Frau Kofer bat uns, auf der linken Straßenseite immer zu Zweit zu gehen. Katharina fragte mich, ob sie, da Linde noch nicht da war, mit mir gehen könne. Ich hatte in meinem Brotbeutel die Schleuder, die ich am Wochenende für Katharina gebastelt hatte und fragte: „Hättest du immer noch gerne eine Schleuder?“ Sie sagte: „Wenn du mir eine machst, erfülle ich dir jeden Wunsch.“ Ich fragte: „Katharina, was kann ich mir von dir wünschen?“ „Alles“ antwortete sie. Ich sah sie an und sagte: „Wenn ich dir die Schleuder gebe, sage ich dir meinen Wunsch. Aber jetzt muss ich mit Rosa etwas besprechen.“ Ich wollte Linde nicht ärgern und fragte Rosa: „Denkst du manchmal an Helga, unsere Kindergärtnerin?“ Rosa sagte: „Ich hatte sie fast vergessen, aber seit ich weiß, dass wir sie beim Schulausflug sehen, denke ich an sie. Komisch, dass es Erwachsene gibt, denen es Spaß macht, Kindern Schmerzen zuzufügen. Ich erkannte, dass es Frau Kling gefiel, ihre beiden Töchter zu verhauen. Ich möchte es fast nicht zugeben, mir gefällt es auch manchmal, deine Linde, Reinhild, oder dich zu hauen.“ Ich schaute sie an und sagte: „Manchmal geht es mir genauso.“ Rosa fragte: „Louis, hast du schon erfahren, dass meine Eltern ein Auto gekauft haben? Es ist ein kleiner italienischer Fiat. Wir haben damit einen Ausflug gemacht, mein Vater hat einen Kollegen in Rostwill besucht. Es ist toll, dass man mit einem Auto so weit reisen kann, ohne in einen Zug oder einen Omnibus zu steigen. Ich möchte genügend verdienen, um mir später ein Auto zu kaufen. Meine Mama und mein Papa streiten sich nie über Geld, aber meine Mama ist vom Verdienst meines Papas abhängig. Ich wünsche mir meinen eigenen Verdienst, so wie unsere Lehrerin. Sie muss niemand fragen, wenn sie sich ein Kostüm, oder dir Schuhe kauft.“ „Aber Rosa“, sagte ich, „du bist klug und intelligent, du kannst Zahnärztin werden und genügend Geld verdienen, um dir ein Auto zu kaufen.“ Rosa sah mich etwas ungläubig an und fragte: „Meinst du, ich könnte Zahnärztin werden, und die Praxis so führen wie mein Papa?“ Ich überlegte und sagte: „Die Freundin von Frau Kofer ist Ärztin, warum solltest du nicht Zahnärztin werden?“ „Weil ich bisher noch keine Zahnärztin gesehen habe“, antwortete sie, „aber ich würde es gerne werden, es wäre für mich ein interessanter Beruf, ich helfe meinem Papa gerne in seiner Praxis. Abends wenn keine Patienten mehr da sind, zeigt er mir manchmal Röntgenbilder oder Fotos von Gebissen der Patienten, denen er geholfen hat, damit sie wieder essen können.“ Ich sagte: „Rosanna, ich weiß, dass du Zahnärztin werden kannst und bedaure sehr, dass ich im Gymnasium nicht neben dir sitzen und von dir abschreiben kann. Für mich ist das Lernen in der Schule viel schwieriger als für dich.“ „Ich würde gerne neben dir sitzen und dich abschreiben lassen.“ Durch unsere Unterhaltung bemerkten wir nicht, dass wir weit voraus gelaufen waren. An der Weggabelung kam uns Linde entgegen und sagte: „Von hier müssen wir nicht mehr auf der Straße gehen, es gibt einen Waldweg, da müssen wir nicht, wie Soldaten marschieren.“ Wir warteten bis Frau Kofer kam. Sie schimpfte ein wenig, weil Rosa und ich nicht mehr zu sehen waren und sagte: „Dafür bestrafe ich euch gelegentlich.