Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arnold Gallee
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783844232523
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Aristoteles´ Philosophie im Sinne des christlichen Glaubens zu interpretieren, setzen an solchen Stellen an, obwohl der Aristotelische Gott wesentlich mehr einem unpersönlichen Prinzip entspricht und vor allem nichts Monotheistisches an sich hat. Dazu kommt, dass die Gottesfrage bei Aristoteles nicht einfach aus der Theologie heraus gestellt wird, vielmehr führen die naturphilosophischen Studien zu dieser Frage. In einem im Rahmen der Geschichte der Religion eher seltenen Vorgang macht Aristoteles explizit, dass die Hinwendung zur Transzendenz nicht etwa einer vorgängigen Abwendung von den Naturphänomenen folgt; vielmehr führt erst eine Auseinandersetzung mit dem Diesseits dazu, die sich dort stellende Erklärungsfrage bis auf letzte, eben jenseitige Prinzipien zu verfolgen[27]!. Dies wird später eine von mehreren Gelegenheiten darstellen, bei denen Immanuel Kant an Aristoteles anknüpft.

      Natürlich wird die Ontologie bei Aristoteles nicht nur wegen ihres Übergehens in die Theologie zum Teil der Ersten Philosophie gemacht. Vielmehr knüpft der philosophus mit der Frage nach den Grundstrukturen des Seienden an Untersuchungen an, die die griechische Antike bereits vor Sokrates interessiert hat[28]!. Dabei ist für ihn als Philosoph die Welt zwar im Wesentlichen an sich relevant, Aristoteles bezieht wie Sokrates und Platon aber den Menschen in seine ontologischen Überlegungen mit ein. Nicht nur, dass sich der Gegenstand der theoretischen Wissenschaften und damit eben auch der Ontologie von dem her bestimmt, was für den Menschen nicht änderbar ist; sondern er wird von Aristoteles auch aus der Perspektive des Menschen thematisiert. So sind die obersten Prinzipien des Seienden, die Kategorien, zwar auf die Realität bezogen, alle zehn[29]! gehen aber insofern auf das menschliche Weltverhältnis zurück, als sie aus der Alltagssprache gewonnen wurden. Aristoteles abstrahiert vom Sprachverhalten auf die zehn Arten von Fragen, die an das Seiende gestellt werden können, ohne dass eine von ihnen auf irgendeine andere reduziert werden könnte[30]!. Es geht also auch hier um die menschliche Sicht der Welt, was allerdings nicht bedeutet, dass damit bereits eine erst wesentlich spätere Stufe der Philosophie erreicht wäre, in der sie dem Denken und der Sprache gegenüber der Welt eine eigenständige Sphäre einräumen würde. Aristoteles ist, wie oben erläutert, fest im ontologischen Paradigma verankert, und das bedeutet in Bezug auf die Kategorien, dass sie zwar auch in sprachlicher Hinsicht thematisiert und manchmal auch charakterisiert werden. Der Zugang zu den Kategorien ist sprachlicher Natur, das war oben mit medialer Bedeutung gemeint. Daraus darf aber nicht gefolgert werden, dass die Kategorien für Aristoteles etwas Sprachliches wären. Genau so, wie man mit Geld (das ja an sich nur einen minimalen Materialwert hat) sorglos handeln kann, solange es durch Gold gedeckt ist, kann man mit sprachlichen Größen operieren, solange klar ist, dass deren einzige Aufgabe im Rückbezug auf das Seiende besteht – und das ist eben für Aristoteles so klar wie unter anderem für seine beiden berühmten Vorgänger. In den beiden für das Kategorienthema ausschlaggebenden Schriften, den Kategorien und der Metaphysik, lässt Aristoteles daran auch überhaupt keinen Zweifel aufkommen: Die Liste der Kategorien, „die das Seiende bestimmen”[31]!, enthält selbst keine einzige mentale oder sprachliche Größe.

      Dabei zieht Aristoteles das Modell der Alltagssprache auch heran, um im Rahmen der zehn Kategorien eine bestimmte auszumachen, der ein höheres Maß an Sein zukommt als den anderen neun. Bei der ersten Kategorie handelt es sich um das Wesen bzw. die Substanz, wie der im Original verwandte griechische Ausdruck ousia auch übersetzt wird. Diese Substanz genießt gegenüber allen anderen Kategorien einen ontologischen Vorrang, insofern Letztere im Vergleich zu ihr nur Akzidenzien, also Nebensächlichkeiten sind[32]!. Sie können nur auf der Basis der Substanz existieren und ausgesagt werden, diese benötigt die Akzidenzien hingegen nicht, sie ist ontologisch eigenständig. Das Wesen, so könnte man auch sagen, ist als erste Kategorie immer der Kern einer Sache – wobei Aristoteles diesen Kern allerdings auf zwei sehr unterschiedliche Arten versteht.

