In meinem Herzen nur du. Katharina Burkhardt. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Katharina Burkhardt
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738086201
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du Wichser!«

      Die Luft flirrte, die Worte flogen hin und her und Gretas Herz raste vor Schreck. Finn wurde von seinen Kumpels umringt und auch Markus erhielt Unterstützung von seinen Freunden. Sie vertraten Gruppen, die von je her verfeindet waren. Die Haupt- und Realschüler behaupteten, die Gymnasiasten seien arrogant und versnobt. Die Gymnasiasten wiederum hielten die Haupt- und Realschüler für aggressiv und dumm.

      »Selber Wichser!«, rief einer von Finns Freunden.

      »Was für Idioten«, brummte Finn und wandte sich zum Gehen.

      »Das musst du grade sagen.« Markus gab noch nicht auf. »Du bist doch genau so ein Depp wie dein versoffener Alter.«

      Greta presste die Hände ineinander. Das war unfair von Markus und sehr gemein.

      Finn fand das offenbar auch. In einer rasend schnellen Bewegung drehte er sich um und stürzte sich auf Markus. Er schlug so rasch zu, dass Markus überrascht taumelte und zu Boden ging. Aber er war sofort wieder auf den Beinen und im Nu droschen er und Finn aufeinander ein.

      Markus landete einen Kinnhaken bei Finn, dessen Unterlippe aufplatzte und blutete. Ohne nachzudenken sprang Greta hinzu.

      »Hör auf damit«, schrie sie Markus an. »Du tust ihm doch weh!«

      Markus hielt kurz inne und starrte sie irritiert an. Finn nutzte den Moment und boxte ihm kräftig in die Rippen. Markus schlug augenblicklich zurück.

      »Aufhören!«, schrie Greta erneut. »Lass ihn los, du … du Pimmel!«

      Die Menge grölte. Markus fuhr wütend herum und schubste Greta so heftig, dass sie gegen ein paar Leute taumelte, die hinter ihr standen. »Hau ab, du Fotze«, zischte er.

      »Schluss jetzt!«, sagte ein Mann ärgerlich, und Greta zog den Kopf zwischen die Schultern.

      Die Jungen reagierten nicht, sie kamen nun erst richtig in Fahrt. Markus war etwas größer als Finn, aber Finn war kräftiger. Und wütender. Er hatte offenbar vor, Markus windelweich zu prügeln.

      Mareike zupfte Greta am Arm. »Komm hier bloß weg. Die vermöbeln dich sonst auch noch.«

      Aber obwohl Greta Angst hatte, rührte sie sich nicht vom Fleck. In einer Mischung aus Abscheu und Entsetzen beobachtete sie, wie Finn und Markus sich bis aufs Blut prügelten. Einer von Finns Freunden versuchte nun ebenfalls vergeblich, die Raufbolde zu trennen, doch er wurde nur mit in die Schlägerei hineingezogen. Ein weiterer Junge mischte sich ein, und da gab es auf einmal ein großes Gemenge, in das immer mehr Jungen verwickelt wurden.

      Sie schrien und brüllten, schlugen und boxten.

      Es war ein gewaltiges Spektakel.

      Die Raufbolde waren erst auseinanderzubringen, als der Kioskbetreiber einen Schlauch auf sie hielt und ein harter Strahl kalten Wassers die ersten nackten Oberkörper traf. Da stoben sie schreiend auseinander.

      Der Kioskbetreiber packte Finn und Markus am Arm. »Seht zu, dass ihr fortkommt«, schimpfte er. »Und lasst euch hier so bald nicht wieder blicken.«

      Die Jungen trollten sich endlich, nass und zerschrammt, mit blutenden Lippen und Nasen. Greta fühlte sich so zittrig und erschöpft, als habe sie selber gekämpft. Und in gewisser Weise hatte sie das ja auch.

      »Dein Finn ist echt brutal«, stellte Mareike fest.

      »Ach.« Greta funkelte sie an. »Wer hat denn angefangen? Schlag dir Markus Weiß bloß aus dem Kopf. Der ist ja wohl der fieseste Junge, den ich kenne.« Sie stapfte zu ihrem Lagerplatz zurück.

      Erst zu spät fiel ihr ein, dass sie gar kein Eis gekauft hatte. Doch da kam auch schon Mareike angerannt, mit zwei Eistüten in der Hand. Eine gab sie Greta. »Wäre doch blöd, wenn wir die ganze Zeit umsonst angestanden hätten.«

      Greta nickte dankbar, immer noch aufgewühlt von den Geschehnissen. Sie riss das Papier auf und leckte freudlos über die weiße Spitze ihres Dolomitis.

