Königreich zu verschenken. Nicole Gozdek. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Gozdek
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001709
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Dieser hieß wirklich so, das war kein Spitzname, den Alexander ihm verpasst hatte. Aber trotzdem passte der Name wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Mit der Adlernase und den stechenden Augen hätte man ihn wirklich gut für einen Raubvogel halten können. Alexander hatte sich eines Tages mal den Jux erlaubt und sich Adlers Personalausweis zeigen lassen. Um sicher zu gehen, wie er sagte. Sein Großvater hatte das nicht komisch gefunden.

      Adler wiederholte seine Aufforderung: „Hierher!“

      Alexander kam es flüchtig in den Sinn zu gehorchen, doch dann dachte er an die Demütigung, die im Anschluss daran folgen würde, erst durch Adler und dann durch seinen Großvater. Nicht mit ihm! Er war doch kein kleines Kind! Er kam gut alleine klar!

      Er hörte Adler fluchen, als er in die entgegengesetzte Richtung abbog. Erst jetzt bemerkte er den Lärm vor ihm, der langsam lauter wurde. Stimmen, die brüllten und anfeuerten. Alexander fühlte sich in ein Fußballstadion versetzt. War das nicht auf der anderen Seite der Stadt? Er hielt sich die Hand vor Augen, um gegen die Sonne besser sehen zu können. Was konnte das bloß sein?

      Abbiegen konnte er nicht. Eine schnurgerade Häuserreihe führte ihn direkt auf die Ursache des Lärms zu. Mist! Er hatte doch versucht, Menschenmengen zu vermeiden, die ihn hätten aufhalten können!

      Fast da. Der Lärm wurde ohrenbetäubend.

      „Fred, Fred!“

      „Durchhalten, Paul! Ich weiß, du schaffst es!“

      „Ich bin so stolz auf dich, Peter!“

      Der Marathon!

      Alexander schlug sich angesichts der Menschenmenge, die sich auf dem Bürgersteig direkt vor ihm versammelt hatte und die Läufer anfeuerte, vor den Kopf. Wie hatte er nur den jährlich stattfindenden Marathon vergessen können? Kein Wunder, dass Adler und die anderen ihn so leicht aufgespürt hatten! Sie mussten gedacht haben, er hätte die Absicht gehabt, ihn sich anzusehen, wie jeder andere Bürger der Stadt!

      Adler kam in Sicht. Er hatte Alexander schon gesehen. Aber vorausschauend wie er war, vermied er es, ihn erneut zu rufen. Auch die anderen waren dicht hinter ihm.

      Ein Gedanke schoss Alexander durch den Kopf. Das war doch die Gelegenheit! In der Menschenmenge konnte er sich gut verstecken!

      Er versuchte, sich etwas weiter nach vorne zu drängeln. Doch das brachte ihm nur wütende Proteste, einige Ellenbogenstöße und einen ordentlichen Tritt ans Schienbein ein.

      „Stell dich gefälligst wieder nach hinten, Mistkerl!“

      „He! Wir waren zuerst hier!“

      Da war kein Durchkommen. Im Rücken der Zuschauer lief er an den Häusern entlang. Plötzlich erspähte er eine Lücke. Und wenn er ...

      Ein weiterer flüchtiger Blick zurück. Seine Verfolger waren ihm immer noch dicht auf den Fersen. Alexander beschloss, es zu riskieren. Flink rannte er durch die Lücke auf die Straße zu den Marathonläufern.

      Die Lücke schloss sich hinter ihm. Alexander hörte Adler fluchen. Er hatte es nicht mehr geschafft, die Gunst der Stunde auszunutzen. Nun musste er sich durch wütende Zuschauer drängeln.

      Einen Augenblick lang lächelte Alexander. Er hatte es geschafft! Doch das Grinsen gefror ihm auf dem Gesicht. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Adler so leicht aufgeben würde. Ein Blick zurück bestätigte seine Befürchtung. Adlers Kollegen hatten zu ihm aufgeschlossen und gemeinsam bahnten sie sich nun einen Weg durch die Menge. Auf der Straße angelangt, setzten sie die Verfolgung fort.

      Alexander dirigierte seine Schritte langsam, aber entschlossen nach rechts zum anderen Straßenrand. Meter um Meter gewann er. Nur noch drei Läufer trennten ihn von der anderen Straßenseite. Hier standen auch weniger Zuschauer. Glück musste man haben!

      Doch Alexander hatte es an diesem Tag nicht.

