Philosophenkönig – eine Einführung. Martin Arnold Gallee. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Arnold Gallee
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783844232523
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auf die innere Form gerichtete Perspektive geht, zeigt sich vor allem in seinen logischen Schriften[43]!. Dabei ist allerdings erneut zu beachten, dass mit der Logik nicht eine eigenständige Denk‐ oder Sprachebene gemeint ist, die Struktur des logischen Kalküls hat vielmehr die innere Form der Welt wiederzugeben (sie ist also in gewisser Hinsicht eine Naturwissenschaft!). In diesem Zusammenhang gehört es zu den Aristotelischen Errungenschaften, dass er mit seiner formalen Betrachtungsweise von den jeweils betroffenen Inhalten ganz absehen kann. Die nach ihm benannten logischen Schlussformen, die Syllogismen, zeichnen sich dadurch aus, dass auf der Basis von zwei Voraussetzungen (Prämissen), nämlich einem Ober‐ sowie einem Untersatz, ein Schluss (conclusio) folgen muss. Dieser Aspekt der Notwendigkeit wird von Aristoteles selbst immer wieder betont: „Ein Syllogismus ist eine Rede, in der, wenn etwas gesetzt wird, etwas von dem Gesetzten Verschiedenes notwendig dadurch folgt”[44]. Da die Logik, wie erläutert, die Struktur, also die Form der Welt wiedergeben soll, kann vom Inhalt sowohl der Prämissen als auch des Schlusses abgesehen werden. Bei einem Syllogismus der Form

       Erste Prämisse (Obersatz): Alle A sind B.

       Zweite Prämisse (Untersatz): Alle C sind A.

       Schlussfolgerung (Conclusio): Alle C sind B.

      ist es also unerheblich, was für die Variablen A, B und C eingesetzt wird, so lange für die gleichen Variablen immer die gleichen Inhalte eingesetzt werden[45]!. Da Aristoteles seine Logik auch über die beiden Kategorien der Quantität und der Qualität variiert[46]!, ergibt sich (zusammen mit weiteren Elementen wie etwa der Lehre von den Gegensätzen) ein umfassender logischer Apparat, der für die nächsten 2000 Jahre verbindlich bleiben sollte. So wird etwa noch Immanuel Kant in seiner Kritik der reinen Vernunft bemerken, die Logik habe seit Aristoteles „bis jetzt keinen Schritt vorwärts […] tun können”[47]!.

      Was sich allerdings verändern wird, ist die allgemeine Interpretation der Logik. Es ist für Aristoteles klar, dass sie die innere Struktur und Form der Welt wiedergibt. Dass es in seiner Logik etwa ein Widerspruchsverbot gibt, liegt für ihn einfach daran, dass die Welt nicht widersprüchlich ist. Mit dem Verlassen des ontologischen Paradigmas wird sich daher auch die Frage stellen, worauf sich die Logik bezieht. Zwar scheint im Rahmen des mentalistischen Paradigmas die Antwort mit dem Denken schnell festzustehen, es fanden sich allerdings schnell Kritiker, die den berechtigten Einwand erhoben, dass in den Köpfen wirklicher Menschen nur selten logisch vorgegangen wird. Folglich schlug etwa Kant vor, die Logik nicht be‐, sondern vorschreibend zu verstehen – „nicht, wie wir denken, sondern, wie wir denken sollen[48]. Doch spätestens mit dem Aufkommen mehrerer und sich gegenseitig widersprechender Logiksysteme im 19. Jahrhundert erwies sich auch dieser Vorschlag als Sackgasse. Mit der ‚linguistischen Wende’, also dem Beginn des sprachlichen Paradigmas in der Philosophie zu Beginn des 20. Jahrhunderts war zwar die Möglichkeit gegeben, die Logik nunmehr sprachlich zu orientieren – bezüglich der Frage, in welchem Verhältnis diese Sprache aber etwa zu unserer Alltagssprache steht, war man damit aber immer noch nicht weiter. Bei Ludwig Wittgenstein werden wir zu dieser Frage allein zwei völlig unterschiedliche Auffassungen finden. Bis heute fragen sich Studenten der Philosophie völlig zu Recht, warum sie mit formaler Logik gequält werden, obwohl wir auf die Frage ihrer Bedeutung im Rahmen des Horizonts unserer Erkenntnis und unseres Weltverhältnisses insgesamt nach wie vor noch keine befriedigende Antwort gefunden haben.

      Für Aristoteles stellen sich solche Fragen noch nicht. Daher kann er das, was er in der Logik hinsichtlich der Welt als Ganzes macht (also ihre innere Struktur freizulegen), mittels des eidos bei jedem einzelnen Ding vorführen, nämlich die Frage nach seinem Wesen stellen, das ihm allerdings – darin besteht ja der zentrale Gesichtspunkt, den Aristoteles gegenüber Platon geltend macht – nicht fremd gegenübersteht, sondern ihm vielmehr innewohnt[49]!.