“ Linde erklärte unserer Lehrerin den Waldweg, der zum Forchenmühl und zum Lasinger Weiher führt und sagte: „Dann müssen wir nicht auf der Straße laufen.“ „Prima“, meinte Frau Kofer, „Linde zeigt uns den Weg.“ Wir kamen zu dem Waldweg, auf dem wir damals den Seiler überfallen hatten. Ich nahm Linde am Arm und sagte leise: „Wenn wir jetzt den Seiler sehen, können wir ihm mit der Schleuder noch eine ballern.“ Linde lachte: „Wenn ich dran denke, freue ich mich, weil wir Wolfgang einen Denkzettel verpassten, andererseits denke ich immer, wie schlimm es für Gerda war, dass sie zu ihm gehen musste, damit mir nichts geschieht. Das vergesse ich meiner Schwester nie.“ „Was wirst du nicht vergessen“, fragte Katharina, die zu uns kam und neben mir ging. Linde schaute sie genervt an und fragte: „Ja sag, han i jetzt mit dir gschwätzt, oder warum fragsch du.“ „Ach“, sagte Katharina, „ich wollte mich euch eine Weile anschließen um mich mit euch zu unterhalten.“ Linde meinte: „Ich weiß genau was du willst, du willst nicht mit mir reden und dich nicht uns anschließen, du willsch mit em Louis schwätze, on wahrscheinlich willsch nit mit ihm schwätze, sondern was ganz anders mache, on bloß deshalb hasch so do, als hätsch mit mir schwätze wolle. Am beschte wärs, du dätsch wieder do na gange wo du herkomme bisch!“ Katharina schaute traurig und musste sich beherrschen, um nicht zu weinen. Da ich Linde nicht boshaft kannte, fragte ich: „Was hast du gegen Flüchtlinge, wenn Katharina auftaucht, bist du gehässig zu ihr.“ Linde schaute mich an und fragte: „Tust du so, oder merkst du überhaupt nicht, dass die hinter dir her isch. Die isch doch älter als wir, die soll dich lasse, on sich ein Kerle suche, der so alt isch wie
Автор: | Louis Lautr |
Издательство: | Bookwire |
Серия: | |
Жанр произведения: | Языкознание |
Год издания: | 0 |
isbn: | 9783742724182 |
leise, die wird’s sicher no nit, aber d' Rosa könnt's a mal werde, die däte mir sicher alle wähle, weil sie s' Zeug dazu hät.“ Ich war froh, dass heute der Senders-Bauer die Bibel auslegte, ihm hörte ich gern zu und er war nach einer Stunde fertig. Danach gab es, wie immer eine exzellente Vesper mit Bauernbrot, Schichtkäse, Hausmacher Wurst und Speck. Nach der Vesper fuhr uns Gerda zurück. Gerda sagte zu Linde: „Ich soll dir von deiner Lehrerin ausrichte, dass eure Klasse am Montag um neun Uhr zur Abzweigung kommt. Ihr badet im Lasinger Weiher. Sie erzählte uns von eurem, Schulausflug ins Elsass. Esther schenkt euch die Busfahrt. Ich kann kaum glauben, was ihr für ein Glück mit eurer Lehrerin habt. Ich bin ihr und meiner Chefin ewig dankbar, denn ohne sie hätte ich mein derzeitiges Glück nicht erlebt. Ich kann euch nicht beschreiben, wie sehr mir mein Beruf und mein Leben gefällt.“ Linde sagte zu Gerda: „Bitte sag Esther, dass ich um neun an der Abzweigung warte. Ich rieche nicht nach Landwirtschaft, weil ich meine Kleidung für den Ausflug draußen aufhänge, mein lieber Vater hat auf dem Balkon eine Stange anbracht.