Kleine aus; und der Junge ein bisschen wie ich, behaupten die Leute.

       Wahrscheinlich werden sie heute unter keinem Christbaum singen, unser Sohn, seine Frau und unsere Enkelkinder. Wer singt heutzutage noch selber? Man lässt singen; mit zweimal hundert Watt und in Stereo. Und vielleicht gibt es auf Teneriffa auch gar keinen Christbaum? Ich kenne die dortigen Bräuche nicht."

       Der alte Mann trat zu einer Bank, die in der Nähe des Grabes stand, wischte mit der Hand den Schnee herunter und ließ sich nieder.

       "Ich bleibe noch ein Weilchen bei dir", sagte er. "Was soll ich zu Hause? Vermissen tut mich eh keiner. Die Decke würde mir nur wieder auf den Kopf fallen. Sollen sie das Friedhofstor halt zuschließen. Mich stört das nicht. Ich bin auch im vergangenen Jahr über die Mauer geklettert. War zwar ganz schön anstrengend für meine steifen Knochen, aber geschafft habe ich es. Man wird halt nicht jünger, Elisabeth. Die Jahre gehen nun mal nicht spurlos an einem vorbei. Das Rad der Zeit lässt sich nicht zurückdrehen. Ich wollte, ich könnte es; ein einziges Mal nur, Elisabeth, nur ein einziges Mal."

       Es hatte wieder zu schneien begonnen. Wie Millionen kleiner Schmetterlinge tanzten die Flocken um den alten Mann herum. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt, beobachtete, wie die Kerzen am Weihnachtsbäumchen langsam herunterbrannten, und lächelte versonnen vor sich hin.

       "Komm mit", hörte er eine leise Stimme hinter sich, und er musste sich nicht umdrehen, um zu wissen, wer ihn ansprach. "Einen Wunsch darf ich dir heute erfüllen; einen einzigen nur, aber es ist dein größter. Schließe deine Augen, Kurt, und lass dich von mir in das Reich deiner Träume führen."

       Und plötzlich war ein verzaubertes Singen um ihn her und erfüllte sein Herz mit einer Woge nie gekannten Glücks. Auf einer Wolke schien er schweben, die ihn emporhob und in ein weit, weit entferntes Land trug.

       "Jetzt kannst du deine Augen wieder öffnen", sagte die Stimme. "Frohe Weihnachten, Kurt!"

       In einer Straße mit zerbombten Häusern fand er sich wieder. Der Krieg war vor einem guten halben Jahr zu Ende gegangen. Einen zerschlissenen Wehrmachtsmantel trug er, die Reste seiner Uniform und Stiefel, die ihren Namen nicht mehr verdienten. Von vorn näherte sich ein Mädchen, schaute ihn mit gefurchter Stirn an und blieb, als es ihn zu erkennen schien, stehen.

       "Kurt?", fragte sie zögernd. "Sind Sie... bist du nicht der Kurt Johannsen?"

       "Der bin ich in der Tat", erwiderte er. "Und Sie sind... du bist die Elisabeth Wegener, gelt?"

       Das Mädchen nickte. "Ja", sagte sie. "Das, was von mir übrig geblieben ist. Besonders attraktiv ist das weiß Gott nicht mehr."

       "Kommt es darauf an?", entgegnete er leise. "Die Hauptsache ist doch, dass wir überlebt haben. Irgendwie wird es schon weitergehen."

       "Diese Zuversicht habe ich auch", sagte sie. "Frohe Weihnachten übrigens."

       "Weihnachten?" Kurt sah das Mädchen verwirrt an. "Heute ist Weihnachten? Du, daran habe ich wirklich nicht gedacht. In einer Zeit wie der jetzigen vergisst man die Zeit."

       "Woher kommst du?", erkundigte sich Elisabeth. "Und wohin willst du?"