Anele - Der Winter ist kalt in Afrika. Marian Liebknecht. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marian Liebknecht
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847634409
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beschäftigte Arschwischerin und einem, bei dem sie Kinder vor dem Hungertod rettet, würde sie garantiert den ersten nehmen, wenn dabei auch nur ein Cent mehr rausschaut.“

      Philipp war überrascht, dass er beim Namen Babsi so heftig reagierte.

      „Ich brauch? wohl nicht zu fragen, ob ihr euch gestritten habt“, bemerkte Bernhard vorsichtig.

      Philipp erzählte ihm über sein Gespräch mit Babsi im italienischen Restaurant und dass sie seitdem keinen Kontakt mehr gehabt hatten.

      „Es ist komisch, aber manchmal gehen die beruflichen und die privaten Krisen Hand in Hand und du bist gezwungen, dein Leben auf völlig neue Beine zu stellen. Ich habe das Gefühl, ich bin da jetzt genau mittendrin“, sagte Philipp.

      „Aber Ihr seid doch immerhin schon fast zwei Jahre zusammen. So etwas wirft man doch nicht einfach weg“, erwiderte Bernhard.

      „Was heißt wegwerfen? Seit der Pizzeria weiß ich, dass sie bei der Sache in der Bank nicht zu mir hält, und wenn ich mit so etwas wie heute käme, also als Entwicklungshelfer nach Afrika oder so, dann würde sie mich entweder auslachen oder als verrückten Idioten bezeichnen, der nicht kapieren will, wie die Welt läuft. Wenn ich darüber nachdenke, was uns beide eigentlich verbindet, fällt mir überhaupt nichts mehr ein“, antwortete Philipp mit einem etwas verzweifelten Gesichtsausdruck.

      „Also, wenn ich dir einen Rat geben darf, Philipp, ich meine, ich bin nicht in deiner Situation, aber, überstürzen würde ich nichts. Du bist nicht mehr fünfundzwanzig. Und in irgend einem fremden Land, in dem du keine Freunde hast und niemanden kennst, völlig neu anzufangen, das ist nicht so einfach, wie du dir das vielleicht vorstellst. Du musst natürlich selbst wissen, was du willst, aber denk genau darüber nach. Bevor du nicht ganz sicher bist, was dir wichtig ist und worauf es dir ankommt, triff keine Entscheidungen, die du nicht rückgängig machen kannst“, sagte Bernhard eindringlich.

      „Keine Angst, bevor ich nicht ganz sicher bin, werde ich nichts entscheiden“, versprach Philipp, aber in seinem Inneren war die Entscheidung schon viel weiter herangereift, als er es selbst wusste.

      4.

      Für Sonntag hatte Philipp sich vorgenommen, einmal auszuschlafen und anschließend Babsi anzurufen. Er wollte mit ihr über ihre Differenzen beim letzten Zusammentreffen reden und auch über seine Absicht, in seinem Leben einiges zu ändern. Was dabei herauskommen würde, wusste er nicht, aber er wollte unbedingt eine Klärung. Die Tatsache, dass Babsi sich nicht mehr gemeldet hatte, zeigte ihm, dass auch für sie das Gespräch beim Italiener etwas in ihrer Beziehung verändert hatte.

      Am Vormittag kam ihm allerdings etwas dazwischen. Um halb zehn läutete es an der Tür und Philipp, gerade aufgestanden, ging noch halb benommen zur Sprechanlage.

      „Ja, bitte. Wer ist da?“ fragte er.

      „Papa, mach auf, ich bin‘s, Julia. Du klingst ja, als ob du noch geschlafen hast. Na, hätt’ ich mir ja denken können“, kam es zurück.

      Es war seine Tochter, die immer dann hereinschneite, wenn er am wenigsten damit rechnete.

      Nach der Scheidung seiner Ehe vor neun Jahren war die gemeinsame Tochter Julia ihm zugesprochen worden und er hatte sie auch allein erzogen, was nicht immer leicht gewesen war. Vor einem Jahr war sie volljährig geworden. Etwa sei damals lebte sie zusammen mit ihrem Freund – er hieß Walter – in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung in Wien. Julia studierte Germanistik an der Uni, ein Fach, das mit dem Lehramt abschloss. Sie war sich selbst aber noch nicht darüber klar geworden, welches Ziel sie mit dem Studium verfolgte. Lehrerin zu werden, konnte sich eigentlich gar nicht vorstellen. Sicher wusste sie nur, dass sie Bücher über alles liebte und immer wieder auch Geschichten verfasste, weshalb sie sich zu diesem Studium hingezogen gefühlt hatte. Im Moment überlegte sie gerade, ihren Schwerpunkt mehr Richtung Journalismus zu verlagern.

