Irgendwann hatte ich keine Lust mehr, solche Geschichten zu schreiben und hörte damit auf. Es gab genügend anderes zu tun. Die veröffentlichten und unveröffentlichen Werke landeten gebündelt in der Schublade und gerieten in Vergessenheit.
Jetzt, nachdem ich wegen meiner schweren Kehlkopfoperation mangels Stimme keine Musik mehr machen kann, habe ich viel Zeit und mache mich daran, meine Wohnung vor meinem Abgang in die andere Welt auf Vordermann zu bringen. Dabei fielen mir auch wieder meine Kurzgeschichten in die Hände und ich dachte:
Eigentlich ist es schade um sie. So schlecht sind die Dinger doch gar nicht. Warum fasst du sie nicht alle in einem Buch zusammen und veröffentlicht sie?
Genau das habe ich getan. Es war eine mühselige Arbeit, denn die meisten dieser Geschichten waren damals noch mit der Schreibmaschine geschrieben und mussten mühselige Zeile für Zeile in den Computer getippt werden.
Zu beachten ist, dass es damals noch keine Handys und in den Kneipen kein Rauchverbot gab, dass die DJs noch Schallplatten auflegten, mit DMark bezahlt wurde und Schriftsteller mit einer Schreibmaschine arbeiteten. Selbst die Vornamen der damaligen jüngeren Generation waren andere. Ich habe bei Bedarf auf diese Feinheiten vor oder in den jeweiligen Texten hingewiesen.
Und nun viel Spaß beim Lesen.
DIETER ADAM
SIE PROPHEZEITE IHM GLÜCK
heitere Liebesgeschichte
erstmals erschienen in ROMANWOCHE
"Die ganze Wahrsagerei ist Humbug", behauptete Axel Wolf, ein gut aussehender, schlanker Mann Ende Zwanzig, der mit seinen Freunden am Tresen der Tennisbar hockte und seit gut einer Stunde mit ihnen über dieses umstrittene Thema diskutierte. Von Beruf war er Computerfachmann, also ein Mensch, der mit beiden Beinen auf dem Boden der Realität stand und für derlei Mätzchen nichts übrighatte. Nach einem tiefen Schluck aus seinem Pilsglas fuhr er fort:
"Kein Mensch kann in die Zukunft sehen. Die das von sich behaupten, sind Scharlatane, denen man schleunigst das Handwerk legen sollte. Mir ist unbegreiflich, dass ihr an diesen Blödsinn glaubt. Ihr seid schließlich auch nicht von gestern."
"Das sind wir weiß Gott nicht", erwiderte Britta Wegner, die Verlobte von Charly Ebenhöh, dem besten Freund Axels. "Trotzdem hat mich diese Madame Futura überzeugt. Sie wusste nicht nur Dinge aus meiner Vergangenheit, die außer mir keiner kennen konnte, sondern sagte mir unter anderem voraus, dass ich innerhalb eines halben Jahres einen goldenen Ring an meiner linken Hand tragen würde." Sie hielt Axel das Beweisstück unter die Nase. "Bitte sehr, was ist das?"
"Jetzt hör' aber auf", grinste Axel überlegen. "Wenn du das für eine Bestätigung von Madame Futuras Glaubwürdigkeit hältst, kann ich nur den Kopf schütteln." Er tat es. "Charly und du gehen seit über drei Jahren zusammen. Irgendwann stand die Verlobung ohnehin ins Haus."
"Und was ist mit meinem Unfall?", gab Charly zu bedenken. "Den hat sie schließlich auch vorausgesagt."
"Sie hat dich Auto fahren gesehen", spöttelte Axel. "Dann war diese Prophezeiung kein besonderes Kunststück. Sogar ich hätte dir weissagen können, dass es irgendwann einmal kracht bei dir. Deswegen nenne ich mich aber noch lange nicht Hellseher."
"Mir hat Madame Futura eine kleine Erbschaft prophezeit", erzählte Claudia Wissel, die mit ihrem Mann Günther ebenfalls zum Freundeskreis an der Tennisbartheke gehörte. "Was geschah? Ein Vierteljahr später starb meine Großtante Kunikunde und hinterließ mir ein Sparbuch. Es waren zwar nur einhundertzweiunddreißig Mark und achtundsiebzig Pfennig drauf, aber immerhin - Madame Futura hatte sich nicht geirrt."
