Bis zu dem Tag, an dem überraschend Frank auftauchte. Er war der Mann, nach dem sich jede Faser ihres Herzens sehnte. Er war ihr Ideal.
Sie trafen sich am dritten Tag nach ihrer Ankunft auf Gran Canaria an der Bar ihres Hotels.
"Hallo, du", sagte er mit einschmeichelnder Stimme und legte, als wäre dies die selbstverständlichste Sache der Welt, den Arm um ihre Schultern. "Kennen wir uns nicht von irgendwoher?"
"Und ob", erwiderte sie matt und starrte ihn wie eine Geistererscheinung an. Ausgerechnet ihn hier zu treffen, ließ sie fast an ihrem Verstand zweifeln. Einen lange nicht mehr gekannten Stich in der Herzgegend verspürte sie, der darauf hindeutete, dass ihr dieser Mann vom ersten Moment an nicht ganz gleichgültig war.
"Es ist lange her", sagte er und hauchte ihr einen zärtlichen Kuss auf die Wange. "Viel zu lange. Wie geht es dir?"
"Beschissen", versetzte sie wahrheitsgemäß. "Ich bin die einsamste Frau der Welt."
"Warum das?", wollte er wissen.
"Weil mein Mann, der Trottel, unbedingt darauf bestand, allein verreisen zu wollen", erklärte sie. "Und nun sitze ich hier herum und weiß nicht, was ich mit mir anfangen soll."
"Jetzt bin ich da", sagte Frank. "Deine erste große Liebe. Die war ich doch - oder?"
"Ja, die warst du", bestätigte sie leise.
"Man behauptet, eine Frau könne ihre erste große Liebe niemals vergessen", sagte er. "Wie ist es bei dir?"
"Nicht anders", erwiderte sie. "Besonders dann nicht, wenn er derjenige welcher war. Und das warst du nun mal."
"Es war himmlisch", begann er zu träumen.
"Na ja", schwächte sie ab. "Sooo himmlisch war es nun auch wieder nicht. Mir hat es anfangs ganz schön weh getan, dieses erste Mal. Und besonders peinlich wurde es, als deine Eltern uns dabei überraschten."
"Das Gesicht meiner Mutter könnte ich dir heute noch malen", schmunzelte er.
"Und dein Vater wusste nicht so recht, ob er lachen oder brüllen sollte", erinnerte sie ihn. "Ich hätte vor Scham im Erdboden versinken mögen."
"Lang, lang ist's her", wiederholte er. "Aber schön war's doch."
"Sehr schön", pflichtete sie ihm bei. "Und was für ein Zufall, dass wir uns ausgerechnet hier in Maspalomas wiedertreffen. Bist du allein hier?"
"Selbstverständlich", beteuerte er. "Nach dir hat es nie mehr eine andere Frau für mich gegeben."
"Jetzt hör aber auf", lachte sie. "Ich weiß doch, dass du verheiratet bist."
"Na und?" winkte er ab. "Du bist es auch."
"Ja", erwiderte sie leise. "Mit einem Mann, der glaubt, mit unserer Liebe wäre es nicht mehr weit her."
"Und?", fragte Frank. "Hat er recht?"
Sie wiegte den Kopf. "Möglich", gab sie zu. "Besonders aufregend war unser Liebesleben in letzter Zeit nicht mehr. Du kennst das aus deiner eigenen Ehe wahrscheinlich genauso - oder? Irgendwann flacht alles ab."
"Und woran liegt das?"
"Keine Ahnung." Sie zuckte mit den Schultern. "Vermutlich mangelt es irgendwann an der erforderlichen Phantasie, aus der Sache wieder mehr zu machen. Küsschen hier, Küsschen da, fummel fummel und dann rauf auf die Mutter - auf Dauer wird das langweilig."
"Bei mir ist das genauso", räumte er ein. "Deshalb sind meine Frau und ich diesmal auch getrennt in den Urlaub gefahren."
"Und was versprecht ihr euch davon?"
"Neue Erkenntnisse", sagte er.
"Wollt ihr anderweitig neue Erfahrungen sammeln?"
"Vielleicht", meinte er. "Zum Beispiel mit einer Frau wie dir."