      Philipp und Julia hatten immer schon ein ganz besonderes Verhältnis zueinander gehabt. Es war seit der Zeit nach der Scheidung nie eine echte Vater-Tochter-Beziehung gewesen, sondern eher ein freundschaftliches Verhältnis, verbunden mit einer Art blindem Verständnis, das durch die Jahre, in denen sie zu zweit gelebt hatten, gewachsen war. Philipp fragte deshalb bei wichtigen Entscheidungen oft auch Julia nach ihrer Meinung, da sie ihm dadurch, dass sie ihn im Grunde in- und auswendig kannte, trotz ihrer Jugend wertvolle Tipps geben konnte. Umgekehrt war es ebenso.

      Als es an der Tür läutete, hatte sich Philipp gerade einen großen, duftenden Cappuccino herunter gelassen. Seinen Kaffeeautomaten hatte er irgendwann in Italien gekauft und hütete ihn wie seinen Augapfel, da er sich einbildete, hier bei uns kein vergleichbar gutes Aroma bekommen zu können. Er schlurfte im Pyjama und mit der Kaffeetasse in der Hand zur Tür, öffnete und gab Julia einen Kuss auf die Wange.

      „Hallo, was machst du denn hier? Willst du Kaffee?“, fragte er sie.

      „Ja, bitte, aber viel Zeit hab‘ ich nicht. Ich bin zu Mittag mit Walter verabredet, wir treffen uns am Rathausplatz und gehen dann in irgend einen neuen Sushi-Laden, der bei der Uni eröffnet hat. Ich wollte nur mal wieder sehen, wie es dir geht.“

      Nachdem Julia sich Mantel und Schuhe ausgezogen hatte, ging sie zum Kaffeeautomaten und ließ sich ebenfalls einen Cappuccino runter. Sie trug ein sehr hübsches blau-gelb gemustertes Kleid, das für die Jahreszeit etwas zu leicht wirkte, an ihr aber sehr gut aussah. Ihr Gespür für das richtige Outfit hatte sie von ihrer Mutter geerbt, die ebenfalls immer sehr modebewusst angezogen war, ohne viel Geld dafür auszugeben. Von Philipp konnte es nicht sein, der, wenn auch nicht ungepflegt aussehend, doch auf Äußerlichkeiten keinen besonderen Wert legte.

      „Was machst du eigentlich um diese Zeit noch im Bett, das sieht dir doch gar nicht ähnlich“, fragte Julia.

      „Ich wollte eben einmal länger schlafen, ist ja schließlich Sonntag“, erwiderte Philipp, der in Wahrheit auch deshalb das Aufstehen immer wieder hinausgezögert hatte, da er nicht wusste, wie er das Gespräch mit Babsi führen sollte.

      „Aha, ganz neue Gewohnheiten. Und, wie geht’s dir so, was macht Babsi?“ Julia kannte Babsi von ein paar Anlässen, bei denen sie beide anwesend gewesen waren.

      „Danke, es geht so“, antwortete Philipp.

      „Wahnsinn, sind wir heute gesprächig.“ Julia kannte ihren Vater viel zu gut, um nicht schon längst erkannt zu haben, dass irgend etwas los war.

      „Wo hast du eigentlich den Zucker hingegeben. Er war doch immer da im Regal.“ Sie deutete auf ein Fach neben dem Kühlschrank.

      „Ist er nicht mehr dort? Dann muss er auf dem Tisch stehen. Wie geht’s dir beim Studium? Hast du die Prüfung schon gemacht, von der du mir letztes Mal solche Horror-Storys erzählt hast? Es war irgendwas wie ‚Literatur im Mittelalter’“, fragte Philipp.

      „Es war ‚Alt- und mittelhochdeutsche Literatur’ und ich hab’ sie schon vor vier Monaten gemacht. Wir sehen uns offenbar zu selten. Und sagst du mir jetzt bitte, was mit dir los ist. Stimmt irgend etwas zwischen Babsi und dir nicht?“ Julia, die inzwischen den Zucker gefunden hatte, schaufelte zwei Löffel voll in Ihren Kaffee.

      „Na, wenn du’s unbedingt wissen willst. So wie es aussieht, werde ich in der Firma die Arbeit, die ich bisher gemacht habe, nicht weitermachen. Was ich in Zukunft mache oder ob sie mich vielleicht ganz los werden wollen, steht noch in den Sternen. Und was Babsi angeht, der ist das alles scheißegal und ich weiß wirklich nicht, ob wir überhaupt noch irgend etwas gemeinsam haben. Es wäre leicht möglich, dass wir uns trennen. Wahrscheinlich sollte ich mit ihr darüber reden, wenn wir uns irgendwann einmal wieder sehen. Aber sonst ist alles in Ordnung.“ Wenn Philipp mit seiner Tochter redete, konnte er sich zwischendurch seinen angeborenen Sarkasmus nicht ganz verkneifen.

      „Das ist alles? Aus der Wohnung fliegst du nicht und in den Knast kommst du in absehbarer Zeit auch nicht? Na, wenn’s weiter nichts ist“, sagte Julia, die in dieser Hinsicht aus dem gleichen Holz geschnitzt war.

      „Ach ja, etwas habe ich vergessen, ich werde nach Afrika auswandern.“ Dadurch,