      »Pimmel, hm?«, kicherte Mareike. »Ich wusste gar nicht, was für Wörter du kennst.«

      »Ich auch nicht«, brummte Greta. Dann musste sie auch grinsen. Sie wusste selbst nicht mehr, was da vorhin in sie gefahren war. Aber als sie Finn bluten sah, vergaß sie alle Angst und Vorsicht und wurde nur noch von dem einen Gedanken beherrscht: ihm beizustehen. Allerdings hatte er ihren Einsatz nicht sonderlich geschätzt, vielmehr schaute er sie kein einziges Mal an, nachdem die Klopperei vorbei war.

      »Aber sag mal, was ist eigentlich eine Fotze?«, fragte Mareike und schleckte genüsslich an ihrem Cola-Eis.

      »Keine Ahnung. Was ziemlich Hässliches würde ich sagen, wenn Markus mich so bezeichnet.«

      Der Herbst war in diesem Jahr stürmisch und kalt. Die Leute zogen sich in ihre Häuser zurück. Gretas Eltern hatten einen Kamin in ihrem Wohnzimmer, vor dem sich die Familie abends versammelte. Sie spielten eine Runde Rommé, dann griff sich Erika Bubendey einen Korb mit Wäsche, die geflickt werden musste. Greta holte sich ein Buch, sie las gerade Fünf Freunde auf Schmugglerjagd von Enid Blyton, das sie wahnsinnig spannend fand. Julia saß am Wohnzimmertisch und bastelte undefinierbare Papiergebilde.

      Ihr Vater gesellte sich zu Julia und stellte ihr auf spielerische Weise Rechenaufgaben, die sie alle perfekt löste.

      »Das machst du sehr gut, Julia.« Hartmut Bubendey nickte zufrieden. »Und nun wollen wir mal sehen, was Greta kann.«

      Greta, die sich gerade an einer besonders spannenden Stelle in ihrem Buch befand, hob flüchtig den Kopf.

      »Also, Greta, pass auf: Die Polizei stellt bei der Überprüfung von vierhundert Fahrrädern fest, dass fünfundzwanzig Prozent davon defekt sind. Wie viele Räder sind das?«

      Greta sah in die Runde. Alle starrten sie erwartungsvoll an. Sie hasste es, wenn ihr Vater sie zwang, sich mit Dingen zu befassen, die sie nicht interessierten. Aber sie wollte keinen Streit anfangen. Also bemühte sie sich, von Abenteuerroman auf Kopfrechnen umzuschalten, was gar nicht so leicht war.

      Im Kamin prasselte das Feuer, während die gesamte Familie Bubendey darauf wartete, dass Greta diese an sich simple Rechenaufgabe löste. In der Schule musste sie viel kompliziertere Aufgaben bewältigen.

      »Ich habe das viel schneller geschafft«, krähte Julia, und Greta verspürte auf einmal den hässlichen Drang, ihrer kleinen Schwester eine schallende Ohrfeige zu verpassen.

      »Nun, Greta?« Ihr Vater hatte die Beine übereinandergeschlagen und wippte ungeduldig mit dem Fuß. Er trug wie immer Anzughose, ein weißes Hemd, Krawatte und einen Strickpullover mit V-Ausschnitt. Seine dunklen, schütteren Haare hatte er akkurat gescheitelt. Mit strenger Miene wartete er auf Gretas Antwort.

      »Fünfundsiebzig«, sagte sie, und als ihr Vater missbilligend die Stirn runzelte, löste sich der Knoten in ihrem Kopf und sie korrigierte hastig: »Nein, nein, hundert.«

      »Bist du dir sicher?«

      Greta nickte, aber sie war sich keineswegs sicher. Ihr Vater verunsicherte sie mehr als ihre Mathelehrerin. Die war eigentlich eine freundliche Frau und schaute nicht halb so streng wie Hartmut Bubendey.

      Ihr Vater hob gerade zu einer neuen Aufgabe an, als Erika Bubendey sagte: »Kann es sein, dass der Rauchabzug vom Kamin nicht richtig funktioniert?«

      »Warum?« Ihr Mann hob erstaunt den Kopf.

      »Ich habe das Gefühl, dass es hier sehr stickig ist. Mir ist direkt ein wenig flau.«

      Hartmut Bubendey stand auf und begutachtete den Kamin. »Es ist alles in Ordnung. Sonst würde es qualmen.«

      »Ja, sicher.« Gretas Mutter legte ihr Stopfzeug zur Seite. »Ich gehe mal kurz auf die Terrasse, brauche ein bisschen Sauerstoff.«

      »Bei dem Wetter?« Greta schaute zu den Wohnzimmerfenstern, gegen die der Regen prasselte.

      Ihre Mutter antwortete nicht. Stattdessen öffnete sie die