Jürgen Schröter stieß mit seiner behandschuhten Hand gegen die Helmscheibe und fluchte. Verdammt, nicht mal den Schweiß konnte man sich in diesen Anzügen abwischen.
Ab und zu hörte er Bemerkungen anderer Arbeiter über den Funk oder Anweisungen seines Teamchefs.
Der Arbeiter kniff die Augen zusammen. Dieses verdammte, grelle Licht. Diese ekelhafte Hitze. Unsicher setzte er sein Nietgerät an der nächsten Stelle an, drückte den Auslöser. Irgendetwas stimmte nicht. Oh, verflucht, er hatte sich nicht richtig festgehalten, hatte seine Sicherungsleine nicht eingehakt ... Hoffentlich spielte er jetzt nicht auch Trabant.
Jürgen Schröter segelte zu Boden. Ganz langsam, und ihm kam es wie Zeitlupe vor. Dennoch trieb der Aufprall ihm die Luft aus den Lungen und er stöhnte schmerzerfüllt auf. Diese Hitze. Diese Hitze. Er stand auf, ging auf die Blase des Vorarbeiters zu, die sich in wenigen hundert Metern erhob. In schaffte nur einige wenige, taumelnde Schritte, bevor er lautlos vornüber sank.
Nach einigen Minuten erklangen besorgte Stimmen über den Helmfunk und riefen nach ihm.
Der Mond war mit Staub und Geröll bedeckt. Es war nicht einfach, eine liegende Gestalt im Raumanzug zu finden, wenn diese mit Schmutz bedeckt wurde. Es gab noch keinen Mond-Rettungsdienst, mit seinen Suchtrupps und Überwachungssatelliten. So dauerte es mehrere Stunden, bis man Jürgen Schröter fand. Doch da war er bereits tot, ums Leben gekommen durch Hitzerschöpfung. Es war nicht seine Schuld. Der hastig gefertigte Raumanzug war fehlerhaft. Vielleicht war es ein Trost für seine Frau und seine Tochter, dass sein Tod für die Behebung des Fehlers sorgte.
Sein Tod war kein Einzelfall und es gab auch Verletzte. Manche von diesen wurden rasch genug unter atmosphärische Bedingungen gebracht, um ihr Leben retten zu können. Die es nicht schafften, wurden in einer undurchsichtigen Blase vorübergehend beigesetzt. Bis man die Zeit fand, sie nach ihrem Glauben in die letzte Ruhe zu geben.
Doch jetzt hatte man diese Zeit nicht. Niemand konnte sagen, wann die Fremden aktiv würden, ob sie nicht der Erde selbst einen Besuch abstatten wollten.
Es mochte die unterschiedlichsten Beweggründe, für die Anstrengungen des Einzelnen geben, doch der Wille zum Überleben, war ihnen allen gleich.
Auf der Erde war man bemüht, die sich abzeichnende Energieversorgungslücke zu schließen. Eine Reihe alter Kraftwerke sollte dazu wieder in Dienst gestellt werden. In Oslo befand sich eines der ältesten Fusionskraftwerke der Welt. Lief die Fusion erst einmal, dann brachte sie saubere Energie, doch das Problem bestand in der Initialzündung, für die man sehr hohe Energien aufwenden musste.
Die Fusionstechniker Nils Björensen und sein Kollege waren von ihrer Firma unerwartet aus dem Ruhestand gerufen worden. Irgendein Regierungsmensch hatte ihnen dann, gemeinsam mit dem Chef und etlichen Kollegen, etwas von nationaler Sicherheit erzählt, und die Katze aus dem Sack gelassen. Jetzt bemühten sie sich schon seit zwei Monaten, das Fusionskraftwerk wieder in Betrieb zu nehmen. Damals, als es stillgelegt wurde, hatte es sich noch etliche Kilometer außerhalb der Stadt befunden. In den letzten Jahren war diese weiter gewachsen und das Kraftwerk lag inmitten eines seiner Vororte.
“Da tut sich nichts.” Nils Björensen versuchte eine andere Schaltkombination. Missmutig betrachtete er die Kontrollen, mit ihren Lichtern, Monitoren und Displays. “Verstehe ich nicht. Die ganze Anlage ist überprüft, frisches Plasma eingeführt, die Feldspannung stimmt ... aber die Fusion zündet nicht.”
“Ja, merkwürdig”, knurrte sein Kollege. Er stand über den ausgebreiteten Schemaplan gebeugt. Sein Zeigefinger fuhr die farbigen Linien entlang. “Hast du die Plasmapumpe 4 über den Schaltkreis A oder Kreis B geregelt?”
“B”, entgegnete Björensen.
“Hm, nach dem Plan stimmt das.” Der Kollege kratzte sich am Kopf. “Mistding. Na ja, der Reaktor ist fünfzehn Jahren stillgelegt und sollte eigentlich im nächsten Jahr abgerissen werden. Schon ein seltsames Gefühl, plötzlich wieder in dem alten Mädchen zu stehen.”