      „Hi, ich heiße Peter!“, schnaufte ihm sein Nebenmann liebenswürdig ins Ohr. Ein Blick nach rechts zeigte Alexander einen Mann um die vierzig, stark übergewichtig und stark schwitzend. Ein großes Handtuch lag auf seinen Schultern, mit dem er vorsichtig den kontinuierlich rinnenden Schweiß abtupfte. Es war Alexander ein Rätsel, wie dieser Mann auf die Idee kommen konnte, einen Marathon zu laufen. Die Wahrscheinlichkeit, dass er vor Zielende mit einem Herzinfarkt zusammenbrach, lag bei über neunzig Prozent.

      „Ich mache zum ersten Mal mit. Und du?“ Er schnaufte erneut. „Wie heißt du?“

      Sollte er lügen? Ihn ignorieren? Doch irgendwie hatte Alexander Mitleid mit dem Kerl, der wahrscheinlich ein Pantoffelheld war und den Marathon nur seiner Frau zuliebe mitlief, damit diese beim nächsten Kaffeekränzchen mit ihrem Peter angeben konnte.

      „Etwa der Peter, der vorhin angefeuert wurde?“, fragte er.

      Sein Nachbar nickte stolz mit dem Doppelkinn. „Meine Frau“, erklärte er, „ist ein richtiger Fan des jährlichen Marathons. Letztes Jahr ist einer unserer Nachbarn mitgelaufen und kam doch glatt ins Ziel, obwohl er schon sechzig ist und zum ersten Mal teilgenommen hat! Und da meinte mein Schatz, dass ich das, was der kann, schon lange kann“, stieß Peter, von unzähligen Schnaufern unterbrochen, hervor.

      Ab und zu hatte er einen Blick über die Schulter riskiert, doch Adler und die anderen waren immer noch da und kamen näher. Er musste sich schnell etwas einfallen lassen, um sie abzuhängen.

      Da! Rechts standen keine Zuschauer mehr. Alexander hatte sich geschickt an den Rand des Feldes manövriert und konnte sich nun bequem unbemerkt vom Feld absetzen. Er bog in die nächste Seitenstraße ein.

      „Du kennst eine Abkürzung?“

      Alexander zuckte zusammen. Von wegen unbemerkt! Sein freundlicher Nebenmann war ihm gefolgt und schaute ihn hoffnungsvoll an. Er sah so aus, als wäre er über jeden Meter weniger glücklich.

      Was sollte er tun, um Peter loszuwerden? Der Kerl hing an ihm wie eine Klette! Und zu allem Überfluss bogen nun auch Adler und seine Kollegen in die kleine Seitenstraße ein!

      Hektisch sah er sich nach allen Seiten um. Irgendwie musste es doch eine Möglichkeit geben, diese Nervensägen wieder loszuwerden! Warum folgten sie ihm bloß alle? Langsam kam er sich schon vor wie Forrest Gump!

      Alexander schaute sich immer wieder hektisch um, während er lief. Ein Fehler, wie sich herausstellen sollte.

      Es machte platsch. Alexander war auf den Essensresten, die aus einer umgefallenen Mülltonne quollen, ausgerutscht und saß nun mit dem Hintern auf der Erde. Oder besser gesagt, im Müll.

      Peter starrte ihn erschrocken an, während Adler und seine Kollegen naserümpfend auf ihn hinab sahen. Alexander bot ein Bild des Jammers und zu allem Überfluss stank er auch noch, als käme er direkt aus der Jauchegrube. Heute war wirklich nicht sein Tag! Seufzend schaute sich Alexander den stinkenden Schlamassel an. Schlimmer konnte es nun ja wirklich nicht kommen!

      Doch da irrte er sich. Wiesel hatte unbemerkt zu der Gruppe aufgeschlossen.

      Klick.

      „Scheiße!“, fluchte Alexander.

      2

      Ein paar Stunden später.

      Die große, weiße Limousine hielt vor der Treppe des Nobelhotels. Ein junger Hotelpage eilte dienstbeflissen herbei. Eine solche Limousine, auch wenn sie mit der größten Wahrscheinlichkeit nur gemietet war, versprach ein großzügiges Trinkgeld. Menschen, die sich bemühten, nach außen hin einen wohlhabenden Eindruck zu vermitteln, indem sie in einem protzigen Wagen vorfuhren, würden diesen Eindruck nicht im nächsten Moment wieder zerstören, indem sie am Trinkgeld knauserten, dachte er hoffnungsvoll.

      Der Junge beeilte sich, die Wagentür möglichst schnell, aber stilvoll zu öffnen. Vor allem Hollywood-Diven wurden leicht ungeduldig, wenn sie zu lange warten mussten. Ob es sich bei dem Fahrgast wohl um eine Schauspielerin handelte? Und wenn es nun Julia Roberts war? Er bekam vor Aufregung feuchte Hände. Er würde vor seinem großen Idol keinen