      Zum Einen ist die Substanz, also die erste Kategorie, das konkrete Einzelding, die hier und jetzt vorliegende Sache oder Person, z.B. Sokrates am Mittwochmorgen auf dem Athener Marktplatz. Dieses Einzelding bezeichnet Aristoteles auch als erste Substanz. Die zweite Substanz, also die andere Variante der ersten Kategorie, sind dagegen die Arten und Gattungen, also allgemeine Größen. Es gehört zu den vielen Seitenhieben auf Platon, die sich im Corpus Aristotelicum finden, dass der ersten Substanz (also den Einzeldingen) innerhalb der ersten Kategorie ein ontologischer Vorrang gegenüber der zweiten Substanz (den allgemeinen Arten und Gattungen) eingeräumt wird – das, was der große Platon als das vernachlässigbare und unbedeutende Einzelne betrachtet hatte, ist bei Aristoteles gleichbedeutend mit einem Höchstmaß an ontologischem Gehalt! Einig ist sich Aristoteles mit seinem Lehrer nur darin, dass es von diesem Einzelnen keine wissenschaftliche Erkenntnis geben kann, da Letztere nur allgemein, also in Prinzipien möglich sei[33]!.

      Dieser methodologische Vorrang der allgemeinen Größen, zu denen Aristoteles auch die Platonischen Ideen zählt, bedeutet für ihn nun eben nicht, dass daraus auch auf die Existenz dieser Größen geschlossen werden könne[34]. So schließt sich Aristoteles zwar der Argumentation in Platons Dialog Parmenides an, man brauche zur geistigen Orientierung immer auch allgemeine Bezugspunkte der Identifikation, dennoch finden sich in seinem Werk von der Frühschrift Über die Ideen[35]! bis zur Metaphysik immer wieder höchst kritische Anmerkungen zu den Ideen Platons.

      Dabei sieht Aristoteles das größte Übel im Zusammenhang mit den Platonischen Ideen in der seiner Meinung nach von seinem Lehrer vertretenen Sphärenfremdheit der Ideen und der Dinge, die keine Ideen sind. Nicht unbedingt in Einklang mit den tatsächlichen Verhältnissen nimmt Aristoteles dabei Sokrates in Schutz und behauptet, diesem sei es nur um allgemeine Definitionen gegangen. Erst Platon und seine Schule hätten später über die sinnlich zugänglichen Dinge hinaus „bestimmte andere, beständige Naturen neben den wahrnehmbaren [Naturen]”[36]! angenommen – und in dieser Annahme sieht Aristoteles nun „die Ursache für alle Schwierigkeiten, die sich bezüglich der Ideen ergeben”[37]!.

      Denn weder könne Platon erklären, wie sich eine Teilhabe der wahrnehmbaren Dinge an den Ideen angesichts der Tatsache gestalten solle, dass doch beide Sphären getrennt voneinander existieren, und darüber hinaus eine einzige Idee für eine unendlich große Menge an Gegenständen ‚zuständig’ sei. Auch könne nicht wirklich jedem Gegenstand eine Idee entsprechen, weil es dann auch negative Ideen für all die Gegenstände geben müsse, die eine bestimmte Eigenschaft nicht aufweisen. Darüber hinaus ergeben sich für Aristoteles auch bei der Zuordnung von Ideen zu Gegenständen Schwierigkeiten. So bemüht Aristoteles mehrfach das Argument vom ‚dritten Menschen’, das belegen soll, dass ein konkreter Mensch der Idee vom Menschen nicht ohne ein drittes Element zugeordnet werden kann, das die Frage beantworten hilft, ob etwas überhaupt unter die Idee vom Menschen fällt[38]!. Und schließlich sei Platons Gedanke, dass die Ideen eine Art normative Kraft gegenüber der Welt ausübten, verfehlt, weil ja schließlich keine Regel ihre eigene Anwendung regeln könne[39]!. – Kurz gesagt: Bei den Platonischen Ideen handelt es sich laut Aristoteles um nichts als „leere Redensarten”[40] – und das ist noch eine der freundlicheren Übersetzungen[41]!.

      Aristoteles selbst setzt nun genau dort an, wo Platon mit den Ideen seiner Ansicht nach den größten Fehler begangen hat: bei der Trennung der Sphären zwischen den Ideen auf der einen und den Dingen, die keine Ideen sind, auf der anderen Seite. Dabei ist sein eigener Ansatz in vielen Aspekten nicht weit weg von Platon, versucht aber genau in diesem Punkt konsequent zu bleiben. Es gibt zwischen dem, was bei Aristoteles an die Stelle der Platonischen Ideen tritt, und den ‚normalen’ Gegenständen keine Grenze ontologischer Natur, sie gehören vielmehr einem gemeinsamen Bereich an. Dabei lässt sich das Aristotelische Vorgehen in diesem Zusammenhang auf einen Begriff bringen: eidos, also Form oder Gestalt.

      Aristoteles verwendet eidos in unterschiedlichsten Zusammenhängen, dabei ist je nach Kontext entweder von der äußeren Form oder aber von der inneren Struktur oder dem wesenhaften Kern einer Sache oder eines Lebewesens die Rede[42]!. Damit ist bereits der hauptsächliche Unterschied zu Platon im oben erläuterten Sinn benannt: Für Aristoteles findet sich das Wesen einer Sache nicht außerhalb ihrer in einer fremden