"Aber ich bin doch auch nur eine alte Ehefrau", versetzte sie verlegen. "Viel Neues weiß ich nicht. Außerdem habe ich mir geschworen, meinem Mann treu zu bleiben."
"Das hatte ich mir ebenfalls geschworen", sagte er. "Bis ich dich wiedertraf. Nun habe ich all meine guten Vorsätze vergessen."
"Wenn ich ganz ehrlich sein soll....", flüsterte sie errötend. "...ich auch."
"Dein Mann muss es ja nie erfahren", sagte er und küsste sie, während er sanft seine Fingerkuppen über ihren Rücken gleiten ließ, zärtlich aufs Ohr.
Helga erschauerte ob dieser schon so lange entbehrten Streicheleinheiten. Heiß wurde es ihr in ihrem Schoß. Nur mühsam konnte sie ein wohliges Stöhnen unterdrücken.
"Lass uns noch ein bisschen Zeit", bat sie ihn tonlos. "Wir wollen nichts überstürzen."
"Nun gut", sagte er nüchtern. "Dann gehen wir jetzt erst einmal zusammen essen. Später sehen wir dann weiter. Einverstanden?"
Hätte sie widersprechen sollen? Für keine Sekunde kam es ihr, da sie jetzt schon lichterloh brannte, in den Sinn. Nur umziehen wollte sie sich noch, und das gestand er ihr zu.
In einem kleinen spanischen Restaurant aßen sie zu Abend. Paella bestellten sie und dazu einen süffigen Rotwein. Frank plauderte mit ihr, wie ihr Mann das nur in seinen besten Jahren getan hatte. Sie lachten und scherzten miteinander und fühlten sich - drücken wir es profan aus - sauwohl.
"Weißt du eigentlich, dass du die entzückendste Frau bist, die ich kenne", sagte er irgendwann zu ihr, nahm ihre Hände zwischen seine und führte sie an seine Lippen. "Schade, dass du verheiratet bist. Ich würde dich sonst auf der Stelle bitten, meine Frau zu werden."
"Du bist ebenfalls verheiratet", erinnerte sie ihn an die Tatsachen.
"Das stimmt", seufzte er. "Und ich wollte, meine Frau wäre in letzter Zeit einmal so zu mir gewesen, wie du heute Abend zu mir bist."
"Lag es nur an ihr, dass sie es nicht war?"
Sie sah ihn plötzlich mit ernsten Augen an.
"Nein", gab er mit einem hilflosen Lächeln zu. "An ihr allein lag das wohl nicht."
"Na, siehst du", sagte sie. "Bevor man einen anderen verurteilt, sollte man erst an die eigene Brust klopfen. Ich tue das mittlerweile unentwegt; weil ich einzusehen beginne, dass ich in meiner Ehe vieles falsch gemacht habe."
"Ich auch", räumte er ein. "Man hat eben im normalen Alltag viel zu wenig Zeit füreinander. Der Beruf, das Streben nach immer mehr frisst dich auf und verschließt dir die Augen vor den schönen Dingen des Lebens."
"Aber das müsste nicht sein?"
"Nein, bestimmt nicht", sagte er nachdenklich. "Ein bisschen Zeit füreinander sollte man sich schon nehmen."
"Vergiss es nicht, wenn du wieder zu Hause bist", ermahnte sie ihn. "Und ich will ebenfalls daran denken."
Später gingen sie am Strand von Maspalomas spazieren. Wie eine silberne Scheibe hing der Mond am samtblauen, wolkenlosen Himmel. Leise rauschte das Meer. Von irgendwoher drang schwermütige Gitarrenmusik an ihr Ohr. Eine laue Nacht war es, trotz der frühen Jahreszeit. Aber auf Gran Canaria herrschen nun mal andere Temperaturen als zu Hause. Dort hätte man sich bei einem nächtlichen Osterspaziergang vermutlich einen abgefroren. Hier nicht. Hier konnte man sogar schon im Meer baden.
"Ich liebe dich", sagte Frank unvermittelt. Er blieb stehen, legte seine Hände auf ihre Schultern und schaute ihr tief in die Augen. "Ich liebe dich so sehr."
"Aber doch nicht hier", protestierte sie errötend.
"Und warum nicht hier?", wollte er wissen. "In den Dünen wären wir ungestört."