“ Meine Mutter und ich wollten uns gerade verabschieden, da gab uns der Schlader Matheis noch Brot, Eier und Butter mit. Gerda sagte: „Tante Martha, ihr müsst heute nicht laufen, ich fahre euch erst heim und fahre später mit meiner Schwester zum Ochsen und danach zu meiner Chefin. Meiner Mutter war es peinlich, weil uns Gerda nach Larenbuch fahren wollte, sie sagte: „Gerda, das ist sehr lieb von dir, aber wir können gut laufen.“ Gerda bestand darauf uns zu fahren. Als wir zu Hause ausstiegen, schaute unsere Hausbesitzerin zum Fenster raus. Gerda und Erika winkten uns nochmals, dann drehte Gerda auf der Straße um und fuhr zurück. Meine Geschwister kamen kurz nach uns und waren überrascht, weil wir zu Hause waren. Meine Mutter erzählte, was wir alles an diesem Sonntag erlebt hatten und dass Erika ein Baby erwartete. Meine Schwester sagte: „Es freut mich, dass Gerners nette und kluge Töchter haben, die Gernermutter hat ihre Kinder zu tüchtigen Mädchen erzogen, die Mädels haben wahrscheinlich die Gene und den Verstand von ihrer Mutter. Jede der Mädels ist auf ihre Art hübsch und alle haben das gewisse Etwas.“ Meine Mutter verteidigte den Vater und sagte: „Vor seiner Kriegsverletzung sah der Gernervater gut aus und er ist ein tüchtiger Bauer.“ Ich dachte, Lindtraud hat wahrscheinlich viele Gene ihres Vaters, sie ist gerne Bäuerin und liebt ihre Kühe, ihre Hühner und ihre Schweine. Ihre großen, schönen Hände und ihren Humor hat sie wohl von ihrem Papa. Ihre strahlenden Augen und das Lachen hat sie von ihrer Mutter. Zu Hause schnitzte ich noch die Astgabel, weil ich Katharinas Schleuder fertigen wollte. Leder und Gummi hatte ich in meiner Schublade. Nebenbei hörte ich im Radio den Wetterbericht und freute mich über das schöne Wetter, das für morgen angesagt war. Bevor ich schlafen ging, schrieb ich Hella meine Erlebnisse und Gedanken auf. Ich freute mich auf unseren Ausflug zum Lasinger Weiher, weil ich einer der Schüler war, die schwimmen konnten. Mit unserer Mutter nutzten wir häufig die schönen Sommertage im Schwimmbad, oder beim Lasinger Weiher. Meine Schwester lernte, wie alle Kinder, ohne Schwimmunterricht schwimmen. Sie zeigte mir entsprechende Bewegungen. Mit Besuchen, von Onkeln, Tanten, Kusinen und Vettern, die uns häufig zur Ferienzeit besuchten, waren wir ebenfalls oft Baden. In unserer Nähe, waren das Freibad, der nächsten Stadt und der Lasinger Weiher. Zum Lasinger Weiher, wie auch ins städtische Freibad, waren es vier Kilometer, die man in einer Stunde zu Fuß erreichte. Am Montag war ein schöner Sommertag. Wie bei immer hatte ich meinen Brotbeutel und eine Feldflasche mit Wasser dabei. Unsere Klasse stand im Schulho und wartete noch, auf Eckhard, der manchmal vom Chauffeur gebracht wurde. Diesmal brachte ihn sein Vater mit seinem Borgward. Er entschuldigte sich, weil er zu spät kam. Neid auf Reichtum war uns damals unbekannt. Viele Kinder meiner Klasse waren arm, sie stammten aus Arbeiterhaushalten. Einige Kinder von Handwerkern waren etwas wohlhabender. Kinder von Kriegerwitwen gehörten zu den Armen. Wir waren nicht unglücklich, oder neidisch. Die großen Unterschiede zwischen Arm, Reich und Superreich zeigte sich in den 50er und 60er Jahren noch nicht so extrem. Reichtum wurde in Baden und Württemberg, nicht zur Schau gestellt.