"Das ist noch gar nichts gegen das, was mir widerfahren ist", trumpfte ihr Mann Günther auf. "Claudia kann es bestätigen. Madame Futura kündigte mir eine bevorstehende Erkrankung an, die nur durch eine Operation behoben werden konnte. Kaum hatte ich ihr Haus verlassen, setzten bei mir starke Blinddarmreizungen ein. Zwei Stunden später lag ich in der Klinik."
"Zufälle, nichts als Zufälle", tat Axel die Beweisführung seiner Freunde mit einer geringschätzigen Handbewegung ab. "Diese sogenannten Hellseher halten ihre Aussagen so allgemein, dass immer etwas zutreffen wird. Ich falle jedenfalls nicht auf diesen Quatsch herein."
"Vielleicht hast du ja auch bloß Angst", vermutete Britta.
"Wovor soll ich denn Angst haben?"
"Davor, dass Madame Futura dir etwas weissagt, was dir nicht behagt", entgegnete Britta.
"Da kann ich doch nur lachen!", tönte Axel.
"Dann geh zu ihr", forderte Charly seinen Freund auf. "Wir alle waren dort. Sogar ich, der ich anfangs ebenso skeptisch war wie du. Ich habe mich überzeugen lassen, dass es tatsächlich Menschen gibt, die in die Zukunft blicken können. Dir würde sie es genauso beweisen. Wetten?"
Nun war das Wetten eine der drei großen Leidenschaften Axels. Die zweite war das Tennisspielen, das er meisterhaft beherrschte, und die dritte ein gut gekühltes Pils. Für Frauen hatte er zwar auch eine gewisse Schwäche, aber eine Leidenschaft war noch nicht daraus geworden. Vermutlich lag es daran, dass ihm die Richtige noch nicht über den Weg gelaufen war.
"Um was willst du denn wetten?", ging Axel denn auch sofort auf das Spielchen seines Freundes ein. "Und wie stellst du dir das Ganze vor?"
"Ganz einfach", erwiderte Charly. "Du begibst dich zu Madame Futura und lässt dir etwas über deine nähere Zukunft erzählen. Sollte das Ereignis, das sie dir prophezeit, nicht innerhalb eines Jahres eintreten, verpflichte ich mich, die nächste Fete unseres Tennisclubs zu finanzieren. Im umgekehrten Fall bist du an der Reihe."
"Kein Problem", lachte Axel. "Diese Wette habe ich so gut wie gewonnen. Mach' inzwischen schon mal den Kies locker, Charly!"
"Abwarten", sagte dieser. "Natürlich verlange ich absolute Ehrlichkeit von dir."
"Das hättest du nicht betonen müssen", entgegnete Axel. "Und nun gebt mir mal die Adresse dieser seltsamen Madame."
*
Madame Futura lebte in einem alten Haus am Rande der Stadt, das von einem wild wuchernden Garten umgeben war. Die Beschäftigung mit der Zukunft schien der Wahrsagerin keine Zeit zum Unkraut jäten zu lassen.
Axel parkte seinen Wagen am Straßenrand, stieg aus und ging zu einem verrosteten Schmiedeeisentor, das sich unter seinem Druck quietschend öffnete. Im Haus begann ein Hund zu bellen. Mit ein paar Schritten war der junge Mann an der Tür und schaute sich nach einer Klingel um. Als er keine fand, klopfte er.
"Guten Tag, Herr Wolf", begrüßte ihn die malerisch gekleidete ältere Frau, die wenig später die Tür öffnete. Sie trug einen mit geheimnisvollen Ornamenten bestickten Kaftan und einen Turban aus dem gleichen Stoff, unter dem ihr eisgraues Haar hervorlugte. Auf ihrer rechten Schulter hockte eine Eule, die Axel müde anblinzelte. Zu ihren Füßen zeigte ein kleiner schwarzer Hund undefinierbarer Rasse seine Zähne.
"Treten Sie ein", sagte die Frau. "Ich habe Sie schon erwartet. Vor Luzifer brauchen Sie keine Angst zu haben. Er tut Ihnen nichts."
"Woher wussten Sie, dass ich zu Ihnen komme?", wunderte sich Axel. "Haben meine Freunde mich angemeldet?"
Madame Futura, deren Gesicht zerknittertem Pergament glich, lächelte freundlich. "Keiner hat Sie angemeldet", beteuerte sie. "Ich sah es in meiner magischen Kristallkugel, bevor Sie selbst wussten, dass Sie kommen werden. Und nun folgen Sie mir bitte. Meine Zeit ist bemessen."
Axel verkniff sich eine spöttische Antwort und ließ sich von ihr in einen düster beleuchteten Salon führen, der mit allerlei altertümlichen Möbeln eingerichtet