“Hast du eigentlich schon gehört? Nächste Woche sollen die beiden ersten Werftkomplexe auf Luna in Betrieb genommen werden. Mann, die haben echt rangeklotzt. Mein Sohn auch. Ist in Star-City.”
“Weiß ich doch. Hast du mir täglich mindestens dreimal erzählt.” Björensen probierte eine andere Schalterkombination. “Verstehe ich nicht, schon wieder nichts. Das verdammte Ding blitzt nicht einmal kurz auf.”
Dann blitzte es doch.
Der grelle Lichtschein war selbst im hohen Orbit deutlich zu sehen. Er kostete Tausende von Menschenleben und Zigtausende von Verletzten, fegte die östlichen Randgebiete von Oslo von der Karte.
Der Rest der Stadt verharrte geschockt.
Svenja Nissen saß neben ihrer Lebensgefährtin in dem neuen Wagen, als es passierte. Das schwere Turbinenfahrzeug wurde von der Druckwelle zur Seite geworfen, die Welt drehte sich um die jungen Frauen, bevor ihnen Schwarz vor Augen wurde.
Als Svenja Nissen ihre Augen wieder öffnete, saß sie noch immer im Sitz des Wagens. Verstört registrierte sie, dass sich dieser Sitz jedoch nicht mehr im Fahrzeug befand. Svenja lag inmitten der Auslage eines Geschäftes. Der zahlreiche weiche Stoff der ausgestellten Kleidungsstücke mochte ihr das Leben gerettet haben. Sie bemerkte kaum, dass sie halbnackt war, und die Druckwelle den größten Teil der Kleidung von ihrem Körper gefetzt hatte. Alles war seltsam still. Erst als sie kläglich um Hilfe rief, bemerkte sie, dass ihr Gehör versagte.
“Oh Gott, was ist passiert? Was ist mit Hildrun?”, dachte sie besorgt. Unbeholfen löste sie die im Sitz verankerten Gurte, riss ihre Augen erschrocken auf, als sie im Rückenteil einen langen Glassplitter erkannte, der sie fast aufgespießt hätte.
Sie kroch vom Sitz fort. Blickte sich um. Der Laden war ein Chaos. Svenja sah den von Blut überströmten und von Glasscherben zerfetzten Körper eines Mannes. Oder war es eine Frau gewesen? Auch andere Körper lagen am Boden. Einige bewegten sich, und zwei oder drei versuchten sogar, sich aufzurichten.
Svenja sah einen Mann, der sich taumelnd erhob und eine Hand auf die klaffende Platzwunde an seiner Stirn legte. Sein Mund bewegte sich auf und zu, und die junge Frau brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass der Fremde schrie.
Sie blickte nach draußen, zum Bürgersteig. Die Häuser standen noch, sahen allerdings merkwürdig aus. Teilweise schief, wie verzogen. Überall waren Trümmer, Glassplitter, die Überreste von Fahrzeugen und dazwischen Menschen. Solche, die seltsam ruhig wirkten und andere, die scheinbar ziellos in dem Untergangsszenario herumstolperten. Es gab viel zu viele ruhig wirkende Menschen. Einige davon schienen tatsächlich nur zu schlafen, doch bei vielen konnte Svenja erkennen, dass sie nie wieder erwachen würden.
“Was ist mit Hildrun?”, dachte sie erneut. Sie wollte den Laden verlassen, ganz normal hinausgehen, doch sie konnte nur kriechen. In dem Blech- und Plastikhaufen, auf der gegenüberliegenden Straßenseite, erkannte sie das farbige Muster ihres neuen Wagens.
“Hildrun”, dachte sie entsetzt. Sie kam taumelnd auf die Füße, torkelte, musste sich wieder hinsetzen. Svenja fasste sich an die Schulter, bemerkte Blut. Sie musterte ihre rot gefärbte Hand neugierig. Komisch. Dann sah sie wieder auf das Fahrzeug ihrer Lebensgefährtin. Es war zerrissen, deformiert. Bedeckt vom Staub und den Trümmern des ... ja, was war es eigentlich gewesen? Sie waren doch eben noch gemütlich und fröhlich zum Shoppen gefahren.
Svenja bemerkte den Arm neben dem Wrack. Sie erkannte Hildruns modische Uhr, mit dem Handgelenk-Computer. Registrierte mit aufgerissenen Augen, dass sich kein Körper an diesem Arm befand.
Sie schrie, aber sie konnte ihren eigenen Schrei nicht hören.
Irgendwann vernahm sie das eigenartige Rauschen in den Ohren, erklang ganz leise das auf- und abschwellende Stakkato der Sirenen.
Kapitel 15 Indianer? Indianer!
Der Assistent betrat den Raum nahezu lautlos und legte den Ausdruck auf den Schreibtisch. Ebenso leise,