      Dabei dient das eidos eines Dings zunächst einmal zur Beantwortung der Sokratischen Frage, was etwas ist. In diesem Zusammenhang wird eidos als Art verstanden – „zum Beispiel gehört der individuelle Mensch zu einer Art, Mensch”[50]. Das eidos erfüllt hier also eine Identifikationsaufgabe, funktional deckt sich das mit den Platonischen Ideen. Auch die Rolle der Ideen als paradeigmata, also als Muster, transformiert der philosophus auf sein Konzept des eidos[51]!. Darüber hinaus wird eine weitere Aufgabe von diesem übernommen, die allerdings schon in einen anderen Bereich der theoretischen Philosophie hineinragt, die Naturphilosophie[52]!.

      Auch dieser Teil der Corpus Aristotelicum wartet mit einigen Höhepunkten auf, dabei besteht eine direkte Verbindung vor allem zwischen dem Konzept des eidos und der Lehre von den vier Ursachen. Wie bei den Kategorien ist auch hier die Vielfalt ein deutlicher Wink in Richtung der Einheitsphilosophie Platons, und im Sinne der Angemessenheit postuliert Aristoteles bei den Ursachen „dieselbe Anzahl wie die der Bedeutungen, die die Frage nach dem Warum anzunehmen vermag”[53]!.

      Dabei unterscheidet Aristoteles bei der Erklärung eines Sachverhalts zwischen einer kausalen Ursache – „das (jeweilige) erste Bewegende”[54] –, die auch als causa efficiens bezeichnet wird. Darunter wird etwa ein handelnder Mensch verstanden, aber auch ein Gegenstand, der einen anderen anstößt. Wenn wir heute von Ursache sprechen, haben wir zumeist diese (und nur diese) Ursachendimension vor Augen. Aristoteles dagegen bezieht – zweitens – in seine Behandlung der Kausalthematik auch den materialen Aspekt mit in seine Betrachtungen ein. Eine so geartete Ursache erklärt etwa das Zerbrechen einer Fensterscheibe durch die physikalischen Eigenschaften des Glases und nicht nur (wie die causa efficiens) durch den Stein, der durch die Scheibe geflogen ist. Über diese causa materialis hinaus kommt nun – drittens – wieder das eidos ins Spiel, insofern im Rahmen der causa formalis auch das Wesen von etwas als Ursache verstanden wird. Aristoteles gibt sich große Mühe, zu erklären, warum für ihn die Form einer Sache als Wesen zu einer ihrer Ursachen gehören könnte. So weist er bei der Frage „warum ist dies, z.B. Ziegel und Steine, ein Haus?”[55] darauf hin, dass weder der Baumeister (als causa efficiens) noch die von diesem verwendeten Stoffe (als causa materialis) als Erklärung hinreichen, vielmehr müssen Letztere von Ersterem in eine bestimmte Form gebracht werden, die als eidos das Wesen des Hauses ausmacht. Obwohl es mit dieser Ursachenart eine weitere Funktion gibt, die das eidos anstelle der Platonischen Ideen übernimmt (eben die Erklärung von sinnlich wahrnehmbaren Dingen), und ihm damit natürlich eine große Bedeutung innerhalb des Aristotelischen Werks zukommt, haben sich spätere Naturforscher hier zu eingeengt gefühlt. Ihnen ging die Frage nach dem Wesen schlicht zu weit, wie der berühmte Mathematiker und Physiker Galileo Galilei (1564‐1642) beispielhaft bemerkt:

      [E]ntweder wollen wir spekulativ versuchen, das wahre und innere Wesen der natürlichen Substanzen zu durchdringen, oder wir wollen uns mit der Kenntnis einiger ihrer Erscheinungen begnügen. – In das Wesen einzudringen, halte ich ebenso für ein unmögliches Unterfangen wie eine leere Mühe.[56]

      Die neuzeitlichen Naturforscher haben sich also in diesem Punkt von Aristoteles klar abgewandt. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben, dass dem menschlichen Forschritt mit einer solchen Reduktion (hier: auf das sinnlich Wahrnehmbare) auf die Sprünge geholfen wird – mit allerdings nicht immer nur positiven Konsequenzen. Wie für die causa formalis gilt auch für die vierte der Aristotelischen Ursachen, die causa finalis, dass sie im Inneren einer zu erklärenden Sache zu finden ist. Entsprechend ist gerade die Neuzeit mit diesem Aspekt nicht sehr freundlich umgegangen. Dabei wird eine zu erklärende Sache auf das hin bezogen, was als ihr Ziel (griech. telos) immer schon in ihr steckt und sie folglich durch diese causa finalis erklärt. So steckt im Samen schon die Pflanze, im Kind der Erwachsene, in der Zwecksetzung die Handlung etc. Diesem Erklärungsansatz hat die Aristotelische Naturphilosophie auch ihren Titel Teleologie zu verdanken, obwohl, wie gesagt, die causa finalis nur eine von vier Ursachen ist.

      Man sollte bei aller modernen Kritik an der Aristotelischen Naturphilosophie und vor allem der causa finalis aber nicht übersehen, dass in ihr